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Ein politisches LebenWolfgang Bosbach nimmt Abschied von Berlin

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Berlin – Drittletzte Reihe im Plenarsaal des Bundestags: Mit kritischem Blick verfolgt Wolfgang Bosbach den Schlagabtausch am Rednerpult, zieht die Stirn in Falten. Seine letzte Abstimmung nach 23 Jahren als Abgeordneter.

Über die „Ehe für alle“. Ausgerechnet. Lieber hätte er über eine „Steuerreform, die den Namen auch verdient,“ abgestimmt, sagt er später. Stattdessen geht einer der Werte seiner Partei über Bord, für deren konservatives Profil der Politiker aus Bergisch Gladbach sich mehr als zwei Jahrzehnte im Bundestag eingesetzt und ein politisches Leben lang gekämpft hat.

Anfang der Woche war das noch nicht abzusehen: Wolfgang Bosbach spricht am Dienstag bei einer Veranstaltung des Verbandes der Deutschen Dentalindustrie in Köln, als sich in Berlin die Meldungen zur „Ehe für alle“ überschlagen. Im Flieger geht es zurück nach Berlin, auch in einer Sitzungswoche ist der gefragte Redner, so weit es die Sitzungen an der Spree zulassen, in der Republik unterwegs. Per SMS informiert er sein Büro in Berlin zum Vorgehen für die nun eingehenden Presseanfragen: „0,0“. Heißt: Kein Kommentar. Noch nicht.

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„Zum Glück hat er seit einigen Wochen ein Smartphone, da kann ich ihm auch schon mal eine E-Mail schreiben, die er dann unterwegs liest“, sagt Kirsten Sittig, die im fünfköpfigen Berliner Büro-Team für die Terminplanung Bosbachs zuständig ist. „Er bekommt Tausende Anfragen pro Jahr; er sagt nur, welche er machen kann, den Rest erledige ich.“

„Ssst“ macht das Handy auf dem Schreibtisch – eine neue Kurznachricht vom Chef: Jetzt sitzt er in der Fraktionssitzung fest, muss Interview-Termine absagen. Die Entscheidung der Kanzlerin schlägt Wellen in der Union. Bosbach zeigt sich in der Fraktion verwundert, dass die Fraktionsspitze darum bittet, mit denen respektvoll umzugehen, die bei der Abstimmung anders als das Gros der Fraktion stimmen wollen. „Ich persönlich habe das ganz anders erlebt“, erinnert er sich an Kraftausdrücke, die er zu hören bekam – etwa als er 2011 gegen den Euro-Rettungsschirm stimmte.

Kohls direkter Büro-Nachbar

Es ist nach fünf, als der Politiker in das Büro eilt und ein anderes Jackett aus dem Wandschrank holt. „Wir sind hier übrigens direkt unter dem ehemaligen Büro von Helmut Kohl.“ Fünf Jahre lang war Kohl sein direkter Büro-Nachbar. Kohl habe viel und lange gearbeitet, erinnert sich Bosbach.

„Einmal bin ich abends um elf zu ihm ins Büro und habe gefragt: Herr Bundeskanzler, sollen wir nicht mal Feierabend machen?“, erzählt der 65-Jährige nachdenklich. „Da hat er gesagt: ,Du hast es gut! Was soll ich jetzt noch machen? „Klar, der konnte nicht noch irgendwo in Ruhe hingehen. Es hätte sofort einen Menschenauflauf gegeben.“

Wieder mal Stau in Berlin. Der Fahrdienstmitarbeiter des Deutschen Bundestags lässt Bosbach einige Meter vor dem Kronprinzenpalais aus dem Wagen. Der Abgeordnete stutzt, als er drinnen am Einlass zum Sommerfest des Parlamentskreises Mittelstand nach dem Ausweis gefragt wird. Das passiert dem medienpräsenten Politiker selten. Aber auch in Berlin sind die Sicherheitsvorkehrungen nochmals verschärft worden.

