Geschichte in BergneustadtVor 50 Jahren musste das Alaska-Werk Konkurs anmelden

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Bergneustadt – „Friedhof der Schwachen“ überschrieb der „Spiegel“ seine Titelgeschichte im Herbst 1967. Noch nie hatte es im Nachkriegsdeutschland so viele Firmenzusammenbrüche gegeben wie in diesem Jahr. „Nach 16 Jahren stürmischen Aufschwungs gingen Tausende von Geschäftsleuten in die Knie. Dem Boom der Profite folgte der Boom der Bankrotte. Das Jahr 1967 scheint einen Rekord des Tiefgangs zu liefern“, hieß es. Von Januar bis Juni hatte sich die Zahl der Insolvenzen gegenüber dem ersten Halbjahr 1966 um 40 Prozent erhöht. „Jeden Tag hasten 20 bis 25 Fabrikanten, Kaufleute und andere Gewerbetreibende zu den Amtsgerichten, um Konkurs oder Vergleich anzumelden.“

Zu der langen Reihe namhafter deutscher Unternehmer und Firmen, die der Spiegel aufzählt, gehören auch Dieter Schildbach und sein „Volkskühlschrank-Werk Alaska“ in Bergneustadt. Er sei Opfer des Drucks der italienischen Kühlschrank- und Waschmaschinenhersteller auf ihre westdeutsche Konkurrenz geworden.

Das war aber nicht die einzige Ursache. Mangelndes Eigenkapital und unternehmerische Fehlentscheidungen trugen wohl auch dazu bei, wie aus den Berichten des damaligen technischen Leiters der Fabrik. Dr. Schirp, und später des Konkursverwalters hervorgeht, die im Bergneustädter Stadtarchiv lagern.

Mit dem Konkursantrag am 2. September 1967 verloren fast 1000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. 1,2 Millionen D-Mark an Lohn und Gehältern standen noch aus, 500 000 D-Mark Steuern und Konkursforderungen von 40 Millionen D-Mark standen zu Buche.

Dabei hatte alles so gut angefangen: Aus Sachsen kommend, beginnt Schildbachs Vater Dr. Richard Schildbach 1923 in Derschlag mit der Produktion von Kupferdraht. Sein 1916 geborener Sohn muss 1938 sein Studium in Wien abbrechen, um statt des erkrankten Vaters den Betrieb zu übernehmen. Die Rheinische Feindraht Industrie Dr. Ing. Schildbach, rühmt sich Dieter Schildbach später in einem Bericht zu den Ursachen der Pleite, habe die feinsten Drähte der Welt produziert.

Die Drähte konnten für alle deutschen Bombenzünder verwendet werden. Die Drahtzieherei wird als kriegswichtiger Betrieb eingestuft, drei Wochen nach seiner Einberufung ist Schildbach deshalb schon wieder im Unternehmen, das 1944 inklusive der Belegschaft in Verlagerungsbetrieben 1800 Mitarbeiter zählt.

Nach Kriegsende fasst Schildbach schnell wieder Fuß und erkennt, was die Menschen brauchten: preiswerte und angesichts der beengten Wohnverhältnisse kleine Kochgeräte. Aus noch vorhandenem Elektromaterial im eigenen Betrieb und Blechresten, die er in Nachbarunternehmen zusammenträgt, produziert Schildbach schon nach einer Woche die ersten 100 Kochplatten, das Stück für 15 Mark. Groß- und Einzelhändler bekommen Rabatt. Bald folgen Waffeleisen, Bügeleisen, andere Elektro-Kleingeräte für den Haushalt und schließlich die ersten „Volksherde“. Aus ganz Deutschland rollen Lastwagen an, um Schildbachs Produkte zu holen.

Die Firma wächst rasant – ebenso die Konkurrenz. Schildbach erkennt, dass er ein zweites Stadtbein braucht, kauft ein Schweizer Patent und steigt in die Kühlschrankproduktion ein. Die „Volkskühlschränke“ sollen ebenso preiswert sein wie seine Volksherde. „Wegen der Konkurrenten machte ich den Fehler, wohl aus irgendwelchen sozial/sentimentalen Gründen, die Preise für die Volksherde und die Volkskühlschränke zu niedrig anzusetzen“, schreibt Schilbach später. Doch das Geschäft brummt. Sogar im Bundeswirtschaftsministerium ist man auf den Bergneustädter Unternehmer aufmerksam geworden. Am 5. Mai 1955, dem Tag, an dem Deutschland die Wiedererlangung seiner Souveränität feiert, ist es Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ein Anliegen, nach Bergneustadt zu kommen, um Firmengründer Dr. Richard Schildbach und seinem Sohn Dieter zur Fertigstellung des 100 000. Alaska-Kühlschranks zu gratulieren.

