Eröffnung in VogelsangKleine Herrenmenschen aus der Eifel

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Hitler in VOgelsang

Hitler in Vo­gel­sang, dahinter links Robert Ley und rechts der damalige "Burg­kom­man­dant" Richard Man­der­bach

Schleiden – Am 5. Dezember 1972 verurteilt das Landgericht Arnsberg den Angeklagten Ludwig Romeis zu zwei Jahren Haft wegen der Beihilfe zur Ermordung polnischer Juden. Romeis, von der deutschen Besatzung installierter Leiter des Wohnungsamtes in Jaslo, hatte seinerzeit vorgeschlagen, dass die Opfer bei ihrer Deportation 1942 in ein Kloster gesperrt werden, so dass sie nicht fliehen konnten. Nach Überzeugung der Richter kannte er die "grausame Ausführung und das Ziel" der Vernichtungsaktion, der er die Festgenommenen preisgab.

Der NS-Täter Ludwig Romeis hatte die Grundlage für seine Laufbahn in der Nordeifel gelegt. In den Jahren 1936 und 1937 hat er an einem Parteilehrgang teilgenommen, zunächst im westfälischen Erwitte, dann auf Vogelsang.

Funktionärsschulung in "Ordensburgen"

Später gehörte Romeis der Verwaltung dieser "Ordensburg" an, bis er zum Kriegsdienst eingezogen und dann in die Verwaltung des "Generalgouvernements" versetzt wurde. Er habe den "kleinen Herrenmenschen" spielen wollen, attestierten ihm seine Richter.

"Bestimmung: Herrenmensch" ist der provozierende Titel der neuen Dauerausstellung, die die Geschichte von Vogelsang im Nationalsozialismus zeigt. Ein Titel, den Ausstellungsleiter Stefan Wunsch doppelsinnig verstanden wissen möchte: "Es geht um das, was in Vogelsang gewollt war - aber auch darum, was die Betroffenen daraus machten."

Rund 2000 Männer haben die Ausbildung in den NS-"Ordensburgen" durchlaufen, in denen gar kein "Orden" ansässig war, sondern unter der Regie des NSDAP-Personalchefs Robert Ley und seiner "Deutschen Arbeitsfront" (DAF) schlicht Funktionärsschulung betrieben wurde. Ley, Herr über das beschlagnahmte Vermögen der Gewerkschaften und über Zwangsbeiträge von 22 Millionen DAF-Mitgliedern, erschloss sich mit diesen Mitteln immer neue Einflussfelder und plante in gigantischen Dimensionen. Mehr als einen Kilometer lang ist die Burganlage, und die bestehenden Bauten sind nur ein Bruchteil dessen, was Leys Architekt Clemens Klotz errichten sollte. Teile, so der ehemalige Hörsaal, wurden im Krieg zerstört. Die Ausstellung zeigt Fragmente eines NS-Hoheitsadlers aus dem Bauschutt - und sie legt ganz gezielt in Trümmer, was die Nationalsozialisten als große Inszenierung planten. Dokument für Dokument wird akri-bisch erläutert. Bild Nr. 1053 zeigt den "kleinen Herrenmenschen" Romeis bei der Sichtung jüdischen Eigentums.

"Ganze Kerle" wurden hier ausgebildet

Bewerben konnte man sich für die Ausbildung in den "Ordensburgen" - neben Vogelsang gab es Krössinsee im heute polnischen Teil Pommerns und Sonthofen im Allgäu - nicht, Kandidaten mussten von den NSDAP-Gliederungen vorgeschlagen werden. Die Kriterien der Auswahl waren ebenso willkürlich wie die Prinzipien der Ausbildung. "Ganze Kerle" sollten es nach NS-Auffassung sein, berichtet Klaus Ring, wissenschaftlicher Referent der NS-Dokumentation Vogelsang. Körperliche Kräfte zählten, Sport wurde kultisch zelebriert. Seit 1937 war der Kölner Boxer Hein Müller als Sportlehrer in Vogelsang angestellt. "Ihr wollt hart werden! Also schlagt Euch die Birne weich", beschrieben seine Schüler Müllers Methoden. Die Ausstellung erinnert daran ebenso wie an die pseudoreligiösen Inszenierungen in Vogelsang. Zwar ist der einstige "Weiheraum" im Burgturm heute leer, die Kolossalplastik des "Deutschen Menschen" spurlos verschwunden, aber die Ausstellungsmacher präsentieren Bilder und Schriftstücke über nationalsozialistische Namengebungs-, Hochzeits- und Trauerfeiern. Unter Vogelsang-Junkern gehörte es zum guten Ton, aus der Kirche auszutreten, gern gruppenweise in Uniform vor dem Amtsgericht Gemünd.

