NS-Belastung der KreisverwaltungViele Parteimitglieder blieben im Amt

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Gummersbach – Wie sehr wurde die oberbergische Kreisverwaltung in ihren Anfangsjahren nach 1945 von Nazis dominiert? Und welche Rolle spielte dabei Oberkreisdirektor Dr. Friedrich-Wilhelm Goldenbogen? Durch Bürgeranfragen ist die NS-Belastung der Nachkriegseliten in Oberberg wieder ein Thema geworden, das sogar im Kreistag diskutiert wurde. Die Brisanz liegt darin, dass Goldenbogen stattliche 33 Jahre lang an der Spitze der Kreisverwaltung stand und in der oberbergischen CDU den Status einer Symbolgestalt erlangte.

Der Kreistag beauftragte darum den Kreisarchivar Gerhard Pomykaj, sich dieses Themas noch einmal anzunehmen. Nachdem Pomykaj im Ältestenrat von seinen Erkenntnissen berichtet hatte, hielt er nun einen viel beachteten Vortrag in der Aula an der Moltkestraße. Vor 130 Zuhörern schlug der Historiker einen weiten Bogen von den Anfängen des Nationalsozialismus in Oberberg bis in die 1950er Jahre unter besonderer Berücksichtigung der „Kontinuitäten und Diskontinuitäten“. Pomykaj betonte, dass zu dieser Frage bereits eine Reihe von Veröffentlichungen vorlägen, nicht zuletzt in dem von ihm und Volker Dick verfassten Band 3 der „Oberbergischen Geschichte“. Allerdings gebe es auch noch immer neue Erkenntnisse. Etwa darüber, dass der hochrangige NS-Funktionär und SS-Mann Otto Marrenbach 15 Jahre nach Kriegsende zum Vorsitzenden des Bürgervereins in Reichshof-Brüchermühle gewählt wurde. Eine kritische Anmerkung dazu in einem Leserbrief löste beim Bürgerverein große Empörung aus.

Entnazifizierung war wenig populär

Mit dieser Anekdote illustrierte Pomykaj seine These, die sich auf den Nenner bringen lässt: Der tiefe Einschnitt, den das Kriegsende für die deutsche Gesellschaft darstellte, führte nicht zu einem völligen Bewusstseinswandel. Jeder zehnte Oberberger und acht von zehn Lehrern waren Parteimitglieder gewesen. Die deutliche Mehrheit, glaubt Pomykaj, sei auch nach Kriegsbeginn vom Regime überzeugt geblieben. Die breite Identifikation vieler Menschen mit dem Nationalsozialismus ließ sich nicht ohne weiteres abstreifen. Am ehesten distanzierte man sich vom NS-Regime, indem man sich als Opfer einer Täuschung durch Hitler verstand. Dementsprechend gnädig beurteilte man wechselseitig die Verstrickung in die monströse Schuld. Als SPD und KPD direkt nach dem Kriegsende eine scharfe Entnazifizierung forderten, wurden sie bei den ersten freien Wahlen in Oberberg abgestraft.

Die Menschen in Oberberg unterschieden sich in dieser Hinsicht nicht von den übrigen Deutschen. Die besondere Anfälligkeit des südlichen Kreises für die NS-Ideologie führt Pomykaj weniger auf regionale Besonderheiten wie das Wirken des Funktionärs Robert Ley zurück als auf die kleinbäuerlich-protestantische Prägung der Gegend. „Das ist in Schleswig-Holstein nicht anders gewesen.“

Auch Friedrich-Wilhelm Goldenbogen sei ein Kind seiner Zeit und seiner pommerschen Herkunft gewesen, meint Pomykaj. Der Oberkreisdirektor sei „sicher nicht der allerschlimmste Nazi gewesen“, allerdings anders als von ihm selbst behauptet gewiss ein Mitglied der NSDAP – wie nicht wenige hochrangige Lokalpolitiker der Nachkriegszeit. Pomykaj nennt die Landräte Wilhelm Henn, Reinhard Kaufmann und Dr. Heinrich Schild als Beispiele oder auch den späteren Gummersbacher Bürgermeister Heinz Billig. Pomykaj charakterisiert Goldenbogen als „autoritären Nationalkonservativen“ mit gering ausgeprägten demokratischen Neigungen, was er auch Zeit seines beruflichen Wirkens geblieben sei. So habe Goldenbogen den Kreistag auch mal einen Haushaltsplan beschließen lassen, ohne diesen überhaupt vorgelegt zu haben.

Landrat Theodor Pichier wurde 1945 von den Besatzern abgesetzt und interniert. Dass die übrige Kreisverwaltung in zahlreichen Positionen mit Funktionsträgern besetzt blieb, die schon in der NS-Zeit eine wichtige Rolle spielten, habe aber noch einen anderen, wichtigeren Grund, führte Pomykaj aus. Auch der liberale, von der NS-Zeit unbelastete erste Nachkriegslandrat Dr. August Dresbach habe bald erkannt, dass die Verwaltung des Kreises sonst zusammengebrochen wäre, und bei den englischen Besatzern am Ende erfolgreich für eine großzügige Lösung gekämpft. Zu den Herausforderungen der Nachkriegsjahre gehörte es, Massen von Evakuierten oder Vertriebenen unterzubringen und zu versorgen.

Am Ende seines Vortrags merkte Pomykaj an, dass er als Historiker nicht richten wolle über die in die Schuld der NS-Zeit verstrickten Menschen. Mit Blick auf aktuelle Erfolge eines völkischen Rechtspopulismus mahnte er aber: „Wenn eine Diktatur erst einmal etabliert ist, ist Widerstand schwierig. Darum gilt: Wehret den Anfängen.“

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