EifelIn urigen Ritualen werden Knochen verehrt, die die Kirmes schützen sollen

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Kreis Euskirchen – Wahre Schätze finden sich im Archiv für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland: Aus dem Jahr 1967 stammt ein historischer Film, der über die Kirmes in Nettersheim gedreht wurde. Akribisch genau dokumentiert haben die Volkskundler jedes Detail des dörflichen Großfestes.

Historische Streifen

Die Filme „Kirmes in Nettersheim“ (4 Teile) aus dem Jahr 1967 können beim LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn erworben werden (Preis je Teil zwischen 8 und 10 Euro).

Das Material wird nach Bestellung eigens auf DVD gebrannt. Bestellungen unter rheinische-landeskunde@lvr.de oder telefonisch: 0228/9834-0. (pe)

Ein bis in unsere Tage in den meisten Dörfern überlieferter Brauch sorgte schon damals für viel Gaudi: Zu Beginn der Kirmes wurde in Nettersheim an der Urftbrücke der Kirmesknochen ausgegraben. „Junge un' Mädcher, wat han mir für e Jlöck jehat!“, hieß es freudig, als das gesuchte Stück unter Böllerschüssen gefunden wurde. Doch ehe die Kirmes losgehen konnte, musste erst umständlich mit der „Knauch“ verhandelt werden.

Kirmesknochen wird verehrt

„Se wöll net“, tönte es nämlich vom Flussufer herauf. Der Hötjong flehte den Finder des Knochens an, diesem das Blaue vom Himmel zu versprechen: „Saach ens, wat für schön Mädche mir he hahn un wievel ze drinke mir he hahn.“ Man ahnt es: Schließlich konnten dem Kirmesknochen in harten Verhandlungen vier Kirmestage abgerungen werden. Im Festumzug wurde der Knochen durchs Dorf und in den Festsaal getragen.

Die „Kirmesknauch“ wird in zahlreichen Eifeldörfern, ob in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, einmal im Jahr ausgegraben und verehrt. Hubert Pitzen aus Stadtkyll hatte 1995 fürs „Heimatjahrbuch Vulkaneifel“ alles zusammengetragen, was er zum Thema finden konnte.

Demnach lässt sich der Brauch in einigen Dörfern der Region bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass der heute übliche Stierschädel den einst gebräuchlichen Pferdekopf abgelöst habe. Der Pferdekopf sei schon bei den Germanen „Symbol für ein heidnisches und vor allem freies Leben“ gewesen.

„Knauch" als Sündenbock der Kirmes?

So einleuchtend diese Erklärung scheint, auf so unsicheren Füßen scheint sie jedoch zu stehen. Aus wissenschaftlicher Sicht bleibt es dünn, was die Herkunft dieses Brauches angeht. „Seiner Bedeutung nach markiert er als Kirmessymbol im Kontext der Brauchhandlungen (zum Beispiel Ausgraben, Aufhängen, Vergraben) den Übergang zur Kirmes beziehungsweise bei Abschluss der Kirmes die Rückkehr zum Alltag“, formuliert die wissenschaftliche Referentin Gabriele Dafft vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte.

Man könne das auch als „Sündenbock-Handlung“ verstehen: Hat man während der Kirmes über die Stränge geschlagen, werden die Verfehlungen bei Ende der Kirmes wieder begraben. Eine Verbindung zu den Germanen ziehen zu wollen, sei schwierig.

Solche Versuche stammten aus dem 19. Jahrhundert, in dem viele Bräuche ihren Ursprung hätten. Damals sei man bemüht gewesen, im Sinne des Nationalgedankens möglichst weit zurückliegende historische Verbindungen zu konstruieren. „So etwas ist in den meisten Fällen jedoch nicht zu beweisen. Das war ein romantischer Impuls“, erläutert Dafft. Die Rückbesinnung auf die Germanen habe nahe gelegen. Aber so einfach darf die faktenbasierte Wissenschaft es sich nicht machen.

