Kölner MorgenwanderungenDer morgendliche Klang der Brücken

Lesezeit 4 Minuten
Den Morgenwanderern, hier auf der Katzenbuckelbrücke, bieten sich unvergessliche Blicke auf das morgendliche Köln.

Den Morgenwanderern, hier auf der Katzenbuckelbrücke, bieten sich unvergessliche Blicke auf das morgendliche Köln.

Köln – Die Verbindung zwischen den Welten ist rund und schraubt sich spiralförmig Richtung Himmel. Nüchtern beschrieben ist ihre Funktion, Radfahrern und Fußgängern einen Weg von der Zoobrücke zum Rheinpark zu bieten. Am Freitagmorgen um 7 Uhr aber ist sie die Brücke zwischen leise und laut, dunkel und hell, Natur und Beton.

Aufbruch um 5.30 Uhr in Stammheim

Der Gruppe, die um 5.30 Uhr in Stammheim aufgebrochen ist, um Köln im Dunkeln entgegenzuwandern bietet sie den größtmöglichen Kontrast. Eben noch war im menschenleeren Jugendpark das Rascheln der Vögel in den Baumwipfeln zu hören, auf dem Fußweg der Zoobrücke brüllt den Wanderern der urbane Pendlerverkehr ins Gesicht. „Es ist interessant“, sagt Stefanie Wunderlich, „die Mülheimer Brücke eben hat anders geklungen, viel tiefer.“

Die 35-Jährige ist eine der 30 Kölnerinnen und Kölner, die am Freitag um 4.30 Uhr aufgestanden sind, um ihre Heimatstadt aus einer anderen Perspektive zu erleben. Angelockt hat sie eine Veranstaltung, die nur auf Facebook angekündigt wurde: „Köln erwacht: vor Sonnenaufgang in die Stadt“. Daniela Klütsch und Marcel Hövelmann haben diese Morgenwanderungen vor einem Jahr ins Leben gerufen. Der 40-Jährige mit Vollbart war unabhängiger Oberbürgermeisterkandidat und hat mehr als 9000 Stimmen bekommen. Vor allem aber ist der Diplom-Geograf an allen Themen rund um Mobilität, Urbanität und die Verbindung zur Natur interessiert. In Daniela Klütsch hat er eine Gleichgesinnte gefunden. Gemeinsam haben sie die Facebook-Gruppe „Wandern und radeln in und um Köln“ gegründet, die mehr als 2000 Mitglieder zählt und sich mittlerweile selbst organisiert. Aus diesem Pool speisen sich auch die Morgenwanderer.

Menschen wie Stefanie Wunderlich, Lehrerin im Sabbatjahr, kurze braune Haare, Stecker in der Nase, die am Tag nach der Wanderung für eine Woche auf einem Frachtschiff Mosel und Rhein befahren wird. Aber auch Frauen wie Petra Dhein, 49, und Regina Nolte, 43, die als einzige in der Gruppe Wanderschuhe tragen: „Wir haben gestern Abend noch telefoniert und dann entschieden, wir machen mit.“ Hövelmann sagt: „Erst am Morgen entscheidet sich, ob man mitkommt oder nicht.“ Dass es 30 werden, die sich mit auf die zehn Kilometer lange Tour begeben, damit hat er nicht gerechnet.

Zu Beginn herrscht in der Gruppe noch eine gewisse Unruhe, einige Kichern, unterhalten sich laut, obwohl Hövelmann zum Start noch darauf hingewiesen hat, „nicht allzu viel zu reden“, sondern auf die Geräusche der Frühe zu achten. Um die Gruppe zu disziplinieren, braucht es keinen weiteren Appell, das erledigt die einschüchternde Dunkelheit des Stammheimer Schlossparks. Aus der diffusen Finsternis schälen sich Skulpturen, die wie Monster wirken, gesprochen wird nur im Flüsterton. „Ich habe gestaunt, wie laut das Rascheln der Blätter unter den Füßen sein kann,“ sagt Wunderlich, die sich trotz der morgendlichen Frühe leicht geschminkt hat.

Einschüchternde Dunkelheit des Stammheimer Schlossparks

Als der Rhein erreicht ist, werden die Geräusche lauter. Mit tuckerndem Dieselmotor kämpft ein Frachtschiff gegen den Strom und begleitet die Gruppe eine Weile. Mit dem Lärm nehmen auch die Gespräche wieder Fahrt auf. Dirk Wahn, 36, erzählt, dass er bei der Premiere der Morgenwanderung im vergangenen Jahr dabei war. Startpunkt war der Neumarkt, der Schwerpunkt lag auf dem urbanen Erlebnis in der Frühe. Das Stammheimer Rheinufer hingegen bietet einen Blick auf das „schöne Köln“, wie Mitorganisatorin Klütsch es formuliert.

Plötzlich wird der Blick frei auf die Innenstadt

Die Gruppe passiert gegen 6.15 Uhr den schlafenden Mülheimer Norden. Plötzlich wird der Blick frei auf die Innenstadt, der Dom ist zu sehen, die beleuchteten Brücken. „Ich habe die Weltkugel und den Dom noch nie so schön leuchten sehen“, sagt Dhein, die sonst nicht durch die Stadt, sondern durch Wälder wandert. Der Weg führt über die Katzenbuckelbrücke in den Jugendpark, im Hafen wird auf einem Schiff gearbeitet. Ein Strahler blendet die Teilnehmer, die Zoobrücke holt die Gruppe endgültig in das Großstadtleben zurück. Nach dem Abstieg von dem Bauwerk aus Stahl und Beton auf der anderen Rheinseite ist es deutlich heller geworden. Die Gesichter der Mitwanderer, die in der Dunkelheit nur zu erahnen waren, werden aus der Anonymität geholt. Ein Pärchen, das den Weg Hand in Hand absolviert hat, läuft einer Joggerin in die Arme, die das Paar kennt. „Was macht ihr denn hier?“, fragt sie.

„Die gleichen Dinge einmal mit anderen Augen sehen“

„Jetzt im Hellen fühlt es sich normaler an, durch die Stadt zu laufen“, sagt Klütsch. Sie war es, die vor über einem Jahr damit begonnen hat, um 5 Uhr aufzustehen, um Spaziergänge durch die Stadt zu unternehmen – der Ursprung der Morgenwanderungen. „Ich wollte einmal die gleichen Dinge mit andere Augen sehen“, erklärt die 35-jährige Grafikdesignerin ihre Motivation. Erst in einem Jahr soll es wieder eine Morgenwanderung geben.

Es ist 7.44 Uhr als die Gruppe das Ziel, den Wochenmarkt am Sudermanplatz, erreicht. Zeitgleich geht die Sonne auf. Einige Teilnehmer gehen jetzt zur Arbeit, andere frühstücken, um über ein Erlebnis zu reden, das sie nichts gekostet hat – außer die Überwindung, um 4.30 Uhr aufzustehen.

Rundschau abonnieren