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Bonner Ärztin in KeniaEin Segen mitten im Elendsviertel

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Das Wartezimmer der Ambulanz im Mathare-Valley-Slum in Nairobi ist bereits ab 6 Uhr mit Patienten gefüllt. Sie warten auf Hilfe durch die „German Doctors“.

Das Wartezimmer der Ambulanz im Mathare-Valley-Slum in Nairobi ist bereits ab 6 Uhr mit Patienten gefüllt. Sie warten auf Hilfe durch die „German Doctors“.

Bonn  – Als blonde Frau in einem Slum von Nairobi unterwegs, auf Straßen, die einem Ortsfremden sonst zu gefährlich sind? Anke Esmann hat es jeden Tag gewagt. Schutz gab ihr ein weißes Hemd mit dem grünen Aufdruck German Doctors. Denn die Menschen im Mathare-Valley-Slum in der kenianischen Hauptstadt, in dem hohe Gewaltbereitschaft herrscht, wissen, dass die Ärzte seit 15 Jahren für sie da sind und ihnen Hilfe bringen.

Sechs Wochen war die junge Chirurgin, die im Universitätsklinikum Bonn arbeitet, eine von den sieben deutschen Ärzten in der Ambulanz des Elendsviertels. Sie hat für diesen Dienst im Auftrag der Bonner Hilfsorganisation German Doctors ihren ganzen Jahresurlaub verwendet.

„German Doctors“ seit 1997 vor Ort

Seit 1997 sind die „Weißhemden“ in dem zweitgrößten Slum von Nairobi im Einsatz; rund 430 000 Einwohner sollen dort hausen; das ist eine geschätzte Zahl. Die Menschen gehören zu der Bevölkerungsschicht mit den niedrigsten Einkommen der städtischen Gegenden in Kenia. „Sie leben in Hütten aus Blech oder Pappe auf engstem Raum“, erzählt Anke Esmann. Die meisten Baracken haben keinen Strom- oder Wasseranschluss, keine Abwasserversorgung. Sauberes Wasser muss an verstreut liegenden „Wasserkiosken“ gekauft werden; vereinzelt gibt es Latrinen. Die Familien kochen draußen an Feuerstellen, Lichtquellen sind stinkende Kerosinlampen.

Die Hütten, heißt es in einer Projektbeschreibung der German Doctors, gehören sogenannten Landlords, die nicht in Mathare leben und deren einziges Interesse es sei, mit den Buden möglichst viel Geld zu verdienen.

Kein Wunder also, dass sich in einer solchen Umgebung Krankheiten leicht ausbreiten können. Atemwegsbeschwerden durch das offene Feuer, Hauterkrankungen bei Kindern, HIV/Aids, Tuberkulose, Magen- und Darmerkrankungen, Verbrennungen, Brüche.

Die Bonnerin hat täglich 40 bis 50 Patienten in der Baraka-Ambulanz (Baraka ist ein Kiswahiliwort und bedeutet Segen) untersucht. Die sieben Ärzte, die sich jeweils für sechs Wochen verpflichten, arbeiten ab 8 Uhr, die Ambulanz ist aber schon ab 6 Uhr geöffnet. Dann kommen die ersten Hilfesuchenden und werden von einheimischen Mitarbeitern registriert.

„Man kann den Leuten mit wenigen Mitteln helfen“, hat Anke Esmann erfahren. Verbände anlegen, impfen, Arzneien verschreiben oder aus der Hausapotheke weitergeben. Wenn eine ambulante Behandlung nicht reicht, werden die Patienten in Krankenhäuser überwiesen und mit dem Ambulanzwagen hingefahren. Das ist aber oft die allerletzte Notmaßnahme, denn der Krankenhausaufenthalt ist teuer, Familien müssen ihr ganzes Geld zusammenkratzen, um dort ein Bett zu bezahlen. Allerdings gibt es enge Kooperationen der German Doctors mit vier Hospitälern. So bietet eines einmal in der Woche Zahnarztbehandlungen in der Ambulanz an.

Ein Schwerpunkt des Projekts in Nairobi ist die Arbeit mit HIV-Infizierten und Aids-Kranken. Seit 2005 stehen den German Doctors Aids-Medikamente zur Verfügung; zunächst für eine kleine Gruppe, inzwischen werden 2400 Menschen behandelt. Im Jahre 2015 haben die deutschen Ärzte nach Angaben der Organisation 14 445 Patienten auf HIV getestet, von denen 1535 positiv waren.

Das Ausmaß der Unterernährung nimmt laut German Doctors zu; sie versuchen, besonders Kinder mit speziellen Ernährungsprogrammen aufzupäppeln. Schließlich ist der Praxis ein Sozialprogramm angegliedert, das unter der Leitung einer Sozialarbeiterin drei Krankenschwestern und 40 freiwillige Helfer, die eine kleine Aufwandsentschädigung erhalten, Patienten zuhause besucht und dabei auch die regelmäßige Medikamenteneinnahme – wichtig bei HIV-Infizierten – überwacht.

Frage an Anke Esmann: „Wenn Sie das alles sehen, wie halten Sie das aus?“ Sie antwortet, dass sie mit ihren Kollegen aus dem Team jeden Tag über die Fälle spricht, auch nach Feierabend, der in der Regel um 17 Uhr beginnt. Sie gäben einander Rückhalt. Außerdem hat sie beobachtet, dass „die Menschen dort trotz ihrer prekären Lage viel zufriedener sind als hier bei uns, obwohl doch hier die Rahmenbedingungen nahezu perfekt sind“. Sie auf jeden Fall hat sich für einen weiteren Einsatz bei German Doctors beworben.

die organisation

Die German Doctors leisten freiwillige Arzteinsätze in Entwicklungsländern und helfen dort, wo das Elend zum Alltag gehört. Die international tätige Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Bonn entsendet unentgeltlich arbeitende Ärztinnen und Ärzte in Projekte auf den Philippinen, in Indien, Bangladesch, Kenia und Sierra Leone.

Die Ärzte arbeiten in ihrem Jahresurlaub oder im Ruhestand für einen Zeitraum von sechs Wochen und verzichten dabei auf jegliche Vergütung. Seit 1983 wurden so über 6700 Einsätze mit mehr als 3100 Medizinern durchgeführt.

In Nairobi gab es seit 1997 bis Ende 2015 777 Arzteinsätze. Jährlich werden dort über 65 000 Behandlungen vorgenommen. Das Ärzteteam dort leitet Dr. Pierre de Waha. Weitere Informationen, auch über Spendenmöglichkeiten, gibt es unter www-german-doctors.de (dbr)

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