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Für dumm erklärtSchüler fälschlich als geistig behindert eingestuft

Lesezeit 3 Minuten
„Für dumm erklärt“: Eine TV-Dokumentation zeigt heute Abend die Geschichte von Nenad Mihailovic. Der 19-Jährige besucht heute das Berufskolleg Deutzer Freiheit. 

„Für dumm erklärt“: Eine TV-Dokumentation zeigt heute Abend die Geschichte von Nenad Mihailovic. Der 19-Jährige besucht heute das Berufskolleg Deutzer Freiheit. 

Köln – Die Geschichte klingt zunächst unglaublich: Elf Jahre lang ging Nenad Mihailovic auf Förderschulen für Geistigbehinderte – obwohl er einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten hat. Heute Abend zeigt die TV-Dokumentation „Für dumm erklärt“ die Geschichte des heute 19-Jährigen (WDR, 22.40 Uhr), der nun das Land NRW auf Schadensersatz verklagt. Der Kölner Elternverein „mittendrin e.V.“ unterstützt ihn dabei.

Familie Mihailovic stammt aus Serbien, bis zu seiner Einschulung im bayrischen Coburg spricht Nenad nur Romanes, die Sprache der Roma. So versteht er auch beim IQ-Test eines Psychologen kaum, was von ihm verlangt wird. Ein Übersetzer ist nicht dabei. Das Ergebnis: ein IQ von 59. Er kommt auf eine Schule für Geistigbehinderte. „Ich wusste immer, dass ich dort nicht hingehöre“, sagt Nenad heute. Seine Eltern konnten nicht helfen: Bis heute sprechen sie so gut wie kein Deutsch.

Ein neuer IQ-Test wurde nie gemacht

Als die Familie nach Köln zieht, kommt er in die Förderschule Auf dem Sandberg in Poll. Jahrelang habe er seine Lehrer gebeten, ihn auf eine andere Schule zu schicken. Vergeblich. Auch ein neuer IQ-Test wurde nie gemacht. „Die haben mich aufgegeben“, sagt Nenad. Völlig unterfordert schwänzte der Junge häufig die Schule, brachte sich „alles Zuhause bei“, wie er sagt. Erst der 2015 verstorbene Kölner Pädagoge Kurt Holl, der sich für die Integration von Roma einsetzte, half ihm kurz vor seinem 18. Geburtstag mit der Anmeldung am Berufskolleg in Deutz. Im vergangenen Jahr machte Nenad dort seinen Hauptschulabschluss – und lernt nun für die Mittlere Reife. Der früher als geistig behindert Eingestufte ist heute einer der Besten seiner Klasse.

Es bleibt eine zerstörte Schullaufbahn und eine attestierte posttraumatische Belastungsstörung. Welcher Arbeitgeber stellt schon einen Förderschüler ein?, fragt sich Nenad immer wieder. Mit Hilfe einer Anwältin hat er er nun das Land NRW auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von fast 60 000 Euro verklagt. „Das ist die erste Klage dieser Art in Deutschland“, so seine Anwältin Anneliese Quack, die bei einem Urteil zu ihren Gunsten mit Folgeprozessen rechnet.

Ruf nach öffentlicher Debatte

Darauf hofft auch Eva Thoms, Vorsitzende von „mittendrin e.V.“. Zusammen mit weiteren Elternvereinen in ganz Nordrhein-Westfalen wünscht sie sich eine öffentliche Debatte, die Kindern in ähnlichen Situation hilft. Denn Nenads Fall sei zwar ein besonders dramatischer, aber kein Einzelfall. „Ich war richtig geschockt, als ich zum ersten Mal davon hörte“, sagt Thoms. „Nenad hat viel Leid und Schaden erfahren – und kann überhaupt nichts dafür.“

Einen Prozesstermin erwartet Rechtsanwältin Quack frühestens für Anfang 2017. Nenad hat inzwischen bei einer Psychologin einen neuen IQ-Test gemacht: Mit einem Wert von 94 ist er genauso intelligent, wie 50 Prozent der Bevölkerung.

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