Die Tradition wird nicht in Frage gestellt

Solch Kopfzerbrechen macht sich in den Dörfern ohnehin niemand, denn man will feiern und Spaß haben. Dazu gehört auch das immer wieder vollzogene Ritual. Ob in den 1950er-Jahren oder heute: Es läuft in den meisten Orten ähnlich ab. In Hollerath etwa ziehen „Hahnekomitee“ und „Volk“ zum Ausgraben des Kirmesknochens in einer „Prozession“ durchs Dorf zur „Grabstelle“ desselben. Das gibt es vermutlich schon seit über 100 Jahren.

„Wir haben den schon als junge Leute ausgegraben, und da gab es den Brauch schon lange“, erinnert sich Erich Hanf, 80 Jahre alt, der mit Ehefrau Christel dem Treiben vom Fenster in der „Dorfschänke“ aus zusieht.

Das Ehepaar, wie die meisten im 1980 gegründeten „Holderther Hahnekomitee“, sind „Krohe“, wie die gebürtigen Hollerather im Dialekt heißen. Das Komitee, an die 40 junge Leute, organisiert die Kirmes am Kirchweihfest.

Der „Knochen“ selbst besteht dabei – ähnlich wie in vielen Dörfern – aus zwei Teilen: einem gebleichten und weiß gestrichenen Stierschädel, den das Komitee in der kirmesfreien Zeit verwahrt, und in Hollerath aus einem Schulterblatt. Es ruht zu diesem Zeitpunkt in seinem „Grab“ am Maiplatz – mit zwei Flaschen Korn zur „Überbrückung“.

Kirmes unter Schutz des Knochens

Pünktlich um 20.30 Uhr geht es am Kirchplatz los. Vorneweg wird der Kirmes-Stierschädel gezeigt, dahinter tragen vier vom Komitee die Vereinsfahne, dann folgen 40 junge Leute vom Brauchtumsverein, der Musikverein und am Ende an die 70 Menschen „Volk“. An der Ecke zum Weg Bonner Skihütte ist der traditionelle Maiplatz. Wo der Maibaum steht, ruht auch der Knochen.

Eine kurze Ansprache von Andreas Wiesen, und Bernhard Wiesen und Martin Golbach machen sich mit Spaten und den Händen an die Arbeit. Keine drei Minuten später ist es so weit: Ein weißes Schulterblatt des Stiers wird geborgen. Der Kirmesknochen ist da, auch die beiden Flaschen Hochprozentiges vom Vorjahr. Beifall vom Volk, es sind mittlerweile an die 100. Jetzt eine Runde Eifelschnaps für alle!

Im Festzelt wird es neben dem mit bunten Fändeln geschmückten Kirmesbaum feierlich. Die „Komiteefahne“ in der Mitte, wird der weiße Stierschädel mit den imposanten Hörnern, beschriftet mit der aktuellen Jahreszahl, links aufgehängt, das Schulterblatt rechts: Zwei vom Komitee ziehen das Gehänge bis unter die Zeltdecke. Die Kirmes kann beginnen, unter dem Schutz des Knochens.

Dann wird der Knochen wieder verbuddelt – fürs nächste Jahr

„Das ist eine schöne Tradition, die auch dem Zusammenhalt der jungen Leute dient“, hatte Erich Hanf zuvor das Ritual kommentiert. Nach dem Ende der Kirmes wird der Stierschädel wieder eingelagert. Und das Schulterblatt wird feierlich begraben – in einer Prozession, versteht sich. Die Mitglieder des Hahnekomitees werden in Tischdecken gehüllt und mit den Fändeln des Kirmesbaums geschmückt.

Dieser Trauerzug zieht zum Maiplatz. Ein „Priester“ hält an vier Stationen – für jeden Kirmestag eine – eine kurze Bußpredigt. Und während der Kirmesbaum brennt, wird der Kirmesknochen wieder eingebuddelt. Zwei Flaschen Korn bis zum nächsten Jahr sind natürlich mit dabei.

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