Leverkusener BrückeDas sagt ein Brückenexperte zum Desaster und den Chancen

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Freie Fahrt: 2023 sollte die Brücke ursprünglich fertig sein. Geplant sind fünf Fahrspuren auf jeder Seite.

  • Das Desaster um den Neubau der Leverkusener Rheinbrücke, das zur Kündigung des Vertrages mit dem Generalunternehmer Porr AG führte, wirft viele Fragen auf.
  • Klaus Müller sprach darüber mit dem Brückenexperten Dr.-Ing. Heinrich Bökamp.

Leverkusen – Seit einigen Tagen läuft die europaweite Neuausschreibung der Leverkusener Rheinbrücke, nachdem Straßen.NRW dem bisherigen Generalunternehmen Porr AG gekündigt hat. Grund waren gravierende Mängel bei der Verarbeitung der Stahlbauteile, die weder die deutschen Normen noch die vertraglichen Vereinbarungen erfüllten. Ist Ihnen schon mal so ein Fall untergekommen?

Unterbrechungen im Herstellprozess von Brückenbauwerken sind zwar selten, aber in Einzelfällen in der Vergangenheit durchaus vorgekommen. Die Leverkusener Brücke ist aber allein schon auf Grund der Größe und wegen ihrer herausragenden verkehrlichen Bedeutung ein echter Sonderfall.

Allgemein gilt: Jede Brücke ist ein „Prototyp“, ein Unikat, eine Serienfertigung wie z. Bsp. im Maschinenbau gibt es hier nicht.

Planung, Ausschreibung und Herstellung einer Brücke solcher Größe stellt für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Im Fall der Leverkusener Rheinquerung kommt hinzu, dass das Projekt aufgrund der jetzigen Erfahrungen sicherlich sehr sensibel ist, weil eine neue Vertrauenskultur unter den Beteiligten entstehen muss.

Wie beurteilen Sie die Chancen einer neuen Ausschreibung, wo liegen die Risiken?

„Neues Spiel, neues Glück!“ Während der eigentlich technische Part der Ausschreibung einer solchen Brücke mit der Beschreibung des Bauwerkes und seiner Einzelteile eindeutig erstellt und veröffentlicht werden kann, stellt die letztendliche Auswahl des geeigneten Bieters im Vergabeprozess eine sensible Aufgabe mit vielen Angriffsflächen dar. Die Risiken beginnen damit, dass als wesentliches Vergabekriterium lediglich der angebotene Preis zählt. Dieses Kriterium zwingt zur Beauftragung eines Bieters, der im Vorfeld gezwungen war, den Preis soweit wie möglich zu senken. Hier gilt: Die Maxime, das Billigste ist gerade noch gut genug, kann sich schnell zu einem Trugschluss entwickeln.

Das der hohe Einfluss des angebotenen Preises in der Vergabe schon von Beginn an nicht gerade zur qualitativen Wertsteigerung des Bauwerks beiträgt, versteht sich von selbst. Solange allein der Preis regiert (Beispiele im Baubereich gibt es hier einige), ist ein gutes Endergebnis dem Zufall überlassen. Dann bewahrheitet sich schnell, dass die Rechnung eben nur auf den ersten Blick stimmt.

Wie lässt sich das verhindern?

Wichtig ist es daher, Ausschreibungen ganz grundsätzlich, außer mit dem Preis mit weiteren Vergabekriterien anzureichern. Dadurch wird es möglich, Qualität, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Bieters im Angebot mit zu bewerten. Das ermöglicht es, letztlich ungeeignete Bieter trotz niedrigstem Preis im Extremfall ausschließen zu können.

In der Vergabe eines solchen Projektes muss klar sein, dass es kein „Umtauschrecht“ oder ähnliches gibt, der erste Versuch muss gelingen.

Bedenkt man, dass es sich bei einer Brücke um ein über viele Jahre sicherheitsrelevantes Bauwerk handelt, kommt dem Kriterium Sicherheit eine herausragende Bedeutung zu. Sicherheit ist kein verhandelbares Gut und ein „bisschen Sicherheit bedeutet Unsicherheit“.

Was könnte sonst den Zeitplan gefährden?

Weitere Risiken im Neubeginn liegen in der Möglichkeit, die Vergabe durch Einsprüche bei der Vergabekammer zeitlich nicht unerheblich zu verhindern. Solche Einsprüche können, vorausgesetzt, es werden alle Instanzen in Anspruch genommen, schnell Zeitfenster von ein bis zwei oder mehr Jahren in Anspruch nehmen.

