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AfD in Wiehl27 Autoren setzen im Ratssaal ein „Lesezeichen“

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Vor jeder Lesung interviewte Moderatorin Antje Deistler (l.) die Autoren. Hier ist sie im Gespräch mit Nienke Jos, die aus ihrem Buch „Die Einsamkeit der Schuldigen“ vortrug.

Vor jeder Lesung interviewte Moderatorin Antje Deistler (l.) die Autoren. Hier ist sie im Gespräch mit Nienke Jos, die aus ihrem Buch „Die Einsamkeit der Schuldigen“ vortrug.

Wiehl – 27 Autorinnen und Autoren kamen nach Wiehl, um im Ratssaal ein „Lese-Zeichen“ zu setzen. Sie lasen, sangen und musizierten auf der Langstrecke: eine Stunde am Vormittag und von 14 bis 21 Uhr. Eingeladen hatten Buchhändler Mike Altwicker, Bestsellerautorin Melanie Raabe und Moderatorin Antje Deistler. „Wir lesen hier nicht gegen, sondern für etwas“, betonte Altwicker, „daher ist es nicht schlimm, dass der Grund unserer Aktion gekniffen hat.“

Gemeint war natürlich der abgesagte AfD-Parteitag. „Ich hatte mich kaum vom Ergebnis der Bundestagswahl erholt, da bekam ich die Nachricht von dem Landesparteitag der Partei in Wiehl“, erzählte Raabe. „Mir war sofort klar: Da müssen wir was machen.“

Bestseller und Neuentdeckungen

Das sahen auch die anderen Autoren so: Nur der Wipperfürther Volker Kutscher hatte aus familiären Gründen abgesagt. Ein begeisterungsfähiges, vorwiegend heimisches Publikum hörte gebannt zu. Zwischen 30 und 75 Literaturfans erlebten eine politisch eingefärbte „Lit.Wiehl“ im Viertelstundentakt. Zu kaufen gab es nichts: „Auf keinen Fall soll das hier einen merkantilen Charakter bekommen“, sagte der Buchhändler unter Beifall. Einen Polizeieinsatz gab es am Vormittag – aber die Beamten wollten „nur mal ein bisschen zuhören“.

Antje Deistlers moderierte charmant und stellte die Autoren kurz vor, fragte nach ihrer Motivation zur Teilnahme. Bewegt und verstört berichtete Melanie Raabe von den Tumulten und Schlägereien auf der Frankfurter Buchmesse. „Ein Ort des geistigen Austausches sollte das doch sein. Und ich als Schwarze muss mir überlegen, ob ich in die Halle gehen kann, in der die rechten Verlage ausstellen.“

Buntheit und Vielfalt kennzeichnete die Texte. Vom 1. Platz der Krimi-„Zeit“-Bestenliste („Lebt“, Orkun Ertener) bis zum „Bullen von Garmisch“ (Martin Schüller) zog sich ein blutiges Band. Ein anderer Strang verband historische Romane („Señora Gerta“, Anne Siegel) mit politischen Themen wie dem NSU-Thriller „Wolfsspinne“ (Horst Eckert).

Gina Mayer taucht in die Klangwelt der von den Nazis verfemten „atonalen Musik“ ein („Das Lied meiner Schwester“). Andrea Badey elektrisierte mit ihrem Jugendroman: „Strom auf der Tapete“. Als Multitalent trug sie auch ein Chanson aus der Geschichte vor. Fritz Eckenga las aus seinen Gedichten unter dem Titel „Mit mir im Reimen“. Er ulkte und blödelte, aber er wurde auch sehr deutlich in seiner Schelte der „Protestwähler“, die als „Doppeldoofe“ jetzt die Rechten ins Bundesparlament gehievt hätten.

Altwickers persönliche Entdeckung ist Nienke Jos’ „Die Einsamkeit der Schuldigen“. Er nennt den Roman ein Meisterwerk und Phänomen: „Sie hat erst gar keinen Verleger gesucht und das Buch selbst veröffentlicht, perfekt lektoriert!“ Melanie Raabe las aus „Die Wahrheit“: Eine Liebesszene, um den Tag harmonisch zu beschließen.

Großer Beifall für das erschöpfte, aber glückliche Organisationsteam. Altwicker zitierte zum Schluss Brechts „Kinderhymne“, die mit den Versen endet: „Und weil wir dies Land verbessern / Lieben und beschirmen wir's / Und das Liebste mag's uns scheinen / So wie andern Völkern ihr’s.“

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