Im Garten des Palais spricht die Bundeskanzlerin, Bosbach geht zum Büfett. Im Nu ist er umlagert. Von Menschen, die Selfies mit ihm machen möchten, bedauern, dass er aufhört, oder ihn einladen wollen. Ob er 2018 den Kommunalwahlkampf in Schleswig-Holstein unterstützen könne? Bosbach antwortet – was selbst seinen besten Freund Horst Becker überrascht – mit „Nein.“ „Tut gut, dass er das kann“, sagt Becker.

Er kämpft sich zum Ausgang durch, um 21 Uhr hat er Fußballtrainer Christoph Daum zugesagt, zur „dritten Halbzeit“ eines Benefizspiels des FC Bundestag gegen die von Daum trainierte Mannschaft der Deutschen Diabetes-Hilfe zu kommen. Bis zu seiner Krebserkrankung hat Bosbach selbst beim FC Bundestag mitgespielt, oft als rechter Verteidiger.

Daums Sohn Jean-Paul hat in Bosbachs Büro vor kurzem ein Praktikum absolviert. Auch die Söhne von Fußballtrainer Felix Magath, Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein oder ZDF-Intendant Thomas Bellut seien schon bei ihm gewesen, erzählt der Politiker nicht ohne Stolz. „Alle sehr interessiert und engagiert.“

So ein gutes Zeugnis bekommt die Podiumsrunde mit Politikern aus dem Gesundheitsausschuss nicht, denen die Moderatorin eine verpatzte Präventions-Strategie vorhält. Die Stimmung in der Hotelbar-Runde bei der "dritten Halbzeit" ist rasch auf dem Nullpunkt.

„Da werden alle Vorurteile gegen Politik bestätigt“, raunt Bosbach seinem Tischnachbarn zu und schüttelt den Kopf. Ergebnisse wie „Wir sind uns fast einig, aber wir können uns nicht einigen“ sind nichts für ihn. „Wenn man sich zu 95 Prozent einig ist, dann fang ich lieber an, als noch auf die letzten fünf Prozent zu warten“, sagt er. „Besser als große Pläne, aus denen nix wird.“

Mit einem Berg von Zeitungen sitzt er am nächsten Morgen im Frühstücksraum des Steigenberger Hotels am Kanzleramt. Seine Heimatzeitungen hat er bereits auf dem Zimmer gelesen. Nummer 562, immer dasselbe. Eine Wohnung in Berlin zu mieten, daran habe er nur einmal gedacht: Als Tochter Caroline zum Studium nach Berlin kam. „Ich habe ihr vorgeschlagen, eine WG zu gründen“, erinnert sich der Vater dreier Töchter.

„An den Schrecken in ihrem Gesicht kann ich mich noch genau erinnern.“ So genießt er weiterhin, sich im Hotel um Frühstück und Wäsche keine Gedanken machen zu müssen. Von einem „Leben im Hotel“ könne man ohnehin nicht sprechen, „höchstens Übernachten im Hotel“, in 22 Sitzungswochen pro Jahr à vier Nächte. „Als Verheirateter hätte ich für eine eigene Wohnung in Berlin auch noch die Zweitwohnsteuer zahlen müssen.“

Noch etwas Obst, mehr Zeit ist nicht. Vor dem Hotel wartet Frühdienst-Fahrerin Anna-Maria Wilken. „Einen so großartigen Menschen lernst du nur ganz selten kennen“, sagt Bosbach, „in 17 Jahren war sie nicht einmal genervt.“ Ob Bosbach einen Schneider sucht oder über Kinofilme sprechen möchte – Wilken kennt sich aus und liefert dem rastlosen Politiker Tipps für eine gesundere Lebensweise gleich mit.