Die "ganzen Kerle" von Vogelsang waren meist Handwerker, Arbeiter oder kleine Angestellte und in der Regel schon Mitte 20, wenn sie ihre Ausbildung antraten. Versprochen wurden ihnen Aufstiegschancen bis in höchste Ränge - tatsächlich reichte es nur für die niedere Funktionärsebene. Mit der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs 1939 brach Leys System zusammen, die Lehrgangsteilnehmer mussten an die Front, den auf bis zu vier Jahre geplanten Durchlauf durch alle "Burgen" hatte keiner absolviert. Die Vogelsanger Monumentalbauten wurden als Lazarett, für "Adolf-Hitler-Schulen" und als ziviles Krankenhaus genutzt. Rund 200 ehemalige Ordensburgangehörige spielten als deutsche Gebietskommissare, also Quasi-Landräte, oder deren "Stabsleiter" in Osteuropa eine teilweise kriminelle Rolle. Ein erschütterndes Foto zeigt die vom ehemaligen Vogelsanger "Hundertschaftsführer" Georg Marschall, Gebietskommissar im ukrainischen Sdolbuniw, willkürlich angeordnete Hinrichtung eines jüdischen Tischlers. Marschall wurde deswegen 1960 zu lebenslanger Haft verurteilt, in einem Wiederaufnahmeverfahren blieben von der Strafe aber nur fünf Jahre. Der Ex-Vogelsanger Gerhard Erren wurde wegen der Ermordung von 15 000 Juden im weißrussischen Gebiet Slonim 1974 zu lebenslanger Haft verurteilt, der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung aber aus formalen Gründen auf. Der in Krössinsee, nicht in Vogelsang ausgebildete Franz Murer war einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordung der Juden von Vilnius. Er wurde zwar in der Sowjetunion zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 1955 aber nach Österreich überstellt und blieb dort letztlich straffrei.

Bestimmung Herrenmensch? Die Ausstellungsmacher konstruieren keinen Automatismus. Zwar zitieren sie am Eingang plakativ das letzte Flugblatt der Weißen Rose über die Erziehung der "künftigen Parteibonzen auf Ordensburgen zu gottlosen, schamlosen, gewissenlosen Ausbeutern und Mordbuben". Dennoch: Es komme auf jeden Einzelfall an, hatte Ausstellungsleiter Wunsch ja betont. Eine systematische Auswertung der Biografien steht noch aus. Doch würdigt die Ausstellung auch ein unerwartetes Beispiel: Helmut Morlok, kein Ex-"Junker", aber Vogelsanger Adolf-Hitler-Schüler, dem in der Kriegsgefangenschaft die Augen aufgingen. Morlok wurde zum leitenden Architekten der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz.

Begleitband zur Ausstellung: Klaus Ring, Stefan Wunsch (Hg.), Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen. Sandstein Kommunikation, 384 S., 38 Euro

Der Umbau der einstigen NS-Anlage Vogelsang

Von Ramona Hammes

Grau-braun, düster und ob ihrer schieren Größe be- und erdrückend erheben sich die von den Nationalsozialisten zwischen 1934 und 1936 errichteten Monumentalbauten im grünen Hang oberhalb des idyllischen Urftsees im Süden des Kreises Euskirchen. Zu den 70 000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche der NS-Bauten gesellen sich nicht minder große Gebäude, die die belgischen Militärs in den fünf Jahrzehnten bauten, in denen sie Vogelsang als Truppenübungsplatz genutzt haben.

Der Umgang mit diesem Areal stellt die Region vor eine enorme Herausforderung, als die Belgier vor 15 Jahren ankündigen, Vogelsang aufzugeben. Auch wenn eine zivile Nutzung bereits viele Jahre im Gespräch ist, ist dies längst keine ausgemachte Sache. Ein Abriss wird genauso diskutiert wie ein "kontrolliertes Verfallen-Lassen". Man entschließt sich zur Nutzung des Ensembles, um auszuschließen, dass das Areal zur Pilgerstätte Ewiggestriger wird. Das Wie ist die nächste große Frage. Ein schriller Rummelplatz verbietet sich an diesem Ort.

Eine Erfahrung für alle Sinne

Die Lösung findet das Münchner Büro Müller-Rieger im Konzept von 2008 mit dem Zusatz "ip" hinter dem Ortsnamen Vogelsang. Für internationaler Platz steht dieses "ip", das fortan die Richtung vorgibt. Ein Ort der Begegnung, des Friedens, aber auch des Innehaltens und der Auseinandersetzung mit der Geschichte soll entstehen.

