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WaldbrölWK Theater feiert Premiere mit „Terror“ – 66 plädieren für Freispruch

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Eine Szene aus der Probe. Noch drei Mal werden die Zuschauer zu Schöffen.

Eine Szene aus der Probe. Noch drei Mal werden die Zuschauer zu Schöffen.

Waldbröl – Der heitere Empfang im Foyer mit Paragrafen-Keksen und Snacks täuscht. Es wird ernst in der Hollenberg-Aula, die an diesem Abend ein Gerichtssaal ist. Die Zuschauer werden schon durch die Kraft des Raumes zu Schöffen. Der Richter (Ralf Tenbrake) belehrt sie vor Beginn. Seine Ausstrahlung genügt, um klarzumachen. Hier wird Recht gesprochen. Jeder hat eine StimmkarteWaldbröl bekommen, um zu urteilen: schuldig oder nicht schuldig.

Anklage: 164-fachen Mord

Der Angeklagte ist geständig. Major Lars Koch (Peter Becker) ist Kampfpilot der Bundeswehr und hat ein entführtes Passagierflugzeug mit 164 Personen abgeschossen, damit es nicht von seinem Entführer in das mit 70 000 Menschen besetzte Stadion in München gesteuert wird. Er ist des 164-fachen Mordes angeklagt. Peter Becker spielt ihn zunächst etwas naiv, zeigt dann aber seine innere Not, als er in die Zangen der Staatsanwältin gerät. Sein Verteidiger (Kurt Mai) bescheinigt ihm „Mut und Kraft“ in einer Situation, die vom Gesetz nicht angemessen erfasst wird. Mai spielt menschlich und wirkt, als könne er auch Fünfe gerade sein lassen. Die Staatsanwältin beharrt auf den Grundwerten und den Prinzipien unserer Gesellschaft: Elisa Huland als Anklägerin pumpt unentwegt Druck in die Verhandlung. Mit spitzer Zunge und Selbstgewissheit stellt sie den Zeugen Lauterbach an den Pranger. Als Offizier der Luftüberwachung spielt Kaspar Zekorn einen Soldaten, der an die Befehlskette glaubt. Die Anklage führt ihn vor: Er habe es sich leicht gemacht, Alternativen nicht bedacht, falsch entschieden. Am Ende sieht er sich selbst als Angeklagten.

Im Zeugenstand gesteht Major Koch, er habe gehört und verstanden, dass der Verteidigungsminister den Abschuss der Maschine untersagt habe, die trotz Warnschuss nicht reagiert hatte. „Aber ich habe es nicht fertiggebracht, 70 000 Menschen sterben zu lassen!“ Das ist die Stunde der Staatsanwältin: „Sie haben die größere Zahl gegen die kleinere abgewogen. Sie haben über Leben und Tod entschieden, quasi gottgleich.“ Für Koch waren die Passagiere vor allem „Teil einer mörderischen Waffe“.

Britta Faulenbach spielt die Nebenklägerin Franziska Meiser, die ihren Mann bei dem Abschuss verloren hat. Sie bringt jede Menge Emotion in die Arena. Trauer und sehr viel Wut wirken verstörend in diesem Analyse-Raum, sind aber für die Schöffen wichtig.

Tenbrake hält die Spannung im Saal

Die Plädoyers sind knapp und durchdacht. Die Anklage kann hier noch einmal punkten, als sie die Würde jedes Menschen betont. Die Verteidigung setzt auf den gesunden Menschenverstand und erklärt: „Wir befinden uns im Krieg, und da gibt es immer Opfer.“ Da wird es kalt im Saal.

Die Abstimmung geht ohne große Debatten ab und bringt ein klares Urteil: Freispruch. 66 Schöffen sind dafür, 35 halten Koch für schuldig. Der Richter begründet dieses Urteil, schließt sich der Verteidigung an. Mit seiner Bedachtsamkeit, die immer kurz vor einem Ausbruch zu stehen scheint, hält Tenbrake die Spannung im Saal. Am Ende fühlt es sich fürs Publikum an, als habe man Dienstschluss.

Thorsten Schmidt, von Beruf Richter in Zivilsachen, hat ein Lehrstück über Entscheidungsnot inszeniert, das bis zum Ende fesselt.

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