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Trotz Mangel an KonservenHomosexueller Arzt aus Euskirchen darf nicht Blut spenden

Lesezeit 6 Minuten
Können die Haltung der Bundesärztekammer nicht nachvollziehen: Florian (l.) und Christian Ramolla.

Können die Haltung der Bundesärztekammer nicht nachvollziehen: Florian (l.) und Christian Ramolla.

Kreis Euskirchen – Er würde ja helfen, doch er darf nicht. Als Arzt im Kreisgesundheitsamt ist Christian Ramolla mit den Sorgen der Mediziner vertraut, die den Mangel an Blutkonserven in Deutschland beklagen.

„Gerne würde auch ich mich von dem Aufruf zur Blutspende ansprechen lassen“, sagt der 44-jährige Euskirchener. Mit seinem universell einsetzbaren Blut – Gruppe 0, Rhesus negativ – könne er sicher helfen.

Doch er werde daran gehindert. Nach einer Richtlinie der Bundesärztekammer stelle sein Blut ein Risiko für den Empfänger dar, so Ramolla. Nein, er sei nicht drogenabhängig. Er verdiene sein Geld auch nicht mit Prostitution, sondern als Arzt. Wechselnde Geschlechtspartner habe er übrigens auch nicht. „Ich werde von der Blutspende ausgeschlossen, weil mir beim Frühstück keine Frau, sondern ein Mann am Tisch gegenübersitzt“, stellt Ramolla klar.

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Dieser Mann heißt Florian Ramolla und ist seit rund zwei Jahren der eingetragene Lebenspartner von Christian Ramolla. Auch Florian Ramolla würde sofort Blut spenden, aber auch er darf nicht.

„Vor ein paar Jahren habe ich mal eine Blutspende erhalten und wollte quasi aus Dankbarkeit selbst Blut spenden“, erinnert sich Florian Ramolla. Doch als er erklärte, homosexuell zu sein, sei ihm das verwehrt worden: „Man sagte mir noch, ich könne den Parkschein abstempeln lassen, und dann durfte ich gehen“, erzählt er. War er traurig? Oder wütend? „Irgendwie beides“, antwortet er.

Es treffe nicht zu, dass Homosexualität ein Ausschlusskriterium fürs Blutspenden sei, teilt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage dieser Zeitung mit. Es gehe um „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben“. So lautet der Begriff, der in Bezug auf Blutspenden von den Behörden benutzt und mit MSM abgekürzt wird. „Ein Ausschluss aufgrund der sexuellen Orientierung wäre diskriminierend“, so ein Ministeriumssprecher. Und das sei nicht Absicht der Bundesregierung (siehe: „Es geht nicht um politische Wünsche“).

Auch Christian Ramolla spricht nicht von Diskriminierung. Der Begriff MSM sei aber lediglich der Versuch, ein Verbot politisch korrekt zu formulieren. Sex mit einem gleichgeschlechtlichen Partner sei ja nun mal ein Wesensmerkmal von Homosexualität. Es sei auch richtig, dass Menschen mit einem riskanten Sexualverhalten von der Blutspende ausgeschlossen würden, präzisiert Christian Ramolla: „Es ist unbestritten, dass sexuell aktive Menschen mit gewissen Verhaltensweisen ihr Risiko, eine Infektion wie zum Beispiel HIV oder Hepatitis zu erleiden, steigern können.“ Doch dies gelte nicht ausschließlich für homosexuelle Männer, so Christian Ramolla. Es betreffe alle, die ohne Kondom risikoreichen Sex haben. „Viren machen keinen Unterschied zwischen Freiern, die für den Kondomverzicht noch zehn Euro drauflegen, jungen Frauen, die in einer Bierlaune gefühlsechten Sex haben wollen, oder Menschen, deren sexuelle Vorliebe sie in dunkle Keller zu anonymen Sex führt“, so der Mediziner, der sich hier als Privatperson äußert und nicht in seiner Eigenschaft als Kreismitarbeiter.

Natürlich sollten auch Männer, die Sex mit Männern hätten und diesen risikoreich – etwa mit häufig wechselnden Partnern – betrieben, von der Blutspende ausgeschlossen werden, stellen Christian und Florian Ramolla klar: Doch wenn man alle MSM von der Blutspende ausschließe, unterstelle man allen, sich sexuell riskant zu verhalten. „Die meisten Homosexuellen sind – ähnlich wie bei Heterosexuellen – ihren Partnern treu“, so Christian Ramolla: „Deren Blutspende ist bei weitem nicht so gefährlich wie die Blutspende eines Heterosexuellen, der sich – etwa als Sextourist – riskant verhält.“ Darum hält es Christian Ramolla für falsch, Homosexuelle generell von Blutspenden auszuschließen – nicht nur der spendebereiten schwulen Männer wegen, sondern auch der Menschen wegen, die dringend auf Blutspenden angewiesen seien. Als Arzt habe er schon viele Menschen bei Operationen, auf Frühchen- oder Intensivstationen gesehen, deren Leben durch die Konserve gerettet oder verbessert worden sei.

