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ModellbahnRostiger Stahl aus Plastik

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Vorne ist der gekaufte Torpedowagen zu sehen, dahinter die von Gerd Otto bearbeiteten Exemplare mit Charakter.

Vorne ist der gekaufte Torpedowagen zu sehen, dahinter die von Gerd Otto bearbeiteten Exemplare mit Charakter.

Nierfeld – In der Garage stehen drei schwere Motorräder: eine schwarze Reisemaschine, eine rote Rennmaschine und ein markanter Chopper. Dass das kein Besuch bei einem Otto-Normal-Modellbauer wird, steht fest, noch bevor der Besucher überhaupt einen Fuß ins Haus in Nierfeld gesetzt hat. Gerd Otto unterstreicht den Eindruck: Eine sportliche Figur steckt in einem T-Shirt mit aufgedrucktem Totenkopf-Motiv. Schaffnermütze und Trillerpfeife? Fehlanzeige. Die Begrüßung ist herzlich. Der sympathische 45-Jährige zieht einen gleich in seinen Bann. Vor allem dann, wenn er von seinem Hobby spricht. „Ich bin mit sieben oder acht Jahren durch meinen Bruder zur Modelleisenbahn gekommen. Das Hobby begleitet mich bereits ein Leben lang“, sagt Otto, während er am Esszimmertisch Platz nimmt. Doch ihm war schnell klar, dass er nicht der Typ für idyllische Alpenpanoramen und schicke Reisezüge ist. „Ich war schon immer von Güterzügen fasziniert und so bin ich an die Industrie geraten. Deren Architektur, Formen und Farben will ich genau nachbauen.“

Dass ihm das gelingt, stellt er in der ersten Etage seines Hauses eindrucksvoll unter Beweis. Dort steht das jüngste Projekt des Modellbauers: eine zerlegbare und damit mobile Eisenbahnlandschaft. „Wir Modellbahn-Bauer haben nie genug Platz“, erklärt Otto. Daher sei er auf die Idee mit der mobilen Anlage gekommen. In einem Jahr will er das fertige „Kunstwerk“ während einer Ausstellung des Modelleisenbahn-Clubs Weilerswist erstmals präsentieren. Bis dahin habe er noch viel zu tun, auch wenn die Szenerie für den Laien so aussieht, als wäre sie bereits weit gediehen. Gerd Otto legt allerdings viel Wert auf Detailgenauigkeit. Als Vorbild hat er sich ein Hochofenwerk genommen, das heute unter dem Namen „Landschaftspark Duisburg-Nord“ als kulturelle Freizeiteinrichtung dient. Anhand von Bildern, die er während seiner Motorradtouren selbst gemacht oder aus dem Internet gezogen hat, baut der gelernte Installateur seine Modelle nach.

„Den entsprechenden Maßstab erarbeite ich mir selbst“, sagt Otto, der bei Schoeller in Hellenthal arbeitet. Anschließend geht es an die Umsetzung. Der Nierfelder setzt dabei alltägliche Dinge ein, die er für sein Projekt „umfunktioniert“. So werden aus Strohhalmen Rohre, aus einer umgedrehten Grabvase entsteht der Hochofen und aus Besenborsten werden Scharniere gefertigt. Faszinierend ist auch, wie Gerd Otto aus Pappe oder Plastik konisch verlaufende Formen hinbekommt. „Das mache ich mit Kegelstumpfberechnungen“, sagt der 45-Jährige. Schließlich sei Geometrie schon immer sein Ding gewesen, „weil man damit etwas anfangen kann“.

Neben diesen geometrischen Fähigkeiten hat Gerd Otto ein spezielles Verfahren entwickelt, mit dem er aus Plastikteilen „rostigen Stahl“ werden lässt. „Die Bauteile kommen in eine Schale. Dann werden sie mit verschiedenen Farben besprüht oder mit Pigmenten bearbeitet. Außerdem muss noch etwas gehobelte Kreide mit rein“, nennt Otto einige Zutaten seines „geheimen“ Alterungs-Rezepts. Das Ganze werde ordentlich durchgemischt und erhalte so die charakteristischen Industrie-Patina. Das Ergebnis ist unglaublich beeindruckend – vor allem im Zusammenspiel der verschiedenen Industriebauten, die Gerd Otto auf seiner stationären Anlage realisiert hat. Die kann er nur betreten, wenn er einen Teil seiner mobilen Anlage zur Seite rollt. Während er das macht, lächelt Gerd Otto und sagt: „Wir Modellbauer haben eben immer zu wenig Platz.“ Deshalb muss jeder Zentimeter ausgenutzt werden. „Meine Freundin sagt, ich dürfe nie zunehmen, sonst käme ich hier nicht mehr durch“, so der 45-Jährige, während er sich durch den schmalen Gang in die „Kommandozentrale“ seiner riesigen Anlage bewegt, die in den vergangenen zwölf Jahren entstanden ist.

Von dort aus gibt es die beste Rundum-Sicht auf das faszinierende Industrieareal, das angelehnt ist an Originale – allerdings vermischt mit ganz viel Fantasie des Erbauers. So steht dort ein „Thyssen Krupp“-Werk neben einer Industrieanlage der „K+S“-AG. Die „Zeche Zollverein“ darf als Symbol für die Industriekultur im Ruhrgebiet natürlich auch nicht fehlen. Es sind unglaublich viele Details zu entdecken – vom Schweißer, dessen Arbeitsgerät immer mal wieder aufflackert, über den Schornstein des Hochofens, der mit einem speziellen Öl befüllt echten Rauch ausstößt, bis hin zu Graffiti, die Gerd Otto im passenden Maßstab auf Wände „gesprüht“ hat.

Dass dazwischen noch Lokomotiven fahren können, gerät fast in Vergessenheit. Und so muss Gerd Otto auch in seinem Code-Buch nachschlagen, um für ein Foto eine Lok an die richtige Stelle zu steuern. „Ich lasse die Züge vielleicht zweimal im Jahr fahren. Mir geht es inzwischen vor allem ums Bauen“, sagt Gerd Otto mit einem Funkeln in den Augen. Dieser Leidenschaft kann er in der kommenden kalten Jahreszeit wieder verstärkt nachgehen. Denn die Motorräder bleiben jetzt erstmal in der Garage.

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