Als Schildbach senior zwei Jahre später stirbt, wird Sohn Dieter alleiniger persönlich haftender Gesellschafter. Seine Mutter hält noch Anteile, die Geschwister verlassen das Unternehmen im Streit.

1961 holt sich Schildbach mit der Londoner Firma Radiation einen Partner ins Haus, der für drei Millionen D-Mark 42 Prozent der Firmenanteile übernimmt. Die Auftragslage ist gut, das Versandhaus Quelle wird Großabnehmer, und auch der Export nach Amerika floriert. 95 Prozent aller Kühlschränke, die in die USA exportiert werden, stammen aus Bergneustadt. Begehrt ist der „Zwei-Temperaturen-Absorber-Kühlschrank“, der sich wahlweise mit Strom oder Gas betreiben lässt. 1962 macht Alaska 44,4 Millionen D-Mark Umsatz, vier Jahre später sind es 52,6 Millionen.

Auch Schildbach bekommt seinen Anteil. Für die Jahre 1964 bis kurz vor dem Konkursantrag listet der Insolvenzverwalter später 1,1 Millionen D-Mark an Privatentnahmen auf – zusätzlich zu den 90 000 D-Mark Unternehmergehalt jährlich.

Je größer der Konkurrenzdruck durch andere Hersteller wird, desto mehr gerät Alaska Mitte der 1960er Jahre in Bedrängnis. Schildbach beschließt, auf Spezialgeräte auszuweichen. Doch deren Entwicklung und Produktion kosten Geld. Während der Umstellungsphase ab Mitte 1965 sind monatliche Verluste eingeplant, danach soll es wieder aufwärts gehen. Das klappt auch zu Schildbachs Überraschung gut: Die Gewinne fallen höher aus als erwartet.

Dann Anfang 1967 die Katastrophe: Der Kühlschrank-Markt bricht zusammen. Quelle und Neckermann bieten Geräte für 169 D-Mark an. Schildbach kann nicht mithalten. Er beschließt, die Produktion der Standardgeräte zu drosseln und die der Spezialgeräte zu forcieren.

Schildbach weiß seit langem, dass es eng werden wird. Bereits 1965 bietet er der Konkurrenz an, „Teil der Linde-Familie zu werden“. Das Geschäft kommt nicht zustande.

Im Frühjahr 1967 ist das Ende nicht mehr aufzuhalten. Schildbach stellt im Juli Antrag auf Vergleich und legt ein Konzept vor, wie er 40 Prozent der Forderungen aufbringen will. Alles vergeblich. Die Gläubiger sind zu zahlreich, die Verbindlichkeiten viel zu hoch. Am 2. September wird Antrag auf Anschlusskonkurs gestellt und die Produktion sofort eingestellt. Die noch verbleibenden Kräfte in der Buchhaltung müssen 950 Entlassungen schreiben.

Während die Menschen noch hoffen, dass es irgendwie weitergeht und auch in einer turbulenten Bürgerversammlung erklärt wird, die Entscheidung über eine Wiederinbetriebnahme falle erst Ende des Monats, sind in Wahrheit die Würfel längst gefallen: Bereits am 17. September entscheidet der Gläubigerausschuss, dass Alaska nicht wieder eröffnet. Gläubiger und Mitarbeiter gehen leer aus, es gibt nichts zu verteilen: „Das Schwein Alaska wurde geschlachtet“, schreibt Schildbach in seinen Erinnerungen.

Er selbst hatte sich längst ein zweites Standbein geschaffen und 1958 in Spanien unter General Franco mit dem Bau von Häusern begonnen. Ein kanadischer Investor, der drei Monate nach dem gescheiterten Vergleich Material und Konstruktionsrechte bar bezahlt, ermöglicht es Schildbach, im Fischdorf Cadaqués an der Costa Brava ein Hoteldorf zu bauen.

Mit seiner Frau führt er das Hotel, erweitert es bald um eine Tauchbasis und sogar um eine Kapelle. Später folgt ein großes Hotel, das „Europahaus“. Bis zu seinem Ruhestand bleibt er in Spanien. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Saßen wir alle bei einer Sangria abends nach dem Essen auf der Terrasse am Schwimmbad und schauten aufs Meer, waren wir rundherum glücklich.“ Dieter Schildbach starb 2015 im Alter von 98 Jahren in Marienheide.

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