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Tod von Niklas P.Warum ausgerechnet Bad Godesberg? Eine Stadt mit zwei Gesichtern

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Der Tatort: An diesem Rondell wurde Niklas P. Opfer einer tödlichen Prügelattacke.

Der Tatort: An diesem Rondell wurde Niklas P. Opfer einer tödlichen Prügelattacke.

Bonn – Warum ausgerechnet Bad Godesberg? Im Bonner Stadtteil Tannenbusch stiehlt ein Zwölfjähriger Motorroller und zündet Tiefgaragen an. Auf dem Brüser Berg wird immer noch ehrfürchtig von einem Rapper gesprochen, der für einen Überfall auf einen Geldtransporter jahrelang im Gefängnis saß. In der Bonner Altstadt dealte eine Bande von Drogenhändlern vor einer Grundschule. Alles Verbrechen, aber keines hat in den vergangenen Jahren bundesweit solche Schlagzeilen gemacht wie der brutale Tod des 17-jährigen Niklas P.

Er war am Abend des 7. Mai nach einem Konzertbesuch in der Rheinaue hinter dem Bad Godesberger Bahnhof ins Koma geschlagen worden, aus dem er nicht mehr erwachte. Ein Verdächtiger, ein Italiener mit marokkanischen Wurzeln, sitzt in Untersuchungshaft. Der Tatort, ein Rondell an der Ecke Rheinallee/Von-Groote-Platz, ist zu einer Gedenkstätte geworden. Die Blumen, die dort niedergelegt wurden, sind längst welk oder abgeräumt worden, die Kerzen in den Friedhofslichtern brennen nicht mehr, das Holzkreuz steht da, das der Godesberger Pfarrer Wolfgang Picken aufgestellt hatte, und an dem jetzt ein Rosenkranz baumelt. Noch immer sind vom Regen verwischte Buchstaben auf Pappdeckeln und Zetteln zu entziffern: „NOGOdesberg“ hat einer geschrieben, der wohl auch des Lateinischen kundig ist: „Sic transit gloria Godesia“ steht unter seiner Anklage: So wandelt sich der Ruhm Godesbergs.

Lange als Diplomatenstadt ausgeruht

Da ist was dran. Der Stadtbezirk hat sich lange im Glanze der Diplomaten gesonnt, die dort ihre Residenzen hatten, in den örtlichen Geschäften einkauften und in der Redoute ihre Bälle feierten oder am Nationalfeiertag dort zum Empfang luden. Vorbei. Die Diplomaten sind seit Ende der 90er Jahre in Berlin, einige wenige Botschaften unterhalten noch Außenstellen in der ehemaligen Bundeshauptstadt, die Chinesen zum Beispiel an der Rigalschen Wiese.

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Neue Fußgängerzone

Die Stadt Bonn lädt für Dienstag, 17 Uhr, zu einem Spaziergang ein, in dem sie Vorschläge für die Aufwertung der Godesberger Fußgängerzone erläutern will. Treffpunkt ist am Eingang der Fronhofer Galeria. Bänke, Fahrradständer und Mülleimer sollen erneuert, Pflanzkübel durch Baumpflanzungen ersetzt werden.

Die FDP hat eigene Ideen eingebracht. Bezirksverordneter Ulrich Hauschild hat das Architekturbüro „Bauwerkstatt Bonn“ gebeten, den Theaterplatz mit einer Gastronomie-Immobilie zu überplanen. Vorbild ist das Milchhäuschen („Midi“) auf dem Bonner Münsterplatz. Ein solches Restaurant werde die Aufenthaltsqualität auf dem Platz deutlich steigern, glaubt Hauschild. (dbr)

Herrenausstatter, Damenmodengeschäfte, sie alle waren damals gut beschäftigt. Inzwischen stehen in der Fußgängerzone, die den öden Charme der 70er Jahre hat (siehe Kasten), ganze Ladenzeilen leer. Am Michaelshof plakatiert ein Kölner Unternehmer, dass er den leerstehenden Gebäudeblock „revitalisieren“ wolle. Zu sehen ist noch nichts davon, im Schaufenster lagern Waren eines Sanitätshauses.

