Kölner HauptbahnhofDer unterirdische Versorgungstunnel der Bahn

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Tunnelblick: Martin Hemmersbach, 65, arbeitete neun Jahre lang im Versorgungstunnel unter dem Hauptbahnhof, darüber lässt die Bahn ihre Züge beladen.

Tunnelblick: Martin Hemmersbach, 65, arbeitete neun Jahre lang im Versorgungstunnel unter dem Hauptbahnhof, darüber lässt die Bahn ihre Züge beladen.

Köln – Martin Hemmersbach, 65, kennt den Weg in den Untergrund, er führt acht Meter unter den Kölner Hauptbahnhof.

Der Weg dorthin dauert per Lastenaufzug nur 13 Sekunden, Hemmersbach kennt ihn aus jahrelanger Erfahrung, bis April war er Gruppenleiter bei der Warenlogistik der Deutschen Bahn.

Der Aufzug fährt von den Gleisen hinunter in den 1,4 Kilometer langen Tunnel: Er ist für die Bahn sozusagen die Speiseröhre des Bahnhofes, über ihn belädt sie ihre Züge unter anderem mit Essen und Getränken.

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„Der Tunnel ist schon etwas Besonderes“

Es sind 13 Sekunden, die später mit über die Laune vieler Bahnfahrer entscheiden – zumindest laut Hemmersbach: „Wenn die Zeitung im Zug fehlt, ist der Kunde unzufrieden. Das wollen wir vermeiden.“ Neun Jahre lang arbeitete Hemmersbach bei der Warenlogistik, die rund 70 Mitarbeiter beladen rund um die Uhr 120 Züge pro Tag, im Schnitt macht das täglich 500 Liter Kaffee, 800 Flaschen Bier, 900 Brötchen, 600 Croissants und 300 Brezel. Der Tunnel führt vom Warenlager an der Stolkgasse bis zum Breslauer Platz vor den Hauptbahnhof. „Der Tunnel ist schon etwas Besonderes“, sagt Heinz Meyer, Leiter der Logistik Operations Bordservice.

Die Post hatte die Röhre 1873 gebaut, nutzte sie, um große Postsendungen vom Briefverteilzentrum an der Stolkgasse zum Hauptbahnhof zu transportieren und auf die Züge zu verladen. 1997 übernahm die Bahn den Tunnel, er ist über mehrere Aufzüge mit den Gleisen verbunden.

Jeden Tag kommt frische Ware, es gibt ein Tiefkühlhaus

Etwa vier Meter breit ist der Tunnel, genauso hoch. „Ich habe darunter nie gelitten, keine Beklemmung gefühlt“, sagt Hemmersbach. Im April dieses Jahres war Schluss für ihn, mit 65 Jahren ist er in Rente gegangen, irgendwann ist ja mal genug – nach insgesamt 43 Jahren bei der Bahn, die letzten neun „unter Tage“ am Hauptbahnhof.

Das Prinzip bei der Beladung ist immer dasselbe: Etwa zehn Minuten bevor ein Zug hält, stehen die Mitarbeiter mit ihren kleinen Elektro-Schleppern und Anhängern auf den Zwischengleisen. Sie liegen auf der Seite des Zuges, auf der die Fahrgäste nicht einsteigen, so bekommen die Kunden nichts mit vom „Nachladen“. Die Ware haben die Mitarbeiter zuvor im Lager unter dem Briefverteilzentrum geladen, laut Hemmersbach das Herz der gesamten Logistik.

Jeden Tag kommt frische Ware, es gibt ein Tiefkühlhaus: Minus 21 Grad Celsius kalt, die Angestellten tragen Handschuhe und eine dicke Winterjacke, der Atem ist in der Luft zu sehen.

Rasen ist nicht drin, Stopp-Schilder regeln den Verkehr

Jeder Zug erhält einen eigenen Container mit Ware, die Fahrer transportieren ihn mit dem Schlepper durch den Tunnel. Rasen ist nicht drin, schneller als elf Stundenkilometer fahren ist nicht erlaubt, Stopp-Schilder regeln den Verkehr. „Wenn ich einen sehen würde, der sich nicht daran hält, würde ich ihm ein paar Takte sagen“, sagt Hemmersbach, dabei lächelt er – wie so häufig.

Über Aufzüge geht es unter den Gleisen nach oben, es muss schnell gehen: Acht Minuten haben Hemmersbach und Co. Zeit für das Verladen, die Griffe müssen sitzen, Bummeln ist verboten, Teamarbeit ist gefragt. „Das ist ein eingeschworenes Team“, sagt Hemmersbach. Verspätet sich ein Zug, müssen sie schneller arbeiten – oder gar nicht, dann fahren die Züge eben ohne neue Ware weiter. Für Hektik sorgen ungeplante Gleiswechsel. „Das ist schwierig. Wir müssen wieder mit dem ganzen Material runter in den Tunnel, dann wieder an anderer Stelle hoch“, sagt Hemmersbach.

Im Untergrund ist von Kritik nichts zu hören

Oder es gibt ungeplante Nachlieferungen, bis ungefähr 45 Minuten vor der Ankunft am Kölner Hauptbahnhof können Bahn-Mitarbeiter aus dem fahrenden Zug nachordern, etwa wenn kein Kaffee mehr an Bord ist oder Brötchen fehlen. Laut Hemmersbach passiert das in Köln rund 70 bis 80 Mal am Tag, dann muss es schnell gehen. „Im Schnitt schaffen wir 78 davon, und nur zwei nicht. Das Ziel ist es immer, alle Züge zu beladen“, sagt Hemmersbach.

Doch das gelingt nicht immer, und dann ist das Geschrei oft groß bei den Fahrgästen. Kein Kaffee oder keine Zeitung? Typisch Bahn, heißt es dann oft. Hemmersbach kennt die Reflexe der Kunden, 29 Jahre als Zugbegleiter sprechen aus ihm – aber im Untergrund ist von der Kritik nichts zu hören.

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