Der Stahlbauer soll jetzt nicht mehr als Subunternehmer, sondern als Vertragspartner mit eingebunden werden. Ist das ein Novum?

Das ist kein Novum. Die Herstellung großer Bauwerke durch Arbeitsgemeinschaften mit jeweils gleichberechtigten Partnern ist üblich und wird regelmäßig angewandt.

Der Vergabevorgang ist etwas aufwendiger, bietet aber später in der Herstellungsphase den Vorteil eines direkten Zugriffs auf die einzelnen ARGE-Partner. Von daher ist das sicher auch für diesen Fall eine gute Idee.

Gibt es auf dem Markt genügend Unternehmen, die ein solches Bauwerk errichten können?

Da die Ausschreibung sich auf den gesamten europäischen Markt erstreckt, kann die Frage eindeutig mit ja beantwortet werden.

Wie lukrativ ist es, eine Brücke fertig zu bauen, die ein anderes Unternehmen begonnen hat?

Die Lukrativität ist nicht grundsätzlich dadurch geschmälert, dass es sich um die Errichtung eines Teilbauwerks handelt, auch wenn der Wunsch, das Bauwerk als Ganzes zu errichten vorhanden ist. Vollständig errichtete Gesamtbauwerke werden gerne als Referenzen angeführt.

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Praktisch lässt sich das Leverkusener Bauwerk in den Stahlüberbau (Fahrbahn) und die Unterbauten (Pfeiler, Widerlager) unterteilen. Beide Brückenteile können und werden oft von unterschiedlichen Unternehmen gefertigt.

Wie sieht es mit der Gewährleistung in einem solchen Fall aus?

Für die Gewährleistung steht jeweils das Unternehmen in der Pflicht, welches das entsprechende Bauteil errichtet beziehungsweise hergestellt hat. Bei mehreren Unternehmen erhöht sich naturgemäß der Aufwand für eine eventuelle Mängelbeseitigung.

Straßen.NRW hat die Zielsetzung ausgegeben, dass ab November weitergebaut und der erste Brückenteil im September 2023 freigegeben werden soll. Wie realistisch sind solche Termine?

Nur wenn alles planmäßig läuft, ist der genannte Termin realistisch. Ich würde persönlich schon allein auf Grund der Risiken im Vergabeverfahren von einem größeren Zeitkorridor ausgehen.

Nicht nur die zeitliche Abwicklung des Projektes wird ganz wesentlich von den in Zukunft zur Verfügung gestellten personellen Ressourcen innerhalb von Straßen-NRW beeinflusst. Hier gibt es Luft nach oben.

In der alten Brücke ist Asbest und Blei verbaut. Ist das eine Überraschung bei einer Brücke aus den 60er Jahren? Erschwert und verteuert das zwangsläufig den Abriss?

Die Asbestbelastung befindet sich soweit bekannt nur im Bereich der Vorlandbrücke. Die eigentliche Strombrücke ist unbelastet. Die Mehrkosten dürften sich daher im Rahmen halten. Art und Umfang der Entsorgungskosten lassen sich im Regelfall erst mit einem durch den Unternehmer zu erstellenden Abbruch- und Entsorgungskonzept benennen. Die Belastung an sich ist keine Überraschung, dürfte aber auch keine gravierenden Probleme bereiten, da kein Einzelfall.

Porr hat angekündigt, sich wieder zu bewerben. Straßen.NRW hat meine Anfrage, ob es möglich sei, dass Porr erneut den Zuschlag erhalten könnte, nicht kategorisch ausgeschlossen. Kann es möglich sein, dass Straßen.NRW gezwungen wäre, weiter mit Porr zu bauen? Oder kann Straßen.NRW ein Porr-Angebot auch ignorieren, selbst wenn es das wirtschaftlichste sein sollte?

Straßen.NRW muss ein Angebot von Porr berücksichtigen und kann es nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen in der Wertung ausschließen. Dies könnte zum Beispiel gelingen, wenn Straßen.NRW die Zuverlässigkeit der Firma Porr gerichtsfest in Frage stellen kann, was sicher schon allein dadurch erschwert wird, dass vermutlich Porr nach den gemachten Erfahrungen nicht nochmals mit einem chinesischen Arge-Partner ins Rennen gehen wird.

Hier bekommen die anfangs erwähnten neben dem Preis zusätzlich geltenden Vergabekriterien ihr Gewicht.

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