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Vor 50 JahrenEuropadorf mitten in der Stadt – Siedlung für Flüchtlingsfamilien

Lesezeit 4 Minuten
„Da war es“: Bruno Grobelny und Karl Ryfisch vor einigen Häusern im Bereich des ehemaligen Europadorfes in Euskirchen.

„Da war es“: Bruno Grobelny und Karl Ryfisch vor einigen Häusern im Bereich des ehemaligen Europadorfes in Euskirchen.

Euskirchen – Sogar einige Bewohner der Unitasstraße wissen nichts mit dem Begriff Europadorf anzufangen.

Dabei leben sie mitten in dem Gebiet, das einmal ein Europadorf war – also auf historisch durchaus interessantem Boden. In der Nordstadt am Ende der Unitasstraße lag das Dorf, das als Siedlungsgebiet angelegt worden war. Ein Hinweisschild sucht man allerdings vergebens.

„Zwischen 1956 und 1962 wurden in Europa sieben Siedlungen zur Aufnahme von staatenlosen Flüchtlingen gebaut, alle nach einheitlichen Plänen, in einfacher Bauweise und auf der grünen Wiese errichtet“, erklärt die Leiterin des Euskirchener Stadtarchivs, Dr. Gabriele Rünger.

Der Gründer

Dominique Pire kam als Georges Charles Clement Ghislain Pire am 10. Februar 1910 im belgischen Dinant zur Welt. Am 30. Januar 1969 starb der Gründer von Hilfsorganisationen und Friedensnobelpreisträger an den Folgen einer Operation.

Zwischen 1955 und 1962 organisierte er die Entstehung der sogenannten Europadörfer in Deutschland, Österreich und Belgien. Dabei entstand das erste Dorf 1956 bei Aachen, ein weiteres im gleichen Jahr in Bregenz am Bodensee und ein drittes 1957 in Augsburg. Bis 1962 entstanden auf diese Weise sieben Europadörfer. Das letzte Europadorf wurde in Euskirchen am Ende der Unitasstraße gebaut. 1958 wurde Pire für diese Aktivität der Friedensnobelpreis wegen seiner Hilfe für Flüchtlinge zugesprochen. (tom)

Zeitzeuge Karl Ryfisch erinnert sich: „Da, wo jetzt überall Häuser stehen, wurde damals Landwirtschaft betrieben. Es ist wirklich in die Natur geplant worden.“

Sinn des Dorfes sei es gewesen, heimatlose Familien, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges Kriegsende aus ihren Ländern haben flüchten müssen, in ein normales Leben jenseits von Lagerzäunen zurückzuführen berichtet Rünger.

20 Einfamilienhäuser entstanden Anfang der 1960er-Jahre am Ende der Unitasstraße. Am 14. Februar 1964 zog die erste Familie ein. Wenige Wochen später seien bereits alle Häuser bewohnt gewesen, berichtet Rünger. Insgesamt, so die Historikerin, fanden 108 Menschen, darunter 71 Kinder, im Europadorf Zuflucht. Rünger: „Anfangs waren es vor allem Flüchtlinge aus den südlichen Ostblockländern wie Jugoslawien und Albanien.“

Auch heute gestaltet sich das Leben in dem Viertel ähnlich facettenreich wie bei der Gründung vor etwa 50 Jahren. Im Bereich der Unitasstraße leben Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Die Mennoniten beispielsweise haben hier ihre Grund- und Realschule. Mittlerweile seien die Nationalitäten wesentlich breiter gefächert, erklärt Rünger.

Durch die Veränderung der baulichen Struktur ist die Siedlung auch nicht mehr als Europadorf, das einst auf der grünen Wiese entstanden war, zu erkennen. Zwischen den ehemaligen Siedlungshäusern sind weitere Häuser gebaut worden. „Der Charakter eines eigenständigen Dorfes mit seinen schmalen Straßen ist aber noch immer unverkennbar“, sagt Rünger. Seit dem Sommer 2016 wird das Wohngebiet nördlich der Unitasstraße durch das Neubaugebiet Gertrudisgärten sogar erweitert. Betreut wurden das Dorf und seine Menschen lange vom Verein „Hilfe für heimatlose Ausländer“. In Euskirchen kümmerte sich die Sozialpädagogin Dorothea Stolz ehrenamtlich um die 20 Familien. „Sie war da, wenn jemand Hilfe benötige“, erinnert sich Bruno Grobelny. Er kam 1953 als erster Sozialarbeiter nach Euskirchen. Vom katholischen Sozialdienst sei er damals gefragt worden, ob er nicht auch das Europadorf betreuen könne.

„Ich hatte damals bereits so viele Aufgaben, dass ich leider ablehnen musste“, erinnert sich Grobelny, der sich vor wenigen Jahren auf die Spuren des Gründers der Europadörfer, Dominique Pire, begeben hat – eine Recherche, die ihn zutiefst beeindruckt hatte.

Daher macht sich der ehemalige Geschäftsführer der Euskirchener Caritas für eine Erinnerung an den Gründer der Europadörfer stark. Grobelny schlägt vor, eine Straße nach Pire zu benennen.

Der Stadtverbandsvorsitzende der CDU Euskirchen, Landtagsmitglied Klaus Voussem, findet die Idee gut. „Ich halte es für angebracht, verdiente und historische Personen mit Euskirchener Wurzeln oder gesellschaftlichem Wirken im Bild der Stadt zu verwirklichen“, sagt er.

Er wolle den Vorschlag aufgreifen und Bürgermeister Dr. Uwe Friedl (CDU) vorschlagen, bei der Benennung von Straßen im Stadtgebiet auch den Namen von Pire in Betracht zu ziehen. Für das sich im Bau befindliche Neubaugebiet Getrudisgärten kommt der Vorschlag Grobelnys allerdings zu spät. Dort sind bereits alles Straßennamen vergeben worden.

Auch die CDU-Stadtverordnete Erika Peters möchte sich für eine Dominique-Pire-Straße in Euskirchen stark machen. „Leider sind die Straßen rund um das ehemalige Europadorf schon alle benannt. Auch im Neubaugebiet geht es leider nicht mehr, aber wir bleiben an dem Thema dran“, versichert die Euskirchenerin.

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