Abo

Kinderdorf BethanienFlüchtlingskinder stellen ihren ersten Maibaum

Lesezeit 3 Minuten
MaibaumKinderdorfBethanien03

Gemeinsam verzieren die Kinder ihren eigenen Maibaum.

  • Leyla und Samira haben ihre Eltern auf der Flucht aus dem Irak unterwegs aus den Augen verloren.
  • Im Kinderdorf Bethanien stellen sie ihren ersten Maibaum.
  • Kinderdorf richtet Betreuung speziell für Flüchtlingskinder ein.

Bergisch-Gladbach – „Er kippt, er kippt!“, ruft ein siebenjähriger Junge auf dem Innenhof des Kinderdorfes Bethanien in Refrath. Etwa 15 Kinder und mehrere Erwachsene sind gerade dabei, einen vier Meter hohen Maibaum an Seilen aufzurichten. Mit vereinten Kräften legen sich noch mal alle ins Zeug. Die mit bunten Bändern und Anhängern geschmückte Birke schwingt in einem weiten Bogen durch die Luft, dann steht sie gerade. Schnell eilt Martin Kramm, Leiter des Kinderdorfes, zum Fuß der Birke und sichert den Baum mit Holzkeilen. Die Kinder klatschen und lachen: geschafft!

Getrennt von der Familie

Zwei der fleißigen Helferinnen sind Leyla, 4, und Samira, 7 (Namen geändert). Die beiden Mädchen erleben zum ersten Mal, wie man hier in den Mai feiert. Sie sind erst seit einigen Wochen in Deutschland. Ursprünglich kommen die Vierjährige und die Siebenjährige aus dem Irak, irgendwo auf der Flucht – es lässt sich nicht mehr rekonstruieren wann oder warum – haben die Kinder ihre Familien verloren. Sie landeten in großen Flüchtlingsunterkünften im Rheinland, wo  das Jugendamt auf die unbegleiteten Kinder aufmerksam wurde. Dieses wandte sich dann an das Kinderdorf Bethanien. Hier haben sie jetzt eine neue Heimat gefunden,  wie  fünf andere unbegleitete Flüchtlingskinder.

„Wir hatten die Vorstellung, dass wir vielleicht 15- bis 18-Jährige Jungs aufnehmen werden. Die sind ja häufiger allein unterwegs“, sagt Martin Kramm, „stattdessen kamen dann kleine Mädchen zu uns.“ Jedes Kind wurde von einer Kinderdorf-Familie aufgenommen. Leyla ist bei Kinderdorfmutter Marianne Hemmes aus Haus 8 eingezogen. „Eigentlich war die Aufnahme wie jede andere auch“, erzählt sie. „Immer wenn ein neues Kind einzieht, bereiten die Kinder ganz viel vor. Wir malen zum Beispiel alle zusammen ein Begrüßungsbild und kaufen ein Stofftier.“

Leyla und Samira haben sich schon gut eingelebt

Außerdem habe Leylas Mitbewohnerin das gemeinsame Zimmer besonders schön hergerichtet. Dann erzählt Marianne Hemmes von der Ankunft der kleinen Leyla: „Sie ist  erstmal mit einem sehr offenen Blick durchs Haus gelaufen, hat sich wie selbstverständlich an den Esstisch gesetzt. Wir haben dann zum Beispiel alle zusammen etwas gesungen oder gespielt. Das fand sie auch gleich gut.“

Seit ihrer Ankunft kurz vor Ostern habe sich Leyla jedenfalls schon sehr gut eingelebt. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell die Kinder Deutsch lernen“, sagt die Kinderdorfmutter. „Leyla kann sich schon gut verständigen und auch sehr bestimmt ihren Widerspruch kundtun!“

Für kompliziertere Zusammenhänge und für den Anfang benutzt man im Kinderdorf ein „Piktogramm-Buch“.  Dort sind Hunderte von Gegenständen abgebildet. Kinder und Erwachsene können zur Verständigung einfach auf ein Bild zeigen. „Leyla hat anfangs besonders oft auf ein Eis-Symbol gezeigt. Das nahm dann aber etwas überhand“, erzählt Marianne Hemmes lachend. Auch mit den anderen Kindern verstehe sich die Vierjährige gut, besonders die anderen Mädchen im Haus seien darüber begeistert gewesen, „Verstärkung“ zu bekommen. „Kinder nehmen schnell Kontakt auf“, sagt die Kinderdorfmutter.

Spezielles Team zur Betreuung von Flüchtlingskindern gebildet

Spielen, Spaß und eine unbeschwerte Kindheit haben: Das war in den vergangenen Jahren für die beiden Flüchtlingsmädchen kaum möglich. „Da sind ja Familien zerbrochen, es gibt Kriegstraumatisierungen“, sagt Susanne Gonswa vom Kinderdorf. „Das stellt uns alle natürlich auch vor ganz neue fachliche Herausforderungen.“

Deshalb gebe es seit einiger Zeit ein sogenanntes „Tîma-Team“ („Tîma“ ist kurdisch und bedeutet „Mannschaft“). Dieses Team kümmert sich speziell um die Probleme, die im Zusammenhang mit Flüchtlingskindern aufkommen. Einerseits kümmern sich die Helfer des Teams ganz praktisch um die komplizierten Formalitäten mit den Ämtern, andererseits betreuen sie die Kinder  und geben die dringend benötigte Sprachförderung. Dies sei eine große Entlastung für die Kinderdorfeltern.

So soll Leyla, Samira und den anderen  in Bethanien eine normale Kindheit in Deutschland ermöglicht werden. Die Maifeier in Bethanien ist ein Stück dieser Normalität für die Kinder.

Rundschau abonnieren