Neues, altes EhrenfeldEin multikuturelles Dorf mitten in der Großstadt

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Die Venloer Straße verbindet Welten quer durchs Veedel.

Die Venloer Straße verbindet Welten quer durchs Veedel.

Köln – Auf den ersten Metern duftet es nach Türkisch Mokka und Smoothie mit Ananas-Minze-Mango, nach Falafel vegetarisch, frischem Bio-Brot und Cheesecake. Neben türkischen Juwelieren, 10-Euro-Friseuren und kölschen Kiosken entstanden neue Läden mit Namen wie „Zeit für Brot“, „Café Ehrenfeld“ oder „Schwesterherz“. Die Venloer verbindet Welten.

Nicht nur zu den Design-Passagen oder Musik-Events pilgern Anwohner und Besucher besonders in Seitenstraßen und Clubkeller, viele Studenten und immer mehr Touristen entdecken auch „die Venloer“. Schon auf dem ersten Ehrenfelder Stück zwischen Pius- und Körnerstraße, im Schatten der Moscheetürme, sprießen Locations mit Außenterrassen, wird Latte Caramel und selbst gemixte Holunder-Limo an Tischen direkt neben der Straße serviert.

Im Café Ehrenfeld ist eine Spezialität Türkischer Mokka „im Sand“.

Im Café Ehrenfeld ist eine Spezialität Türkischer Mokka „im Sand“.

„Früher hat mancher die Nase gerümpft und gefragt, was willste denn in Ehrenfeld?“, erinnert sich Victor Dünn vom Frechener Gut Clarenhof, der in Haus Nummer 210 ein Hoflädchen eröffnete. Spargel dick, Spargel krumm, Spargel kurz, das Kilo zwischen 4,90 und 6,90 Euro, Bio-Eier, frisches Obst und Gemüse aus eigenem und regionalen Anbau gehören zum Sortiment. „Das Viertel ist mittlerweile ungemein beliebt“, so Dünn, aus Ehrenfelder Familie. „Hier läuft ein positiver Wandel, die Mischung ist vielfältig vom Rentner bis zum Hipster, von shabby bis schick“, meint der Inhaber. Sie seien als eine Art „kleine Rebellen“ vor zwei Jahren angetreten, gegen Großhandel und Massenprodukte eroberten sie Nischen mit regionalen Produkten und ökologischem Gesamtkonzept.

Im Ehrenfelder Hoflädchen vom Frechener Gut Clarenhof (l.) gibt es seit zwei Jahren Bio-Produkte aus eigenem Anbau.

Im Ehrenfelder Hoflädchen vom Frechener Gut Clarenhof (l.) gibt es seit zwei Jahren Bio-Produkte aus eigenem Anbau.

Diese Mischung macht’s, findet auch Andrea Wießler. Auf der Suche nach einem guten Standort für ihre mit viel Liebe eingerichtete Bäckerei „Zeit für Brot“ fuhr sie viele Male die Venloer Straße hoch und runter und zweifelte: „Hier waren so viele Billigläden, Ein-Euro-Shops, runtergekommene Ecken“, erzählt die ehemalige Leiterin eines Unternehmens. „Aber es gibt auch so megaschöne Häuser in Seitenstraßen, immer mehr originelle Läden, und die Leute hier sind so nett“, schwärmt die Betriebswirtin.

"Zeit für Brot" backt immer frisch, mit Fenster zur Straße.

"Zeit für Brot" backt immer frisch, mit Fenster zur Straße.

Ihre Standortanalyse ergab, dass es im Trend-Veedel auch die nötige Kundschaft und das Qualitätsbewusstsein gibt. Renner sind zum Beispiel die Rhabarberschnecken ( 2,70 Euro), „Käsedings“ für 1,80, Roggenbauer-Brot wie zu Omas Zeiten, alles ständig frisch gebacken. „Das macht Spaß“, schwärmt sie trotz 12-bis-14-Stunden-Tag. „Total schön“ findet die Geschäftsfrau auch die Nachbarschaftshilfe: Ein Kunde reparierte ihr ein Regal „för ömesöns“. „Hier ist Großstadt, aber auch Dorf.“ Während andere alteingesessene Tante-Emma-Läden dicht machten, etablieren sich neue mit individueller Einrichtung und ausgefallenen Ideen – zwischen Billig-Discounter und Bio-Supermarkt.

Die Bäckerei mit skandinavisch-schlichtem Stil, viel Glas und Holz, bietet vom Frühstück über Mittagsstulle bis zum Kaffee verschiedene Leckereien. Manche Eltern machen mit Pänz Ausflüge zur Backstube mit Schaufenster. Mit Bio-Brötchen beliefert wird auch der „Weltempfänger“,

"Ehrenfeld muss man nicht mehr bewerben"

Das Hostel entdeckte schon vor rund acht Jahren den Charme des einstigen Arbeiterviertels. „Es hat sich schön entwickelt: Nette Nachbarn, kreative, weltoffene Ausstrahlung bis hin zur Moschee“, sagt Britta Sachs. „Es ist nicht mehr so, dass man Ehrenfeld bewerben muss, es steht schon in den Reiseführern.“ Das Hostel mit 50 Betten (zu 19 bis 59 Euro) beherbergt Gäste aus aller Welt. „Früher fühlten sich viele hier weit weg vom Zentrum.“

Das „cafecafe“ nebenan brummt mit seinem Angebot von Bagels bis Smoothies. Viele Mitarbeiter von benachbarten Firmen, von Kreativ-Agenturen im Barthonia-Forum bis Siemens, kommen etwa in der Mittagspause vorbei. „Die jungen Leute schätzen Urban Eat, moderne Esskultur“, sagt Kathleen Holdorf (31). Bestseller hier: Cheesecake und Smoothie Nummer 8 mit Ananas-Minze-Mango. „Hier wollen junge Leute auch gerne wohnen.“

Schon 52 Jahre vor Ort: Der Eier- und Obststand am Geisselplatz.

Schon 52 Jahre vor Ort: Der Eier- und Obststand am Geisselplatz.

Zu den ältesten Händlern gehört der Eier- und Gemüsestand am Geisselplatz, vis-a-vis Traditions-Adressen wie Haus Scholzen. „Wir sind hier seit 52 Jahren, zwischendurch war’s mal schlimm, mittlerweile ist es wieder besser“, sagt die Stand-Inhaberin.

Rad-Experte Rolf Moll (l.) fühlt sich im Veedel sehr wohl.

Rad-Experte Rolf Moll (l.) fühlt sich im Veedel sehr wohl.

Die Umgestaltung mit neuen Radwegen auf der Straße findet Rolf Moll vom „Bike Depot“ „nicht so doll“, auch steigende Mieten und teurere Immobilien gehören zu Schattenseiten des Wandels. „Ansonsten ist alles sehr schön, kinderreich, viele nette Leute auf der Straße.“ Polizisten werden „immer begrüßt“, Flüchtlinge bekommen von ihm alte Reifen spendiert. „Auf der Venloer gilt: Hier werden Sie geholfen“, sagt er, „und nicht immer direkt kassiert.“

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