„Sie hat mich tief ins Berliner Leben eingeführt“, sagt Bosbach, als die Fahrerin vor seinem Büro hält. Ein erstes Fernsehteam wartet bereits im Flur, der Politiker muss sich im Foyer erst in die Anwesenheitslisten eintragen. Pro Sitzungstag, an dem er nicht anwesend wäre, würden ihm 100 Euro abgezogen, eine versäumte Abstimmung würde extra kosten. Die abgewetzte Ledermappe, die ihn seit seinem ersten Tag im Deutschen Bundestag begleitet, landet auf dem Schreibtisch, ein Plausch mit einer Musikergruppe aus Düsseldorf, dann gibt er ein Fernsehinterview.

Zu Fuß zur letzten Sitzung

Zu seiner letzten Sitzung im Innenausschuss geht Bosbach zu Fuß. Das gibt den Fernsehmachern die Gelegenheit, „Zwischenschnitte“ für den TV-Beitrag aufzunehmen. Zwei Tage nach dem Vorstoß der Kanzlerin in der Talkrunde einer Frauenzeitschrift hält er nun auch öffentlich nicht mehr mit Kritik hinterm Berg: „Vielleicht wäre das ja doch eher etwas für einen Bundesparteitag gewesen“, sagt er spitz. Als der Kameramann meint, Merkel sei sich der Tragweite ihrer Äußerung vielleicht gar nicht bewusst gewesen, lächelt Bosbach. Er weiß, wie das Mediengeschäft funktioniert. Und das der Politik.

Er brauche keine Straße, die nach ihm benannt werde, kein Denkmal, sagt der frühere Fraktionsvize unterwegs am Brandenburger Tor. Natürlich werde ihm der Politikbetrieb fehlen, „aber nicht alles daran“, sagt er: „Stundenlange Debatten, bei denen ich schon nach zehn Minuten merke, das bringt nix, werde ich nicht vermissen.“

Einige Stunden später steht Bosbach auf dem Bahnsteig. Am Abend soll er noch in Thüringen reden, bei einem Kollegen, der noch einmal kandidiert. Bosbach kennt solche Unterstützungsveranstaltungen bundesweit. Und er findet, im Schnitt könne die CDU von ihrer Schwesterpartei CSU da noch einiges lernen: In Bayern seien die Veranstaltungen einfach von vorne bis hinten gut organisiert. „Bei der CSU halten sie dir einen Parkplatz frei, bei der CDU hörst du oft als erstes: Hier dürfen sie aber nicht parken“, nennt er ein Beispiel.

Der ICE fährt ein. Während Bosbach im Zug den Zeitungsstapel vom Morgen noch einmal durchackert, jetzt auch Buchkritiken und Kulturthemen liest, ist sein Zimmer in Berlin abbestellt.

Er übernachtet in Thüringen, gleich am nächsten Morgen fliegt er weiter nach Frankfurt und kommt erst am Donnerstagnachmittag nach Berlin zurück, wo er mit Rapper Kay One verabredet ist. Der 32-Jährige hat einen guten Freund bei einem Verkehrsunfall verloren und möchte jetzt seine Popularität nutzen, um für mehr Verkehrssicherheit zu werben. Bosbach hat ihm einen Termin im Verkehrsministerium vermittelt; Minister Alexander Dobrindt gefällt die Idee. „Schade, dass du nicht Kanzler geworden bist, du wärst der coolste gewesen“, meint Kay One zu Bosbach. „Das wäre vielleicht nicht besser, aber sicher lustiger gewesen“, antwortet der Politiker lachend.

Alles andere als lustig wird die letzte Abstimmung am folgenden Morgen. Bosbach beißt die Zähne zusammen, sein „Nein“ kann das Ergebnis nicht verhindern. Immerhin ist er gleich wieder an der Basis unterwegs: eine Gruppe aus seinem Wahlkreis ist zu Besuch. Danach ab in den Flieger: Es stehen Auftritte im Südwesten der Republik an. Da ist Bosbach dann wieder in seinem Element – da gewinnt er. Auch wenn er mal nicht mehr im Bundestag ist.

Dieser Artikel ist zuerst auf rundschau-online.de erschienen.

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