Wehmütiger AbschiedChristoph Kuckelkorn ist zum letzten Mal Zugleiter am Rosenmontag

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Christoph Kuckelkorn als Zugleiter.

Köln – Wenn Christoph Kuckelkorn (52) vom bevorstehenden Rosenmontagszug erzählt, wirkt er, als müsse er seine eigene Beerdigung vorbereiten. "An diesem Tag werde ich leiden", sagt er mit gedrückter Stimme.

Elf Jahre ist er nun schon Zugleiter des größten karnevalistischen Massenspektakels in Deutschland. Mehr als 12 000 Teilnehmer, 70 Gruppen, rund eine Million Zuschauer. "Es wird schwierig für mich, dieses Kapitel zu beenden", meint er melancholisch.

Die Leidenschaft macht ihm keiner nach

Angekündigt von Fanfaren-Bläsern wird er morgens letztmals auf der Treppe der Severinstorburg den Zug eröffnen, letztmals wird er die Pole Position einnehmen und als Anführer der Jeckenschar auf dem ersten Wagen durch die Stadt fahren. Unter seinem Kostüm trägt er Funktechnik, die ihn ständig mit der Sicherheitszentrale verbindet.

"Manchmal ist es nicht witzig, Karneval zu machen. Die Leidenschaft für den Zug macht ihm keiner nach", lobt Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach, dessen Nachfolger Kuckelkorn nun nach Ostern werden soll.

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Christoph Kuckelkorn als kleiner Junge.

Christoph Kuckelkorn leitet in vierter Generation eines der größten Bestattungsunternehmen der Stadt, seine beiden Kinder Laura und Marcel sind erwachsen, ein Enkelkind hat er bereits. Einen schweren Schicksalsschlag musste er verkraften, als seine Frau Michaele im Jahr 2000 bei einem Motorradunfall ums Leben kam.

Später heiratete er die vierfache Mutter Cassia, inzwischen ist er mit Katia Gonçalves-Wittke liiert, die zwei junge Töchter hat. Ein Patchwork-Profi, sozusagen. "Familie ist mir wichtig, hier kann ich auftanken", sagt er.

Neuerungen unter Kuckelkorn

Als Kuckelkorn das Ehrenamt "Zugleiter" übernahm, kümmerte sich außer dem Zugleiter nur noch eine Sekretärin um das karnevalistische Großereignis. "Diktatorisch" sei der Rosenmontagszug bis dahin organisiert gewesen, dies habe er ändern wollen. "Auch gleich große Gruppen haben unterschiedliche Summen für die Zugteilnahme gezahlt.

Inzwischen gibt es eine klare Preisliste, mit Kosten für Teilnehmer, Wagen und Begleitfahrzeuge", erzählt er. Heute ist die Zugleitung ein Team, die meisten Persiflagewagen sind mit GPS ausgestattet, an der Universität Duisburg ist die Geschwindigkeit des Rosenmontagszugs penibel untersucht worden, die Kölner Sicherheitsstandards gelten bundesweit als vorbildlich.

Der bislang populärste Zugführer

Zugleiter und Bestatter, diese kuriose Kombination hat Christoph Kuckelkorn wohl zum bislang populärsten Verantwortlichen des Rosenmontagszugs werden lassen. Er ließ sich im Sarg liegend interviewen, bei Vox war das Familienleben als Soap zu sehen. "Im Rückblick sehe ich manches anders", meint er nachdenklich, er würde sich nicht mehr so ins Rampenlicht stellen.

"Ungestümer" sei er früher gewesen. Genau diese Eigenschaft hat ihn wohl auch Zugleiter werden lassen. "Ich bin ins Festkomitee gestolpert, wusste nicht, was auf mich zukommt", erzählt er. Damals, im Jahr 2005, gab es gerade erst Internet und E-Mail in der Karnevalszentrale.

Seitdem er erstmals durch die Tür am Maarweg ging und die Vorgänge in der Wagenbauhalle kennenlernte, muss er mit dem Vergleich der Züge in Köln und Düsseldorf leben. In Düsseldorf seien die Persi-flagewagen mutiger, provokanter, gewagter, heißt es gerne. Jahr für Jahr betont Kuckelkorn, dass beiden Zügen unterschiedliche Konzepte zugrunde liegen.

