FernsehenDokumentation über Bergisch Gladbacher Jugendamt erzählt auch Unglaubliches

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Jugendlicher. Symbolbild

Bergisch Gladbach – Die junge Frau sagt: „Ich bin nur auf dem Sofa eingeschlafen. Ich war nicht betrunken.“

Der Zuschauer glaubt der Frau das nicht so richtig. Sozialarbeiterin Jolanta Mirski (57) hat auch Zweifel. Nicht als Frage, sondern als Feststellung formuliert, sagt sie: „Sie wissen, dass Sie für Ihre Tochter die Aufsichtspflicht haben.“

Kurz vorher ist die vierjährige Lydia von einer Nachbarin im Treppenhaus gefunden worden: Vier- bis sechsmal in der Woche passiere das, weil die Mutter sich betrinke, hat die Nachbarin telefonisch dem Jugendamt gemeldet. Aber muss das Kind wirklich gleich ins Heim, weil die Mutter überfordert ist? Oder muss man der jungen Mutter noch einmal eine Chance geben?

Dokumentation zeigt Sachliches und Unglaubliches

Wolfram Seeger ist mit „Im Jugendamt“, der am Mittwoch im WDR zu sehen war, eine starke Dokumentation gelungen. Ein Film, der sachlich ist und Unglaubliches wie nebenbei erzählt. Er versucht auch die Frage zu beantworten, ob die Ämter zu übereifrig reagieren – vor allem seit so viele Kindesmisshandlungen mit tödlichem Ende vermehrt Schlagzeilen machen.

Am Beispiel des Gladbacher Jugendamtes wird der oft belastende Amtsalltag im Umgang mit familiären Problemfällen geschildert. Zwei Jahre lang hat der Autor die Arbeit beobachtet.

Familiärer Zerfallsprozess

Ein junges Mädchen wird seit Jahren von ihrem Vater geschlagen, die Mutter sieht weg. Ein Vater, der getrennt von seiner Frau lebt, benutzt die Kinder, um wieder an die Frau heranzukommen. Eine Frau will mit ihren Kindern in den Urlaub fahren, aber der geschiedene Mann hat etwas dagegen. „Der Job ist schwieriger geworden“, sagt Mirski. Als sie vor 18 Jahren angefangen habe, habe sie etwa zwölf laufende Fälle gehabt. Mit der Zeit habe sich das Arbeitsaufkommen verdreifacht. In authentischen Szenen wird der familiäre Zerfallsprozess spürbar. „Wir bekommen viel mehr mit psychisch kranken Eltern zu tun“, sagt Mirski. Ihre schlimmste Angst sei, dass einem Kind unter ihrer Zuständigkeit etwas angetan werden könnte.

In konzentrierter Ruhe gefilmt, dazu gehört auch die bauliche Tristesse des Amtes, ringen die Menschen auf beiden Seiten des Schreibtischs um ihre Würde. Dies ist in jeder Minute von Seegers Film zu spüren. Jolanta Mirski gibt sich keinen Illusionen hin: „Man kann die Leute unterstützen, aber dass sie sich verändern, das müssen sie schon selbst machen.“

Nach 18 Jahren liegen ihre Nerven blank: „Ich kann in dem System so nicht mehr arbeiten.“ Nur noch zu 30 Prozent bestehe ihre Arbeit aus dem Kontakt zu den Menschen. Den Rest der Zeit sitze man am Computer und am Telefon. Am Ende der Dreharbeiten 2015 wechselt sie zur Betreuung von Flüchtlingen. Man denkt: Es ist nicht gut, dass Mitarbeiter des Jugendamtes kaum noch Kontakt zu ihren Klienten haben.

Man denkt auch: Warum wird so ein guter Beitrag in einem dritten Programm um 23.30 Uhr versteckt?

Die Dokumentation ist derzeit noch über die WDR-Mediathek abrufbar.

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