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Ritterfest in Bergisch GladbachZeitreise zu Holgarix und Briannah auf Gut Schiff

Lesezeit 4 Minuten
Endlos lang zieht sich der Festzug auf Gut Schiff zu den Klängen von Dudelsack und Drehleiern dahin.

Endlos lang zieht sich der Festzug auf Gut Schiff zu den Klängen von Dudelsack und Drehleiern dahin.

Bergisch Gladbach – Schon von weitem fallen die weißen Zelte auf dem Gelände von Gut Schiff in Herrenstrunden auf. Wo sonst die Gänse weiden, sieht man am Wochenende nur weiße Federn, Zelte und Rittersleut’. Endlos scheint der Festzug zu sein, der sich zu Beginn des Ritterfestes formiert und mit dem Klang von Dudelsack, Fanfare, Drehleier und Psalter langsam durch das mittelalterliche Dorf-Ambiente zieht. Einer ist mit dem Hackebeil dabei, ein finsterer Bursche, vielleicht ein Henker? Oder ist es doch eine Streitaxt? So genau weiß man das nicht, wenn man nicht zu den Anhängern der mittelalterlichen Gebräuche zählt.

Einer kommt mit einem finsteren Irish Wolfshound, ein mächtiger Hund für die Hirschjagd, der irgendwie an den berühmten Hund von Baskerville erinnert. Ein weiterer hat zwei edle Windhunde, in mittelalterliche Decken gepackt, dabei. Inmitten der 150 Wikinger und Kelten fällt eine Gruppe auf, die trotz schwerer Eisenhelme und Kettenhemden unentwegt Dudelsäcken mittelalterliche Klänge entlockt. Kaum traut man sich, die Burschen anzusprechen. Man versteht aber eh kein Wort, das aus den fast blickdichten Helmen dringt.

Doch da steht ein Jäger in lindfarbenem Flanellhemd und beigefarbener Hose, unterm Arm Pfeil und Bogen. Ein bisschen erinnert er an Walther von der Vogelweide, gibt bereitwillig Auskunft über sein zeitweiliges Keltendasein. „Ich bin Holgarix, und sie ist meine Dame Jessica. Wir verkörpern die Kelten vom Stamme der Iboronen, die in der Jülicher Börde beheimatet waren“, sagt der sympathische Jägersmann, der im wahren Leben Krisenmanager ist. Doch dann wird das informative Gespräch unterbrochen von Frederic, dem jungen Kelten, der einer unglaublich langen Langposaune nicht zu überhörende Töne entlockt. Seit seinem vierten Lebensjahr sei er dabei, erklärt der Gauklerlehrling, der sich auch aufs Diabolospiel versteht. „Wohlauf, es sei“, rufen die mittelalterlich gekleideten Menschen. Dann ist der Markt endgültig eröffnet.

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Eine der ersten Entdeckungen: Auch im Mittelalter gab es Verschleierungen bei den Damen mit sanft das Gesicht umschmeichelnden Tüchern. Na ja, und die behelmten Rittersleut’, die sich später auf der Wiese heftige Kämpfe mit Schwert und Schild liefern, würden mit ihren fast blickdichten Helmen heute keinem Vermummungsverbot standhalten.

Dirk Ottosson erklärt, warum sich Erwachsene in die Jahrhunderte alten Gebräuche vertiefen und zeitweise wie im Mittelalter leben. „Ottosson ist mein Wikingername“, sagt er, der bequem in weitem Hemd, schlabberiger Hose und deftigen Lederschuhen über das Gelände läuft. „Es ist eine große Faszination, in eine andere Welt einzutauchen – aus der Neuzeit raus und in einer Rolle im Mittelalter aufgehen.“ Da versuche man auch, das Gehabe und die Sprache untereinander mittelalterlich zu gestalten: „Seid gegrüßt, edle Leute und Markttreiber“ sei eine standesgemäße Begrüßung hier auf Gut Schiff. Da gibt es sogar Pommes zu vernaschen. „Obwohl es im Mittelalter erst die Vorläufer der Kartoffel, die Pastinaken gab“, erklärt Dirk Ottosson. Er verrät, dass es zu dieser Zeit noch keine Unterwäsche gab. Weitere Details waren ihm nicht zu entlocken. Immerhin wäscht sich ein verschwitzter Wikinger am Bach, zumindest oben herum.

Mittelalterliches Geheimnis

Mit einer gelben Tunika bekleidet, sitzt Bernd, der Wikinger, vor seinem Zelt, sticht mit dem Punzier-Eisen feine Muster und Drachengestalten ins braune Leder, das zu Taschen und Laschen verarbeitet wird. Zwei Pferde tragen nebenan die Kinder über die Weide – in gelbe und rote Decken mit Ohrenschoner gehüllt. Und da enthüllt Dirk Ottosson, der Wikinger, ein mittelalterliches Geheimnis: „In Gelb und Rot waren damals die Dirnen gekleidet, die mit klingelnden Glöckchen auf ihr Gewerbe aufmerksam machten.“ Doch beim Ritterfest gab es keine Vertreterinnen dieses uralten Berufsstandes. Eher bodenständige Frauen wie Briannah vom Holunderhain, die Kräuterfrau. Emsig stopft sie mit dicker Wolle handgestrickte Socken. „Das hab ich bei der Oma gelernt, auch die Kräuterheilkunde.“ Bei Halsweh empfiehlt sie Zwiebelwickel.

Gestrickte Socken allerdings gab es damals noch gar nicht. Eher das „Nadelbinden“, eine alte keltische Handarbeit, die Susanna von der Ortenburg beherrscht und vorführt. „Die alte Technik war fast ausgestorben und wurde rekonstruiert.“ Mit einer dicken Holznadel sticht sie in die Schlingen aus naturfarbener Wolle, langsam wird eine schöne Armstulpe mit dichtem Schlingengewebe sichtbar. Das ist nicht gestrickt und nicht gehäkelt.

Zum zweiten Mal hat Patrizia Gräfin Beissel mit ihrem Event-Unternehmen, das auf Burg Satzvey in der Eifel beheimatet ist, das Ritterfest auf Gut Schiff veranstaltet, zusammen mit den Rittersleut’ aus dem Bergischen und dem Kölner Raum und aus der Eifel. „Das Mittelalter beflügelt bis heute die Fantasie der Menschen – eine aufregende Zeit kühner Ritter, Kelten, Wikinger, Minne und Romantik“, erklärt die Chefin die Faszination an der fast archaischen Lebensweise.

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