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Stummfilm„Eines der aufwendigsten Projekte“

Lesezeit 4 Minuten
Stefan Drößler, hat den Klassiker „Homunculus“ restauriert.

Stefan Drößler, hat den Klassiker „Homunculus“ restauriert.

Der Stummfilm gilt vielerorts als medienhistorisches Relikt. Zum einen ist ein Großteil des frühen Filmschaffens bereits unwiederbringlich verloren, zum anderen ist die heutige Lagerung des empfindlichen Materials aufwendig, Vorführungen sind selten. Warum reizt Sie der Stummfilm trotzdem?

Der Stummfilm muss sich ganz über das Visuelle vermitteln. Ende der zwanziger Jahre war er so weit entwickelt, dass die Filmemacher ihre Geschichten ganz allein über das Bild vermitteln und auf Zwischentitel verzichten konnten. Der Tonfilm war dagegen erst einmal ein Rückschritt: Er war meist abgefilmtes Theater, viele Dinge wurden nun nicht mehr visualisiert, sondern einfach über die Dialoge erklärt. Diese Tendenz findet man auch bei heutigen Filmemachern. Vielleicht ist dies der Grund dafür, warum heute viele Stummfilme noch so erstaunlich modern wirken.

Das diesjährige Festival-Plakat der Stummfilmtage in Bonn wirbt mit dem „Homunculus“, einem künstlich erschaffenen Menschen auf der verzweifelten Suche nach Liebe. Was fasziniert Sie an diesem Film rein thematisch?

„Homunculus“ ist ein legendärer Film, der in vielen Filmbüchern erwähnt wird. Wirklich gesehen hat ihn aber kaum jemand. Es gibt einige Bildmotive, die zeigen, dass dieser Film stark stilisiert ist und Stilmittel des Film-Expressionismus der Nachkriegszeit vorwegnimmt. In „Homunculus“ werden unterschiedliche Elemente miteinander verbunden: Er bedient sich bei Motiven der phantastischen Literatur und der deutschen Romantik, verbindet diese aber mit den realen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges.

Die bis dato nur fragmentarisch vorhandene Arbeit kommt in der vom Filmmuseum München rekonstruierten Fassung nun erstmals zur Aufführung bei den Stummfilmtagen. Wie muss man sich die Archivrecherche zu so einem Serienhit vorstellen?

Schon seit vielen Jahrzehnten suchen Archivare und Restauratoren nach Fragmenten von „Homunculus“. Man muss zum einen die Überlieferungsgeschichte studieren und zum anderen alle originalen Quellen suchen, Archive, Filmhistoriker und Sammler befragen. Bei „Homunculus“ tauchte vor einigen Jahren eine stark zerfallende italienische Kurzfassung der sechs Teile in einem amerikanischen Archiv auf, die uns half, zweieinhalb Stunden Filmmaterial aus einem russischen Archiv zu identifizieren, das völlig durcheinandergeraten war und in dem jegliche Zwischentitel fehlten.

Von „Homunculus“ ist ja nur der vierte Teil, „Die Rache des Homunculus“, vorhanden gewesen. Macht das die Arbeit dann noch schwieriger?

Man ist davon ausgegangen, dass der vierte Teil einigermaßen komplett ist, weil die Länge des erhaltenen Filmmaterials in etwa der Uraufführungslänge entsprach. Bei genauerer Untersuchung des Materials entdecken wir, dass der Stummfilm auf Tonfilmgeschwindigkeit umkopiert worden war und man dafür jedes zweite Bild verdoppelt hatte. Insofern waren vom vierten Teil nur zwei Drittel erhalten, die wir nun um einige Szenen ergänzen konnten.

Sie gelten als „Vater der Stummfilmtage“ in Bonn. Ein Fokus des diesjährigen Festivals wird der Erste Weltkrieg sein. Ist „Homunculus“ auch ein Abbild des Krieges?

Wir versuchen immer, bei den Stummfilmtagen Filme aller Genres und aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu zeigen, damit man die ganze Bandbreite der Stummfilmkunst erfahren kann. Dennoch gibt es einen kleinen Schwerpunkt zum Ersten Weltkrieg: „Ich klage an“ von Abel Gance, einer der ersten pazifistischen Filme der Filmgeschichte, die Laterna-Magica-Schau „In Treue fest!“ über „Stricken und Sterben im Ersten Weltkrieg“ und der mehrteilige „Homunculus“'-Film, der den Krieg mehr auf einer abstrakten, metaphorischen Ebene behandelt. Der Krieg kommt als Verhängnis über die Welt in Form einer mystischen Figur, die Menschen sind hilflose Opfer.

Im Jahre 1920 wurde der Originalfilm mit einer Länge von 9163 Meter auf 6315 Meter gekürzt. Was war der Grund?

„Homunculus“ lief erfolgreich in Deutschland und allen von Deutschen während des Krieges besetzten Gebieten. In einigen Gebieten wurden aber die letzten Folgen verboten, weil sie zu sehr die Realität widerspiegelten. Insofern lag es nahe, den Film nach dem Krieg noch einmal neu herauszubringen. Der Verleiher kürzte und straffte ihn auf drei Teile.

Würden Sie sagen, dass „Homunculus“ Ihr bisher aufwendigstes Projekt war?

Sicher war das eines der aufwendigsten und vor allem langwierigsten Projekte, an dem ich gearbeitet habe. Ich mag nicht so gern mit Superlativen hantieren, da jede Rekonstruktionsarbeit ihre ganz eigenen Schwierigkeiten aufweist. Aber ich muss zugeben, dass es mich durchaus anspornt, wenn andere angesichts der Schwierigkeiten sagen, dass es unmöglich ist, einen bestimmten Film zu rekonstruieren.

Was versprechen Sie sich von der Aufführung dieses „Kolosses“ bei den Stummfilmtagen?

Ich bin sehr gespannt, wie die Rekonstruktion vor Publikum funktionieren wird. Viel wird von der Musik des Stummfilmpianisten abhängen. Es ist eine erste Arbeitskopie, die gezeigt wird, und ich kann immer noch kleine Verbesserungen vornehmen. Das Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen, aber es ist das erste Mal seit fast 100 Jahren, dass man den Film in seiner ganzen Konzeption wieder sehen kann.

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