Diskussion in EuskirchenWie nützlich ist Cannabis als Medikament?

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Wie gefährlich ist Cannabis wirklich? Die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Kühn-Mengel fordert dazu eine Enquete-Kommission.

Wie gefährlich ist Cannabis wirklich? Die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Kühn-Mengel fordert dazu eine Enquete-Kommission.

Euskirchen – Wie nützlich ist Cannabis als Medikament – und wie gefährlich als Einstiegsdroge? Dieser Frage erörterten die Jusos aus dem Kreis Euskirchen während einer Podiumsdiskussion im City-Forum.

Dafür hatten sie sich prominente Unterstützung ins Boot geholt: Rede und Antwort standen SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Kühn-Mengel, Jan Ingensiep, Gründer der Initiative „Sozis für die Legalisierung von Cannabis“, sowie Maria Surges-Brilon, Leiterin der Suchtberatungs- und Behandlungsstelle der Caritas Euskirchen.

Diskutierten im City-Forum über das Thema Cannabis: Maria Surges-Brilon (v.l.), Fabian Nowald, Helga Kühn-Mengel und Jan Ingensiep.

Diskutierten im City-Forum über das Thema Cannabis: Maria Surges-Brilon (v.l.), Fabian Nowald, Helga Kühn-Mengel und Jan Ingensiep.

„Es gibt keine schnellen Antworten zu dem Thema“, nahm die Caritas-Expertin mit 27 Jahren Erfahrung in der Suchtberatung das Hauptproblem der Veranstaltung gleich vorweg: „Das Thema Cannabis wirft so viele Fragen auf. Aber so wie es ist, dieser politische Stillstand, das ist absolut unerträglich.“

So berichtete Surges-Brilon, dass sich die Beratungsstunden in den vergangenen Jahren deutlich verändert haben: „Früher schickten meist Schulen oder Eltern ihre Schützlinge zu uns, wenn der Verdacht bestand, dass Jugendliche Kontakt zu Cannabis haben. Heute kommen viele selbst, die sagen: »Ich bin schwer abhängig, bitte helft mir!«“

Krankenkassen zahlen die Entgiftung nicht

Dieser Wandel habe vor allem damit zu tun, dass sich der THC-Gehalt seit den 1970er-Jahren vervierfacht habe. Das bereite Problem, so die Leiterin der Suchtberatungsstelle: „Die offizielle Haltung ist, dass Cannabis-Entzug nicht zu Entzugserscheinungen führt.“ Daher zahlten Krankenkassen die Entgiftung nicht. Doch Menschen, die mit der Droge aufhören wollten, seien oft psychisch instabil und litten unter massivsten Schlafstörungen. Damit würden sie alleine gelassen. „Süchtige haben keine Lobby“, beklagte ein Zuschauer, der sich offen als trockener Alkoholiker outete.

Die Caritas-Expertin plädiert daher generell für eine Entstigmatisierung und -tabuisierung von Suchtkrankheiten und war damit auf einer Linie mit der Bundestagsabgeordneten Helga Kühn-Mengel. Die SPD-Politikerin schüttelte den Kopf angesichts des aktuellen Umgangs mit Cannabis: „Wir stecken zehnmal so viel Geld in die Strafverfolgung wie in die Prävention – das legt viel polizeiliche Arbeit lahm.“

Auch Jan Ingensiep von den Jusos setzt sich für die Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten ein: „Wir müssen darüber sprechen, welche Höchstgrenzen in der Strafverfolgung angemessen sind. Wenn ich meinem Bruder etwas Gras mitbringe, bin ich dann gleich ein Dealer? Warum muss ich um meinen Führerschein fürchten, wenn ich nüchtern mit zwei Gramm Gras im Handschuhfach erwischt werde – aber nicht, wenn mein ganzer Kofferraum voller Wodkaflaschen ist und ich mir vorher noch einen Kurzen genehmigt habe?“ Ingensiep fragte, nach welchem Zeitraum man überhaupt wieder als nüchtern gelte: „Darf ich nach dem Konsum eines Joints zwei Wochen nicht Autofahren?“ Es gebe derzeit kaum Studien zur Verkehrstüchtigkeit nach Cannabis-Konsum.

Zudem plädierte Ingensiep für eine staatlich regulierte Abgabe, um das organisierte Verbrechen einzuschränken, die Abgabe an Jugendliche zu beschränken sowie die Inhaltsstoffe zu überprüfen: „Wenn Cannabis gefährlich ist, müssen wir wissen, welche Stoffe da drin sind.“

Auch kritische Fragen wurden gestellt

Auch der medizinische Aspekt sorgte bei der Podiumsdiskussion für viel Gesprächsstoff. So gelte derzeit, dass Schmerz-, Krebs- oder MS-Patienten erst „austherapiert“ sein müssten, also alle anderen medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft haben müssten, ehe sie Cannabis als Medikament nutzen dürften. Derzeit seien das in Deutschland rund 750 Menschen, so Jan Ingensiep – im Gegensatz zu derzeit 25 000 Patienten in Israel. „Und Morphium ist viel schädlicher!“, warf jemand aus dem Publikum ein. Es stelle sich die Frage, so Kühn-Mengel, ob eine starke Pharmalobby das im Vergleich zu vielen anderen Medikamenten günstigere Cannabis, das noch dazu selbst angebaut werden könne, verhindere.

Um die vielfältigen Fragen zu klären, plädierte Helga Kühn-Mengel für die Einrichtung einer Enquete-Kommission, bei der die Thematik sachlich und überfraktionell in allen juristischen, ökonomischen, sozialen und ethischen Aspekten abgewogen werden müssen. Dies werde die SPD auch in ihrem nächsten Wahlprogramm fordern.

Freudig überrascht zeigte sich die Politikerin darüber, dass sich viele der rund 20 meist jugendlichen Zuhörer offensichtlich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hatten – und bereit waren, auch kritische und zum Teil freche Fragen zu stellen.

Als Kühn-Mengel sagte, dass für den derzeitigen Koalitionspartner wie auch für den überwiegenden Teil der SPD-Fraktion eine Legalisierung von Cannabis nicht in Frage komme, schlug ein Zuschauer vor, Präventions-Veranstaltungen zum Thema Drogen auch mal im Bundestag anzuberaumen.

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