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Köln im SchritttempoViele Pendler äußern Verständnis für die Streiks

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Köln – Verwirrt bleibt Petra Abels vor dem rot-weißen Absperrband stehen. Der Weg in die Haltestelle Breslauer Platz ist versperrt. „Wie komme ich jetzt da runter? Ist was passiert“, fragt sie. Als sie die Wahrheit hört, schlägt sie sich dreimal mit der Faust gegen den Kopf. Der KVB-Streik, richtig, den hatte sie vergessen. „Wie komme ich denn jetzt zum Barbarossaplatz?“ Antwort: Mit einem Leihfahrrad, zu Fuß, mit dem Taxi, mit einem Leihwagen. Sie dreht sich um, zückt ihr Handy und sagt: „Ich rufe meine Arbeitskollegin an“. Die soll sie abholen. Dann geht sie und setzt sich in ein warmes Café im Hauptbahnhof.

Leere Restaurants

Zu den Verlierern des Streiktags zählten auch die Restaurants. Beim Brauhaus Schreckenskammer im Eigelstein-Viertel waren bis zum Mittag 15 Reservierungen storniert worden. Grund: „Die Leute wissen nicht, wie sie nach Hause kommen sollen“, sagte ein Köbes. (ta)

Petra Abels flüchtet vor dem nasskalten Wetter, der die Mobilität am Tag des Warnstreiks im öffentlichen Dienst zusätzlich erschwert. Die Bahnen der KVB fahren nicht, viele städtische Mitarbeiter streiken, Kindergärten sind geschlossen. Die Auswirkungen sind auf fast allen Straßen zu beobachten. Nein, Köln ist nicht lahmgelegt am Mittwoch, der Puls der Stadt jedoch auf Schrittgeschwindigkeit runtergefahren. In den Regionalbahnen und S-Bahnen stehen die Pendler teilweise dicht an dicht.

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Auffällig viele Radfahrer sind unterwegs, auffällig viele Fußgänger. Viele Straßen Richtung Innenstadt sind voll. Autofahrer kommen nur langsam voran. Innere Kanalstraße und Venloer Straße etwa sind dicht, die Autofahrer nervös bis gereizt. Hupkonzerte sind ebenso regelmäßig zu hören wie Beschimpfungen durch geöffnete Autofenster. Am Hans-Boeckler-Platz vor der Verdi-Zentrale begegnen sich Streikende und Streik-Opfer, doch dort es bleibt ruhig.

Christoph Schmidt hingegen ist beschimpft worden, dabei wollten er und seine Mitstreiter vom Radfahrverband ADFC den Radlern nur etwas Gutes tun. Zusammen mit Freiwilligen stand er ab sieben Uhr morgens mit Kaffee bewaffnet auf der Deutzer Brücke. „Leider hielt wegen des schlechten Wetters zunächst kaum ein Radfahrer an“, berichtete Schmidt. Die meisten hätten sich aber freundlich vom Fahrrad aus bedankt. „Zwei allerdings haben uns für Gewerkschaftler gehalten und uns beschimpft.“

Die Aktion hatte der ADFC unabhängig vom Streik geplant, sie soll regelmäßig wiederholt werden. Nach zwei Stunden war der Kaffee verteilt, etwa 60 Radler wurden bedient. „Die Hälfte waren wegen des Streiks mit dem Fahrrad unterwegs“, wusste Schmidt.

Nicht wenige hatten sich mit Leihrädern bei KVB und Deutscher Bahn versorgt. „An Bahnhöfen haben wir extra mehr aufgestellt“, sagte KVB- Sprecher Matthias Pesch. Mit Erfolg. Statt der sonst üblichen 300 Fahrten wurden die Räder am Mittwochmorgen im Pendlerverkehr 800-mal genutzt. Auch die Busse der Subunternehmer, die trotz Streik fuhren, waren laut Pesch gut frequentiert. Allerdings standen sie genauso im Stau wie diejenigen, die auf die Fahrzeugflotte von Car2Go und Drivenow umgestiegen waren. Aus beiden Unternehmen hieß, die Auslastung an Streiktagen steige um 30 bis 50 Prozent.

