Wo das Rheinland auf Westfalen trifftViel Grün und wenig Häuser in Wilbrighausen

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Viel Grün und wenig Häuser prägen das Grenzgebiet, in dem Karl-Wilhelm Kemper (l.) unter anderem mit Sohn Dennis lebt.

Viel Grün und wenig Häuser prägen das Grenzgebiet, in dem Karl-Wilhelm Kemper (l.) unter anderem mit Sohn Dennis lebt.

Wilbringhausen – In der Marienheider Ortschaft Wilbringhausen steckt nach wie vor viel Westfalen. Hier oben, auf dem Höhenrücken zwischen dem oberbergischen Marienheide und dem märkischen Kierspe, beenden zum Beispiel viele Menschen ihre Sätze mit der rhetorischen Frage „Woll?“. Mit dem plattdeutschen Begriff will der typische Sauerländer seine Aussage bekräftigen. „Woll“ stammt von „wohl“ und bedeutet so viel wie „nicht wahr?“.

Wilbringhausen ist ein wahres Grenzdorf, gehörte es doch bis Mitte der 1970er Jahre teils zum rheinländischen Oberberg, teils zum westfälischen Märkischen Kreis. Karl-Wilhelm Kemper weiß genau, wo einst die Grenze zwischen den beiden Kreisen verlief. Er steht auf der Durchgangsstraße mitten im Ort: „Unter mir verläuft ein verrohrter Bach – ab hier war Westfalen.“ Damals markierte dort ein Straßenschild mit dem oberbergischen Kreiswappen die ansonsten unsichtbare Trennung zwischen Rheinland und Westfalen.

Nur fünf oder sechs Häuser gehörten zu Oberberg

Kemper ist auf dem elterlichen Bauernhof groß geworden, der auf der westfälischen Seite des Ortes lag und den er heute gemeinsam mit Ehefrau Ulrike bewirtschaftet. Erst im Alter von 23 Jahren wurde aus dem Westfalen Kemper der Rheinländer Kemper – denn mit der Gebietsreform, die im Jahr 1975 in Kraft trat, wurde der Ort komplett von Marienheide eingemeindet. „Dabei gehörte bis dahin nur ein Drittel des Dorfes zu Oberberg. Das waren nur fünf oder sechs Häuser“, sagt Kemper.

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Während die meisten Wilbringhauser ob der neuen Zugehörigkeit äußerst skeptisch waren, hatte sich die Familie Kemper dafür stark gemacht. Kaum war Karl-Wilhelm Kempers Vater Wilhelm ein Bürger der Gemeinde Marienheide, engagierte er sich in der Ortspolitik. Sein Sohn erinnert sich: „Er wurde in den Gemeinderat gewählt. Erst war er zwei Jahre lang stellvertretender Bürgermeister und ab 1978 für 16 Jahre Bürgermeister.“ Damals war ein ehrenamtlicher Bürgermeister viel mit repräsentativen Aufgaben betraut, während ein Gemeindedirektor die Verwaltungsgeschäfte führte.

Gebietsreform machte vieles einfacher

Dass ein Nachbar Erster Bürger ihrer neuen Gemeinde wurde, hat wohl einige einst westfälische Wilbringhauser mit der Gebietsreform versöhnt. Plötzlich war zudem vieles einfacher, erinnert sich Karl-Wilhelm Kemper: „Zuvor war es kompliziert, Grundstücksangelegenheiten mit zwei Kommunen zu regeln. Und bis zur Gebietsreform hatten wir sogar zwei Briefträger: Der eine kam von Kierspe, der andere aus Rodt-Müllenbach.“

Andere grenzspezifische Begebenheiten haben bis heute überlebt. So hat Wilbringhausen nach wie vor zwei Telefonvorwahlen. Einige Haushalte sind unter der Marienheider Vorwahl 0 22 64 zu erreichen, andere unter der Kiersper Nummer 0 23 59.

Karl-Wilhelm Kemper zeigt, wo einst die Kreisgrenze verlief – mitten durch den Ort. Vor ihm war Oberberg, dahinter das Märkische.

Karl-Wilhelm Kemper zeigt, wo einst die Kreisgrenze verlief – mitten durch den Ort. Vor ihm war Oberberg, dahinter das Märkische.

Viele Jahre lang waren die zum Großteil evangelischen Bürger noch der Kirchengemeinde in Kierspe zugeordnet, erinnert sich Ulrike Kemper: „Unsere Söhne Lars und Dennis durften den Konfirmandenunterricht in Müllenbach nur besuchen, weil der Pastor in Kierspe ihnen eine Sondergenehmigung erteilt hatte.“

Einige ältere Wilbringhauser gehen bis heute lieber zum Gottesdienst nach Kierspe statt nach Müllenbach oder Marienheide, weiß Ulrike Kemper, die übrigens selbst aus Kierspe stammt.

Neben Kölsch gibt es auch Pils

Die Grenzlage von Wilbringhausen lässt sich auch an der Biersorte festmachen. Als Karl-Wilhelm Kemper jüngst den Ortsstammtisch ausgerichtet hat, gab’s neben Kölsch selbstverständlich auch Pils: „Das trinken hier immer noch die meisten.“ Solche Einkäufe tätigt er nicht immer auf Marienheider Gemeindegebiet, wie der CDU-Ratsherr leicht verschämt einräumt: „Für mich und viele Nachbarn ist es ganz normal, für den Wocheneinkauf auch mal nach Kierspe oder Meinerzhagen zu fahren.“ Die märkischen Orte sind nämlich genauso schnell zu erreichen wie der Hauptort Marienheide.

Im Laufe der Jahre sind in Wilbringhausen die kleinen feinen Unterschiede zwischen Rheinländern und Westfalen weniger geworden, hat Karl-Wilhelm Kemper beobachtet: „Das verwächst sich mit den Generationen.“ Überhaupt stellt sich für die meisten Einwohner die Frage einer Zugehörigkeit gar nicht. Denn hier oben, auf 440 Metern Höhe, ist die Aussicht aufs Oberbergische wie aufs Märkische gleichermaßen wunderbar.

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