NetzneutralitätNetzaktivisten befürchten Zwei-Klassen-System

Lesezeit 3 Minuten
Ein Paket mit 500 000 Eingaben überbrachten Netzaktivisten der Bundesnetzagentur.

Ein Paket mit 500 000 Eingaben überbrachten Netzaktivisten der Bundesnetzagentur.

Bonn – Wer auf der Autobahn im Stau steht, hat nicht die allerbeste Laune. Wenn andere mit ihrem Pkw trotz Verbots über die Standspur huschen, fällt die Stimmung noch weiter in den Keller. Andere fahren, während der eigene Wagen maximal rollt.

Ähnlich verhält es sich auf der Datenautobahn im Internet. Lange Wartezeiten beim Laden eines Videos, noch längere beim Herunterladen von Liedern oder einfach nur eine langsame Verbindung – mit diesen Problemen haben alle hin und wieder zu kämpfen. Während die eigene Leitung den Eindruck hervorruft, arg gedrosselt zu werden, düsen andere mit Volldampf vorbei und erreichen ohne Zeitverlust ihr Ziel.

2-Klassen-Netz

Dahinter stecken laut der europaweiten Kampagne „Save the Internet“ (Rettet das Internet) die großen Anbieter von Verbindungen ins Netz (Provider): „Sie wollen ein 2-Klassen-Netz schaffen, so dass sich die Anbieter von Dienstleistungen auf der Überholspur bewegen können“, klagt Friedemann Ebelt vom Verein Digitalcourage.

Auf den ersten Blick mutet die Aktion wie ritterliches Verhalten an. Eigentlich ist es doch selbstverständlich, dass jemand, der Geld bezahlt, auch eine bessere Leistung verlangen kann. Wäre da nicht das EU-Gesetz zur Netzneutralität vom vergangenen Oktober, das eben jenes Vorgehen verbietet. Das „Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“ (GEREK, englisch: BEREC) hat bis zum 30. August 2016 Zeit festzulegen, wie das EU-Gesetz angewendet wird.

„Save the Internet“ hat online 500 000 Stimmen für ein freies Internet gesammelt, welche die Aktivisten gestern Nachmittag vom Hauptbahnhof nach einem Marsch durch die Innenstadt in der Bundesnetzagentur am Tulpenfeld überreichten; sie hat gerade den Vorsitz beim GEREK inne. Die Protestierer fordern den Verzicht auf Drosselungen und die Gleichbehandlung aller Kunden.

Zu den Aktivisten zählen neben Privatleuten unter anderem Bürgerrechtsorganisationen, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Verbraucherschutzorganisationen. Selbst Sir Timothy „Tim“ John Berners-Lee, Erfinder des World Wide Web, pocht auf die Einhaltung des Gesetzes. Doch gerade die großen Unternehmen, die Global Player, verfolgten andere Ziele.

Vorwürfe an die Telekom

Die Telekom bietet Verträge mit Partnern aus verschiedenen Sparten wie Sicherheit, Einkaufen und Reisen an. Laut Ebelt sind diese Partner dann im Vorteil, da die Telekom deren Leitung grundsätzlich bevorzugen würde: „Der Musik-Stream-Dienst Spotify hat so Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Anbietern dieser Richtung.“

Für Spotify hielte die Telekom also den „Standstreifen“ frei, falls es mal einen Stau gibt. Ebelt: „Der Konzern hat schon gedroht, über Jahre keine Investitionen mehr ins 5G-Netz für das mobile Internet vorzunehmen, falls die vorhandenen Schlupflöcher beseitigt werden.“ Einige Formulierungen seien schwammig und sollten durch GEREK konkretisiert werden.

Das sieht das Telekommunikationsunternehmen mit Sitz in Bonn anders: „Die Vorwürfe sind absurd. Die Telekom steht für das offene und freie Internet, das möglichst viele neue Dienste hervorbringt, die das Leben der Menschen einfacher machen. Selbstverständlich halten wir uns an die europäischen Regeln. Es gibt also keine Diskriminierung von Anbietern“, so Pressesprecher Philipp Blank, der betont, dass sich die Telekom sich an die Vorgaben hält und ergänzt: „Gerade im Hinblick auf 5G riskiert Europa, den Anschluss an neue Netzentwicklungen zu verlieren. Eine zu restriktive Auslegung der EU-Verordnung durch BEREC gefährdet Vielfalt und Innovationskraft im Netz.“

www.savetheinternet.eu

Rundschau abonnieren