Eine pendelnde Studentin nutzte eine Fahrradrikscha, um zu Hause ihr Fahrrad abzuholen. Stefan Schlitt vom Anbieter Rikolonia freute sich über den höheren Umsatz. „Wir hatten heute rund 60 Prozent mehr Fahrten als sonst.“ Zehn Rikschas waren im Einsatz, „ich hätte auch 20 auslasten können“, sagt Schlitt.

Diese Quote dürfte bei den Taxifahrern am Mittwochmorgen  deutliche höher gewesen sein. Zwischen neun und zehn Uhr waren nur noch wenige Taxis verfügbar, obwohl die Unternehmen mehr Fahrzeuge auf die Straße gebracht hatte. Eine lange Warteschlange von Reisenden hatte sich in dieser Zeit am Taxistand am Bahnhofsvorplatz gebildet. Darunter auch Torsten Rick, der werktags aus Remagen zur Commerzbank-Filiale in Nippes pendelt. Den Streik nahm er wie viele Pendler am Hauptbahnhof gelassen: „Es gibt ja das Streikrecht.“ Der 36-Jährige wusste zu berichten, dass sein Zug ab Brühl voller wurde als sonst. Neben ihm stand eine Flugbegleiterin in Uniform, die vom Streik des Bodenpersonals in Frankfurt in den Kölner Streik geraten war und jetzt einfach nur noch nach Hause in Sülz wollte.

Kitas und Kliniken

Auch Mitarbeiter von städtischen Kindertagesstätten und Kliniken haben gestern gestreikt. Da sich an den Krankenhäusern Merheim und Holweide und am Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße aber weniger als 100 Beschäftigte am Streik beteiligten, waren die Auswirkungen gering. Zu Wartezeiten für Patienten kam es wegen der Streiks bei KVB und Kindertagesstätten aber dennoch.

Bei den Kitas sah die Situation schon anders aus. 135 städtische Einrichtungen waren geschlossen, 77 konnten Notgruppen einrichten, 17 waren ohne Einschränkung geöffnet, teilte die Stadt mit. Die Eltern äußerten teilweise Unverständnis für den Streik, vor dem Hintergrund des vierwöchigen Ausstands der Kindertagesstätten im vergangenen Jahr. Die Stadt selbst verzeichnete aber keine Beschwerden.

Bestreikt wurden bei der Stadt auch das Grünflächenamt und das Amt für Straßen und Verkehrstechnik. Bei den Bühnen fielen zwei Proben aus. Die Kundenzentren waren laut Presseamt nicht beteiligt. (sol)

Zuvor stand auch sie vor den rot-weißen Flatterbändern am Eingang zur U-Bahn-Haltestelle Dom/Hauptbahnhof. Auf einem Blatt Papier stand dort zu lesen: „Dieser Betrieb wird bestreikt.“ Informationen auf Englisch gab es nicht. Zwar wirkten viele Pendler über den Streik informiert, nicht wenige erfuhren davon erst am U-Bahn-Eingang. Nach einem Moment der Verwirrung, drehten die meisten schicksalsergeben um, um sich auf anderem Weg zum Ziel durchzuschlagen. Darunter war auch Peter Heyer. Er hatte gehofft, dass „vielleicht doch noch einige Bahnen fahren.“ Als er durch die Realität vom Gegenteil überzeugt wird, flucht er kurz, äußerte anschließend aber Verständnis für den Streik. Und macht sich dann zu Fuß auf zur Universität, wo er eine Fortbildung seines Arbeitgebers besuchte. „Ich habe mir extra Wanderschuhe angezogen.“ So ging es auch für ihn im Schritttempo durch die Stadt.

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