"Diese Botschaft muss ich immer wieder neu missionieren", sagt er und wirkt genervt, die Manöverkritik am Kölner Zug sei anfangs "schwierig" für ihn gewesen. "Ich musste mir ein dickes Fell zulegen, um das alles wegzustecken", sagt Kuckelkorn, der Zugleiter.

Schwerer Schicksalsschlag

Als Kuckelkorn Ende 2004 nach dem schweren Tsunami nach Thailand reiste, wo Leichen in Containern gesammelt wurden, funktionierten seine emotionalen Abwehrkräfte. "Mit solchen augenscheinlich schlimmen Dingen kann ich sehr gut umgehen. Ich arbeite ein Schema ab, bin völlig klar bei der Sache", sagt Kuckelkorn, der Bestatter und Thanatopraktiker (Einbalsamierer).

Doch manche Erlebnisse passen in kein Schema. Das kleine Kind etwa, das in Thailand allein am Flughafen wartet, weil seine Eltern die Flutwelle nicht überlebt haben. "Das hat mich umgerissen, daran hatte ich lange zu knabbern", erzählt er. Als Christ frage er sich oft nach den Gründen für Schicksalsschläge. Seinen Glauben hat dies bislang nicht erschüttert.

Kostüme sagen viel über den Menschen aus

Wenn die Maskerade fällt, wenn Menschen ihr Innerstes offenlegen müssen, diese Situationen mag Kuckelkorn. Sie wirken widersprüchlich zum Karneval, dem Maskenfest, wo niemand er selbst sein muss. "Die Kostüme sagen unheimlich viel über die Menschen aus", erzählt er. Er selbst maskiere sich gerne als Clown. "Oder so, dass mich niemand erkennt." Je näher der Rosenmontag rücke, "desto stärker leide ich unter dem Druck", bekennt er.

Als das Festkomitee vor zwei Jahren unter dem Eindruck der Terrorgefahr den Motivwagen zum Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" zurückzog, sei dies "ein Tiefpunkt" gewesen. International hatten Kommentatoren die Verantwortlichen in Köln mit Spott bedacht. Damals warf er schwermütig Kamelle und Strüßjer von seinem Wagen.

Entspannen auf der Harley

Im Sommer setzt sich Christoph Kuckelkorn gerne auf seine Harley, streift seine Lederjacke über, auf deren Rücken ein Totenkopf mit Pappnase prangt. Als jecker Easy Rider ginge er am liebsten immer durchs Leben, unbeschwert, genussvoll. "Ich musste das erst lernen. Manchmal mache ich ganz egoistisch mein Ding, um die innere Balance zu halten", sagt er.

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Jeckes Leben: Harley-Fan Christoph Kuckelkorn wechselte vom heimischen Reiterkorps (u.r.) in die Zugleitung.

Der Karneval, das war schon immer eine Familienangelegenheit bei Kuckelkorns. Sein Vater wurde schon als 16-Jähriger bei den Blauen Funken aufgenommen. Er selbst ging früh als Kamellejunge im Rosenmontagszug mit. Selbst als sein Vater Prinz war, packte er auf dem protzigen Prinzenwagen die Kartons mit den Süßigkeiten aus, anstatt selbst zu werfen.

Seine eigenen Kinder tanzten auch bei den Blauen Funken. Welchen Dienstgrad er dort inzwischen bekleidet? "Ich weiß es nicht. Dafür ist mir das auch zu unwichtig", sagt er. Und mehr als Festkomitee-Präsident geht ja auch nicht.

Wenn alles glatt läuft, wird er nun der nächste Festkomitee-Präsident. Dann wird er kommendes Jahr etwas weiter hinten im Zug fahren. Wieder auf einem eigenen Wagen. Wo da der Unterschied ist? "Innerlich muss ich mich jeden Tag ein Stück von der Zugleitung verabschieden", sagt er. Es klingt nach Trauerarbeit.

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