Voll verschleierte Frauen auf der Straße

Die Diplomaten gingen, die Medizintouristen kamen. Die waren zwar früher auch schon da, fielen aber nicht auf, weil sich Godesberg gern multikulti gab. Nun sieht man Samstagsnachmittags, wenn die Geschäfte geschlossen haben, voll verschleierte Frauen auf dem Theaterplatz. Wer von der Bürgerstraße auf die Koblenzer Straße geht, betritt rechter Hand eine beinahe andere Welt. Läden, meistens 1-Euro- oder Phoneshops oder Friseure, mit arabischen Schriftzeichen über der Tür, in einem früheren Reisebüro werden demnächst Handys verkauft. Lebensmittelgeschäfte versprechen den Kunden, dass ihre Produkte „halal“ sind, also islamischen Reinheitsgeboten entsprechen. Manch Alteingesessener freut sich, dass er hier für kleines Geld gutes Lammfleisch kaufen kann, anderen läuft die Galle über.

Bad Godesberg in arabischer Hand

„Es scheint so, als ob Bad Godesberg sich in arabischer Hand befindet“, sagt Juppi Schaefer, der einzige Bezirksverordnete der Partei Die Godesberger, die bei der letzten Kommunalwahl aus dem Stand in die Bezirksvertretung einzog. Schaefer ist ein alteingesessener Bad Godesberger, der die gute, die alte Zeit hochhält, als seine Heimatstadt noch nicht zu Bonn gehörte. „Dann kam der 1. August 1969: Nichtsahnend, was auf uns zukam, wurden wir von Bonn eingemeindet,“ schreibt er in seinem „Alt-Godesberger Bilderbuch“. Mit der kommunalen Neuordnung 1969 rollten Bagger in den beschaulichen Ort, die Altstadt wurde platt gemacht, das „Altstadtcenter“ gebaut, für viele auch heute noch eine tiefe Wunde in der City. „Kaputt in Godesberg“ heißt eine Filmreihe, in der Schaefer das dokumentiert hat, was ihm das Herz brach.

Vor seinem Haus in der Bonner Straße weht die Godesberger Fahne, hier ist auch die Zentrale der Partei untergebracht. Die Gruppierung sieht sich weder als links noch rechts, will aber, dass sich die Ausländer benehmen. Als Parteimann wolle er sich nicht äußern, sagt Schaefer, aber privat schon: „Mir geht es nicht gut hier“. Warum? „Die ganzen Medizintouristen . . .“

Hochglanzbroschüre umwirbt Klientel

Dieses Thema treibt auch Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke um. Aber sie sieht vor allem die Vorteile, die mit den Patienten aus den Golfstaaten oder Saudi-Arabien nach Bad Godesberg gebracht werden, nämlich Geld und Umsatz für die Wirtschaft. Sie hat deshalb eine Hochglanzbroschüre angeregt, mit der um diese Klientel geworben wird. An dem Tag aber, an dem das „Arab Lifestyle Magazine“ vorgestellt wurde, wurde auch bekannt, dass das „Welcome Center“, in dem – auch auf Initiative der CDU-Frau Stein-Lücke – die Besucher aus Arabien begrüßt werden sollten, nach nur einem Jahr wieder geschlossen worden ist.

In Bad Godesberg stoßen zwei Welten zusammen. Die eine, das ist die der Einwanderer und fremd aussehenden Touristen sowie der Deutschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die andere, das ist die im Villenviertel mit seinen gediegenen Gründerzeithäusern, die den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstanden haben. Es erstreckt sich bis zum Rhein hin, wo der Bonner Immobilientycoon Marc Asbeck auf einem der letzten freien Grundstücke am Fluss („Beckers Garten“) die „Rheinblick-Residences“ baut, „Deutschlands exklusivste Wohnungen und Häuser zur Miete“. Werbespruch auf dem Baustellenschild: „Jeden Morgen mit einer Aussicht aufwachen, die einem den Atem raubt, ist kein königliches Privileg. Es ist Ihres“.

