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Karl MayDie Kölnische Volkszeitung – seine erbitterte Gegnerin

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Köln – Viele Schurken hat Old Shatterhand zur Strecke gebracht. Die „unerbittlichste Gegnerin“, wie Karl May selbst schrieb, lauerte jedoch in Köln, in der Marzellenstraße 20: die von Joseph Bachem herausgegebene „Kölnische Volkszeitung“, vertreten durch ihren Redakteur Hermann Cardauns.

Old Shatterhand, das war Karl May selbst, oder Scharlih, wie ihn Winnetou nannte. May hat alles, was in seinen Büchern beschrieben ist, höchstselbst erlebt – jedenfalls tat er jahrelang alles dafür, um dies glauben zu machen. Etliche ausgestopfte Tiere und andere Trophäen begrüßten in der Villa Shatterhand in Radebeul die Besucher.

May ließ sich als Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi fotografieren und zeigte sich in dieser Aufmachung seiner Leserschaft. Zuweilen lüftete er bei diesen Begegnungen das Hemd, um Narben zu präsentieren, die er von seinen Kämpfen davongetragen haben wollte.

Auch durch diese Marketingstrategie, die Autor und Erzähler in eins setzt, wurde Karl May zum erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit. Als solcher kam er am 1. Juni 1897 nach Köln, wo er im Hotel Ernst logierte und am 3. Juni Hof hielt: „Dr. Karl May ist heute Nachmittag von 4-6 Uhr, Hotel Ernst, Köln, für seine Leserinnen und Leser zu sprechen“, wurde in Kölner Zeitungen annonciert.

In der Domstraße 54 lebte wiederum der, den May als seinen Erzfeind ansah: Hermann Cardauns, 1847 als jüngstes Kind einer alten Kölner Juristenfamilie in der Wolfsstraße 16 in der Nähe von St. Aposteln geboren, ging auf die dortige Pfarrschule, später aufs neugegründete St.Aposteln-Gymnasium.

Nach dem Studium versuchte er sich kurz als Lehrer am Marzellengymnasium, doch meinte er hier seine Fähigkeiten zu vergeuden. Lieber wurde er Chefredakteur der „Kölnischen Volkszeitung“.

Dass die Kölnische Volkszeitung zur erbitterten Gegnerin Karl Mays wurde, konnte sich May selbst nur als Beziehungskrieg erklären. Ursprünglich hatten May und der Bachem-Verlag, in dem die Kölnische Volkszeitung erschien, nämlich eine Geschäftsbeziehung.

Karl Mays Erzählung „Die Gum“ hatte die Zeitung unter dem reißerischeren Titel „Wüstenräuber“ publiziert. Die Klärung der Honorarfrage verschob man laut May mit dem Hinweis: „Eine noble Zeitung zahle doch auch nobel, und man werde die Erzählung nach ihrem Erscheinen in der „Volkszeitung auch in ,Bachems Romansammlung’ aufnehmen.“

Irritiert vermerkte May jedoch, dass die nach Mahnung erfolgte Zahlung nur zehn Prozent seines üblichen Honorars betrug. Daraufhin will er dem Verlag das Recht entzogen haben, seine Erzählungen weiter zu drucken, und schrieb: „Wenn es erlaubt ist, eine Geschäftsverbindung mit der Ehe zu vergleichen, so ist die ,Kölnische Volkszeitung‘ jetzt Witwe.“

„Kulturkampf“ mit evangelischen Preußen

Bei seinem nächsten Kölnbesuch im November 1901 stand May dann jedoch in der Marzellenstraße, um dort ein Exemplar der „Wüstenräuber“ zu erwerben, die der Verlag trotz Verbots weiterhin druckte und verkaufte. Und gleichzeitig wendete sich der Verlag gegen ihn.

„Die Inhaber der ,Kölnischen Volkszeitung’ laden an ihren Fenstern jeden Vorübergehenden ein, ,Karl May’ zu kaufen“, klagt May, während sie gleichzeitig ihren Chefredakteur herumschickten, damit dieser „in öffentlichen Vorträgen und vor tausenden von Zuhörern die Welt vor ganz demselben Karl May warnen soll!“ Wie das zusammengehen sollte, verstand May nicht.

Cardauns Eifer beim Kampf gegen Karl May lag weniger an der unglücklichen Geschäftsbeziehung, sondern am sogenannten „Kulturkampf“ mit dem evangelischen Preußen, in dem die Kölnische Volkszeitung als Speerspitze des deutschen Katholizismus galt. Und gerade in dieser Phase wurden von Karl May, der als katholisierender Schriftsteller galt und für dessen Bücher mehrere Bischöfe Werbung machten, Jugendwerke unautorisiert wiederveröffentlicht: Kolportageromane, die Cardauns als pornographisch und „abgrundtiefe Unsittlichkeit“ empfand.

Von so einem musste sich die katholische Seite unbedingt distanzieren, so dass Cardauns in Karl Mays Augen „größter Hetzer seiner Zeit“ wurde. Karl May habe, schreibt Cardauns, „es fertig gebracht, gleichzeitig in ,Missionsarbeit’ und im Gegenteil zu machen. Seine reinliche und seine unreinliche Periode folgen sich nämlich nicht, sondern sie fallen zusammen, mindestens für den Zeitraum 1882-87.“

May sei „aller Wahrscheinlichkeit nach Protestant“, mutmaßt Cardauns sogar, „für das Gerücht, er sei in Amerika katholisch geworden, fehlt jeder Beweis!“ „Mein Glaube ist mein größtes Heiligtum, und meine Religion steht mir viel, viel zu hoch, als dass es mir auch nur einfallen könnte, sie mir von da oben in die Druckerschwärze herunterzerren zu lassen!“, entgegnet Karl May, der sogar Winnetou kurz vor dem Tod zum Katholizismus hatte übertreten lassen.

Man begann nachzuforschen in der Vergangenheit von Dr. Karl May und fand heraus, dass nicht nur sein Titel und seien Abenteuer erdichtet waren. Er hatte wegen Betrügereien und Eigentumsvergehen über sieben Jahre im Gefängnis verbracht und durfte schließlich laut Gerichtsurteil ein „geborener Verbrecher“ genannt werden.

May sah sich um seine „Ehre und um Summen von Hunderttausenden gebracht“, was „nur durch den wohlbekannten Herrn Cardauns von der Kölnischen Volkszeitung ermöglicht“ worden sei. Folgerichtig verarbeitete May ihn zum Henker Ghulam el Multasim („der Bluträcher, der Ertappte und Überführte, der vollständig Ehr- und Gewissenlose“) in „Im Reiche des Silbernen Löwen“.

Das Duell May gegen Cardauns geht wenig abenteuerlich aus: Weder Old Shatterhand noch sein Widersacher sterben während des Zweikampfs. Karl May erlebt noch, dass er nach jahrelanger Anfeindung im vollen Sophiensaal in Wien einen umjubelten Vortrag halten darf, bevor er acht Tage später, am 30. März 1912, stirbt. Und auch sein größter Feind stirbt 1925 eines natürlichen Todes. Er liegt beerdigt im Familiengrab auf Melaten (Lit. B).

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