„Die alleinige Anhebung der Altersgrenze für Spender von zuletzt 69 auf jetzt 72 Jahre wird zukünftig nicht alleine genügen, ausreichend Blutprodukte zur Verfügung stellen zu können“, sagt der Arzt. Er appelliert daher an die Verantwortlichen der Blutspendedienste, dieses Thema offensiv zu behandeln: „Nur durch Druck von der Basis wird das starre System Bundesärztekammer zu überzeugen sein.“

Deren Leitlinien seien nicht mehr aufrechtzuerhalten. „Ich denke schon, dass ich irgendwann Blut spenden darf“, sagt der 44-Jährige und blickt in Richtung seines 30-jährigen Lebenspartners: „Du wirst es ganz bestimmt noch erleben.“

Wer spenden darf, legen Ehrlich-Institut und Ärztekammer 

Warum dürfen Männer, die mit Männern Sex haben (MSM), kein Blut spenden? Laut Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat der Schutz der Blutempfänger absolute Priorität. Die Frage, wer Blut spenden dürfe und wer nicht, sei keine politische, sondern eine rein fachliche.

Im Transfusionsgesetz sei daher festgeschrieben, dass die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Kriterien über die Zulassung festlegen. Bundesgesundheitsminister Gröhe: „Es geht nicht um politische Wünsche, sondern um Sicherheit. Die deutsche Regelung folgt zu Recht einer Risikobewertung durch Ärzte und Wissenschaftler.“ Die Richtlinie werde gerade von der Bundesärztekammer, Wissenschaftlern und Fachverbänden überarbeitet. Jedes System hat seine Grenzen

Es müsse überprüft werden, so Gröhe, ob neuere Testverfahren für Blutproben und eine bessere Einschätzung des Ansteckungsgeschehens durch einen befristeten Spenderausschluss – wie bereits in anderen EU-Staaten und in den USA möglich – als Schutzmaßnahme ausreichen.

In diesen Ländern gilt: Wer angibt, seit einer bestimmten Zeit keinen sexuellen Kontakt zu Männern gehabt zu haben, darf als homosexueller Mann Blut spenden. Zwar werden laut Ministerium ausnahmslos alle Blutspenden auf HIV getestet. Jedoch habe jedes Testsystem seine Grenzen. Eine dieser Grenzen sei die „Fensterphase“ einer frischen Infektion, in der ein Mensch zwar infiziert ist und diese Infektion auch übertragen kann, der Erreger oder Antikörper dagegen aber noch nicht nachgewiesen werden könne. Dieses Risiko lasse sich minimieren, aber nicht komplett ausschließen.

Um dieses Risiko zu verringern, gebe es eine Rückstellung oder einen Ausschluss von Menschen mit einem individuellen Risiko und von Menschen mit einem epidemiologisch begründeten Gruppenrisiko. Das habe sich bewährt, die Übertragungsrate von Infektionen durch Blutprodukte sei extrem niedrig. Seit Einführung des Tests auf HIV in Deutschland sind laut PEI nur sechs Übertragungsfälle von HIV durch infizierte Blutspenden gemeldet worden.

Bei fünf der sechs Infektionsübertragungen habe der Infektionsweg geklärt werden können. Alle geklärten Spenderinfektionen wurden durch Sexualkontakte erworben: Zwei davon gingen auf Sexualverkehr von Männern mit Männern zurück, zwei auf sexuelle Kontakte zu Personen aus Hochrisikoländern für HIV, eine auf heterosexuelles Risikoverhalten.

Das Ministerium geht mit Verweis auf Zahlen des Robert-Koch-Instituts davon aus, dass es Ende 2015 rund 85 000 HIV-Infizierte in Deutschland gab, davon 70 000 Männer. 11 000 Männer hätten die Infektion durch heterosexuelle Kontakte erworben, 54 000 über MSM-Kontakte. Im Jahr 2015 hätten sich geschätzt etwa 3200 Menschen mit HIV infiziert. Darunter seien rund 2200 MSM (68 Prozent). „Mehr als zwei Drittel der Neuinfektionen mit HIV entfielen 2015 auf rund 1 bis 3 Prozent der Gesamtbevölkerung“, so ein Ministeriumssprecher. (sch)

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