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„Ich kaufe mir ein Schlauchboot"So erlebten die Menschen in der Eifel das Unwetter

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Ein Teich entstand innerhalb einer Stunde in Rinnen, wo sich Wasser, Geröll und Schlamm ihren Weg bahnten.

Ein Teich entstand innerhalb einer Stunde in Rinnen, wo sich Wasser, Geröll und Schlamm ihren Weg bahnten.

Kallmuth/Rinnen – Ein unwirkliches Licht liegt über Kallmuth: Fahl, gelblich, durchbrochen von dem Flackern der Blaulichter – so als wäre es ein Abbild des Schreckens der Bewohner, über denen gerade der Himmel zusammengebrochen zu sein scheint.

Es ist Montagabend. Der Ort ist evakuiert worden. Ein kleines Rinnsal hat sich in einen reißenden Strom verwandelt und eine Spur aus Geröll und Schlamm durch das Tal gezogen. Ein Gastank ist umgestürzt und leckgeschlagen, es herrscht Explosionsgefahr.

„Wir haben noch versucht, mit dem Traktor das Wasser von der Straße zu schieben“, erzählt Beate Schäfer, die mit ihrem Mann und Sohn Nils völlig durchnässt rund 100 Meter oberhalb ihres Hofes auf der Straße steht. Nachbarn haben ihnen wärmende Decken und Jacken umgelegt, doch nasse Klamotten sind im Augenblick das geringste ihrer Probleme.

Schlamm in Hof und Haus

„Das Wasser stand kurz vor der Heizung“, erzählt Nils. Dann sei eine große Welle über den Zaun gekommen. „Und dann kam der Tank angeschwommen“, sagt Beate Schäfer. Sie hätten die Hunde genommen und zugesehen, dass sie wegkommen. Auch nach dem Unwetter am Freitag hätten sie schon Wasser im Keller gehabt, doch so schlimm sei es nicht gewesen.

Der Schrecken sitzt auch bei Dirk Fels noch tief. „Ich suche meine Frau, die ist wohl in der Kirche“, berichtet er. Auch der Hund sei noch unterwegs. Er ist besorgt.

Fast im gleichen Augenblick drückt ihm ein Nachbar die Leine mit dem Bernhardinerwelpen in die Hand. Fels ist ein wenig erleichtert. Seine weinende Frau habe ihn auf der Arbeit angerufen, sofort sei er nach Hause gefahren. „Ich habe nur gesehen, dass der Schlamm im Hof steht, wahrscheinlich ist er auch im Haus“, befürchtet er.

Die Kirche, in der sich eigentlich alle sammeln sollten, ist fast leer. DRK-Rettungskräfte kümmern sich um die Hilfesuchenden, Betreuer bringen warme Decken, eine Nachbarin schenkt heißen Tee aus. Die Evakuierung ist mittlerweile aufgehoben. Wer kann, geht zu seinem Haus und begutachtet den Schaden. Familie Jansen sitzt mit der vier Monate alten Tochter Marie auf den Kirchenbänken. „Wir haben noch mit dem Traktor Schafe befreit, die in ihrem Stall eingeschlossen waren“, erzählt Vater Ingo. Ihr Haus sei dem ersten Anschein nach nicht betroffen.

Im Ortskern machen sich die Betroffenen an die Aufräumarbeiten und schieben den knöcheltiefen Schlamm aus den Höfen auf die Straße. Die Feuerwehr hat den Strom abgeklemmt – zu viele Keller stehen unter Wasser. Doch es gehört zur Eifeler Mentalität, sich nicht hängenzulassen, sondern die Ärmel hochzukrempeln und die Situation mit Würde und Humor zu meistern. „Nütz’ ja nix“, heißt es: „Muss ja weitergehen.“

Auch in Rinnen stehen die Anwohner noch unter dem Eindruck des Erlebten. „Vier Meter hoch ist das Wasser aus den Kanälen geschossen“, berichten sie aufgeregt. Familie Reinbold zeigt ihren Garten. „Hier war vorhin noch Rasen“, erzählt der Hausherr und deutet auf eine Schotterwüste.

Vom Berg sei das Wasser durch den Garten des Nachbarn gekommen und dann mit ungeheurem Druck durch Hühnerstall und Keller geschossen. „Die Hühner saßen auf der Stange und haben nur gestaunt“, erzählt Vater Willi Reinbold. Im Keller hat das Wasser eine drei Meter lange Wand umgedrückt, bevor es durch die bergab gelegene Tür wieder aus dem Keller floss.

„Und am Mittwoch soll es gleich weitergehen, hat der Wetterbericht gesagt“, sagen die Reinbolds ratlos. Dann blicken sie auf das Grundstück des bergauf wohnenden Nachbarn: eine Parkanlage mit „Fischweiher“, durch den die Feuerwehrleute aus Herhahn waten. Der Teich ist neu, der hat sich vor einer Stunde selbst angelegt. „Das mache ich morgen als erstes“, ruft Willi Reinbold plötzlich und lacht: „Ich kaufe mir ein Schlauchboot!“

Neue Unwetter

Karl Josef Linden, der in Sinzenich eine Meteomedia-Station betreibt, tut sich schwer damit, die Unwetter von Freitag und Montag dem Klimawandel zuzuschreiben. Derartige Ereignisse habe es immer wieder gegeben. So etwa, als 1956 Bad Münstereifel überflutet worden sei.

„Die Häufigkeit der Unwetter könnte allerdings auf einen Klimawandel hindeuten“, konstatiert der Wetterexperte. Ein Indiz dafür seien auch die vergangenen Winter, die mit frühlingshaften Temperaturen dahergekommen seien.

Schuld an der aktuellen Misere ist für Linden Tief „Elvira“. Die tropische Wetterlage sorge auch ohne sommerliche Temperaturen für Turbulenzen und bei vielen für Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme. Das Tief dränge aus Polen über die Ostsee, Bergheim, Düren und die Wallenthaler Höhe in Teile des Kreises Euskirchen. Eine Entspannung der Wetterlage sei nicht in Sicht. Linden: „Ich befürchte, dass uns am Mittwochabend das gleiche Szenario droht wie am Montag.“ (pws)

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