Diesen Grundgedanken auch architektonisch umzusetzen ist das Ziel, das seit viereinhalb Jahren beim Umbau des Kernbereichs rund um den Adlerhof zum "Forum Vogelsang" verfolgt wird. Gut 45 Millionen Euro werden in den Umbau und das Aufbrechen der düsteren Architektur investiert. Gelungen ist dies unter anderem durch den Einsatz heller, freundlicher Farben im Inneren und "Schaufenster" in den Ausstellungen, die freie Blicke in die Landschaft oder das Ensemble ermöglichen. Besonders markant ist der Aufbruch des Adlerhofs, dessen zentrales Element nun der aus Stahl und viel Glas gefertigte Kubus als Eingang zum Besucherzentrum ist.

Am Sonntag wird das Forum eröffnet, dann steht die Anlage im Herzen des heutigen Nationalparks den Besuchern wieder offen. 300 000 Gäste werden pro Jahr erwartet. Von der Gastronomie mit Panoramafenstern und Außenterrasse ist der spektakuläre Blick auf das Gelände und den Urftsee wieder möglich. Einen Blick in alle Himmelsrichtungen bietet sich später dem, der die 173 Stufen den Turm hinauf bewältigt hat.

Besuchermagneten sollen die Ausstellungen werden. Auf 800 Quadratmetern erstreckt sich die NS-Dokumentation "Bestimmung: Herrenmensch" (siehe Thema Seite 3), auf 2000 Quadratmetern werden "Wildnis(t)räume" erlebbar. Diese vom Berliner Büro Triad und dem Nationalpark-Forstamt konzipierte Erlebnisausstellung bietet in der Tat spannende Naturerlebnisse für alle Sinne - ohne die Natur imitieren zu wollen.

Das frühlingshafte Grün eines Buchenwalds und Vogelgezwitscher empfangen die Besucher im ersten der sieben Themenräume der barrierefrei gestalteten Schau. Die Kleinen kommen hier gleich ganz groß raus: In aufwendigem 3D-Kunststoffdruck gefertigt, grüßen etwa die Laubholz-Säbelschrecke und der Grünrüssler die Besucher. Die großen Modelle sind bewusst in Grau gehalten, die Tasterfahrung soll nicht von Farben abgelenkt werden. Ohnehin: Lange Texte und komplizierte Erklärungen sind nirgends zu finden. Atmosphäre und Sinneserfahrungen stehen im Fokus. Alles darf - und soll - angefasst werden, die Tiere sind zu hören, die Gerüche in "Riechdosen" festgehalten. Spielerische Elemente, durch die die Wissensvermittlung ganz locker daherkommt, fehlen in keinem Raum. Zu jedem Thema gibt es die eigentlich für Kinder gedachten "Schau mal"-Schiebkästen mit Hintergrundinfos, die sich bei Probeführungen auch bei Erwachsenen großer Beliebtheit erfreuen.

Das Spektrum der Exponate ist groß. Es reicht vom mächtigen, entrindeten Buchenstamm über den Biberbau, für den zig Hölzer zusammengetragen wurden, und den ausgestopften Hirsch, bei dem noch keiner weiß, wie viele Streicheleinheiten er "übersteht", bis hin zu den ganz kleinen Waldbewohnern, die oft den "Igitt"-Stempel erhalten. In Vogelsang können Spinnen und andere Krabbler mit einer Lupe genau inspiziert werden.

Der Stolz ist den Ausstellungsmachern verständlicherweise anzumerken, als es in den "Überraschungsraum" geht. Es ist dunkel. Von der Decke und in die nach unten führende Galerie hinein hängen Kugeln unterschiedlichster Größe, auf denen der Zauber der Wildnis sich entfaltet und faszinierende Naturschauspiele geboten werden.

Mit einer eindringlichen Sensibilisierung für die Gefährdung der Natur und einem Ausblick, wie der Nationalpark einmal aussehen könnte, werden die Besucher aus der imposanten und bunten, aber nie aufdringlich daherkommenden Schau entlassen. Sie macht Lust, sich nun in die reale Natur zu begeben und den Nationalpark Eifel mit anderen Augen zu entdecken.

Die Anlage Vogelsang im grafischen Überblick

Die Luftaufnahme zeigt die Anlage über dem Urftsee mit dem zentralen Forum rund um den ehemaligen Adlerhof, Standort des Besucherzentrums (1). Von dort erreicht man die Ausstellung "Bestimmung: Herrenmensch" zur NS-Geschichte unter der früheren Wandelhalle (2) und die Multimediaschau "Wildnis(t)räume" unter den Resten des Hörsaals (3) und im Untergeschoss des Turms (4). Erhalten sind auch die "Burgschänke" (5), die Wohnbauten, in denen bis zu 1000 "Junker" untergebracht werden sollten (6), und das heute noch genutzte Schwimmbad (7). Auf den Grundmauern eines von den Nazis geplanten "Hauses des Wissens" hatte das belgische Militär eine Kaserne errichtet (8).

(Foto: Küpper)

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