Mitten in der City Mann überfallen

Wem dieses Privileg nicht vergönnt ist, wohnt auf der anderen Seite der Bahngleise. Am Schnittpunkt dieser beiden Welten liegt der Ort, an dem Niklas zu Tode kam. Man muss da vorbei, muss die Bahnunterführung nehmen, um vom Villenviertel in die City zu gelangen.

„Im Gegensatz zu anderen Städten ist hier der soziale Brennpunkt nicht am Rande der Stadt, sondern mittendrin“, sagt Dechant Picken. Viele Godesberger meiden abends diese Ecke, weil da oft Grüppchen herumlungern. Das subjektive Gefühl, dass diese Straßenkreuzung ein unsicherer Ort ist, mag objektiven Zahlen der Polizei nicht entsprechen, nach denen Bad Godesberg kein Hort der Kriminalität ist, aber es sei nun mal da, sagt Picken. Die Stadt hat jetzt, da der Schüler tot ist, reagiert und dort das Grün zurückgeschnitten und will auch die Beleuchtung verbessern.

Gefühl der Unsicherheit macht die Stadt kaputt

„Ein solch subjektives Gefühl der Unsicherheit macht eine Stadt kaputt“, meint Ulrich Hauschild, der für die FDP in der Bezirksvertretung sitzt und seit 33 Jahren kommunalpolitisch tätig ist. „Hier hilft nur Repression“, sagt der Liberale. Zivilstreifen der Polizei müssten her, nach einer Tat müsste „die Strafe auf den Fuß folgen.“ Hauschild weiß, wovon er redet, er war jahrelang Jugendschöffe beim Amtsgericht Bonn. „Bürger müssen geschützt werden, Statistiken helfen da nicht weiter“. Punktum. Wie zum Beweis meldete die Polizei gestern einen Überfall an der Bushaltestelle Koblenzer Straße/Theaterplatz, also mitten in der City. Am Samstag gegen 23.40 Uhr verlangten dort vier oder fünf Englisch sprechende Männer, einer bewaffnet mit einem Messer, von einem 51-Jährigen Geld. Als sich ein Bus und ein Taxi näherten, verschwanden die Männer ohne Beute.

Pfarrer Picken hat früh auf die Zwei-Welten-Problematik hingewiesen und selbst etwas getan. Vier Jugendreferenten stehen im Dienst der katholischen Kirche in Bad Godesberg. Dazu kommen sechs speziell geschulte Seelsorger, so dass seine Kirche den Jugendlichen zehn Betreuer anbietet.

Die Stadt Bonn unterhalte 47 Offene Türen für junge Menschen, verkündete Bürgermeisterin Stein-Lücke stolz, als sie jetzt eine weitere in ihrem Bezirk eröffnete: Im Hansa-Haus an der Moltkestraße, in Blickweite zum Tatort am Rondell, haben das Godesheim, das zur Evangelischen Jugendhilfe gehört, und das Katholische Hermann-Josef-Haus das One World Café eingerichtet. Hier können Jugendliche abhängen, sich mit Freunden treffen und Sozialarbeiter um Rat fragen.

Stein-Lücke hat die „BG 3000 IT-Modellregion“ gegründet, die praxisnahe Bildungsprojekte für Schüler umsetzt, damit sie etwa „Respekt im Netz“ lernen. 120 nahmen jetzt an einer solchen Schulung teil.

130 Millionen Euro gibt die Stadt, in der 60 000 junge Leute leben jährlich für Jugendarbeit aus, erklärt Jugendamtsleiter Udo Stein. Das sei manchmal „Kärrnerarbeit“, wenn seine Kollegen versuchten, Jugendliche zu erreichen, die drohten, nicht mehr die Kurve zu kriegen. Die Eltern haben den Schlüssel in der Hand, so Stein: „Wir müssen da hingehen, wo Erziehung vermittelt wird.“

Pfarrer Picken setzt dazu auf Sozialarbeiter an den Schulen. „Es muss ein Gesamtkonzept her!“

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