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Therese Schlundt„Immer auf der Seite der Kinder“

Lesezeit 4 Minuten
60 Jahre als Hebamme tätig: Nun ist Therese Schlundt 90 Jahre alt geworden. Sie lebt mit ihrer Tochter Ingrid in Seeberg.

60 Jahre als Hebamme tätig: Nun ist Therese Schlundt 90 Jahre alt geworden. Sie lebt mit ihrer Tochter Ingrid in Seeberg.

Köln – Neun Jahrzehnte hat sie schon erlebt. 60 Jahre davon war sie als Hebamme tätig. Rund 4000 Kindern habe sie in dieser Zeit auf die Welt geholfen. Und 30 Jahre lang bot sie in der „Oase“ in Longerich Müttern Raum zum Austausch und beriet sie. Therese Schlundt ist eine lebende Legende. Lange galt sie sogar als älteste praktizierende Hebamme.

Aber nun soll es doch noch eine Art Ruhestand für sie geben. Am 10. August ist sie immerhin 90 Jahre alt geworden und so wird sie zum 30. September das Zentrum Oase schließen. Geburtstag, Jubiläen und Abschied werden heute mit einem Familienfest in der Oase begangen.

1922 wurde Schlundt in Jünkerath in der Eifel geboren. Im dortigen Bahnhof. So wie auch ihre fünf Geschwister in Bahnhöfen das Licht der Welt erblickten. Der Grund: Ihr Vater war Eisenbahner. So wuchs sie in verschiedenen Städten auf und lernte früh ihren späteren Mann Heinz kennen. Mit 19 bekam sie ihre Tochter Ingrid. Erst mit 29 Jahren begann Schlundt ihre Ausbildung zur Hebamme. „Ich war eine Spätberufene“, sagt sie heute.

1959 zogen sie nach Köln. Ihr Mann, der 1994 nach 53 Ehejahren verstarb, habe sich damals mit „Hebammerich“ am Telefon gemeldet. Denn Schlundt war fortan rund um die Uhr für die Frauen erreichbar. Für ihr geburtshilfliches Engagement wurde sie sogar mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Ihr Leben bietet sicher unzählige Geschichten – einige davon füllen bereits zwei Bücher (im Aufbau- und im Bachem-Verlag).

Heute wohnt Schlundt in Seeberg mit ihrer Tochter Ingrid Udelhoven. Die 71-Jährige lebt eigentlich in Belgien, kehrte aber für ihre Mutter nach Köln zurück. Udelhoven ist Kinderkrankenschwester, sie lernte als eine der Ersten am Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße, das an diesem Wochenende 50-jähriges Bestehen feiert, und hat die Oase zuletzt zusammen mit ihrer Mutter geführt. „Was uns zusammenschweißt, ist unsere Kinderliebe“, sagt Schlundt über ihre Tochter. Udelhoven ist selbst Mutter von vier Kindern und hat bereits sieben Enkelkinder, einige wurden natürlich von Schlundt auf die Welt geholt.

Was ihre Mutter angetrieben habe? „Sie stand immer auf der Seite der Kinder“, sagt Udelhoven. Sie habe nicht jeden Trend mitgemacht, sondern individuelle Beratung geboten und das Selbstwertgefühl der Frauen bestärkt. Die Idee zur Oase kam ihr vor 30 Jahren durch eine Episode in der Bibel: Die Jungfrau Maria erfährt vom Engel, dass sie ein Kind gebären werde und dass auch ihre Verwandte Elisabeth schwanger sei. Das bewegt Maria zu einem Besuch bei Elisabeth. „Wer schwanger ist, sucht die Gemeinschaft“, ist die Erkenntnis, die Schlundt daraus zieht. Und um diese ging es im Oase-Zentrum für Geburtsvorbereitung und -nachsorge.

So half Schlundt auch Lisa Declair, als diese vor zwei Jahren Töchterchen Stella zur Welt brachte. „Ich hatte solche Panik vor der Geburt“, erinnert sich die 25-Jährige. Aber vor allem Schlundts Wehensong habe ihr sehr geholfen. Der im Rhythmus der Wehe vorgetragene Sprechgesang erleichtere das Beatmen des Kindes in der Wehe. Schon Declairs Mutter war vor Jahrzehnten bei Schlundt gewesen. „Wir sind traurig, dass die Oase schließt“, sagt Declair. Aber die Kontakte aus den Müttergruppen wolle sie weiter pflegen.

Was sie als Hebamme bewegt habe, erstaunt Schlundt auch heute noch. Die 90-Jährige hat zwei Schlageanfälle hinter sich, kann kaum noch etwas sehen. Aber sobald das Gespräch auf Kinder, Frauen und Geburten kommt, blüht sie auf. „Ich habe immer Mitleid mit den Müttern gehabt, die ihre Kinder früh in fremde Hände geben mussten.“ Damit wolle sie niemanden verurteilen, die erste Zeit mit dem Neugeborenen aber sei unwiederbringlich. „Mein Anliegen war, die Not der Mütter zu lindern.“

Wenn sie die drei Jubiläen nun bedenkt, ist Schlundt gerührt: „Ich bin froh darüber, dass mir das alles vergönnt war.“ Aber Schluss ist für sie trotzdem noch nicht. Denn am Ende ist ihre Arbeit doch eher eine Berufung. Sie sagt: „Hebamme ist ein Beruf, in dem das Wissen immer noch zunimmt, solange man denken kann.“

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