Gefangen in eigener WohnungRollstuhlfahrer sucht vergeblich nach einer neuen Bleibe

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Eng ist es in der Wohnung von Robert Courté. Der Rollstuhlfahrer kann zwischen Bett, Tisch und Schrank kaum rangieren.

Eng ist es in der Wohnung von Robert Courté. Der Rollstuhlfahrer kann zwischen Bett, Tisch und Schrank kaum rangieren.

Kürten – „Nicht nur, dass man mit der Krankheit jeden Tag kämpft“, sagt Robert Courté. „Auch die Ämter machen einem einen Strich durch die Rechnung.“

Die Krankheit, die den Kürtener aus der Bahn geworfen hat, ist Myelitis, eine Entzündung des Rückenmarks.

Mit dramatischen Folgen: Der freiberufliche IT-Experte, vor seiner Erkrankung sportlich und ein begeisterter Zwölf-Stunden-Schwimmer, ist seit anderthalb Jahren querschnittsgelähmt vom Brustkorb abwärts.

Bis Mai 2015 war Courté kerngesund. Mit einem vermeintlich harmlosen Kribbeln unter den Fußsohlen begann die Leidensgeschichte des 55-Jährigen.

Courté nahm das Symptom zunächst kaum wahr, dachte sich nichts dabei. Aber aus dem Kribbeln wurde in nur wenigen Wochen eine Taubheit, aus der Taubheit eine Lähmung, die den ganzen Körper erfasste und bis nahe an den Brustkorb die Wirbelsäule hinaufkroch.

Die Ärzte schauten ratlos zu

Die Ärzte schauten ratlos zu, während der körperliche Verfall rapide fortschritt. Dann, nach vielen Untersuchungen, folgte die niederschmetternde Diagnose: Myelitis mit irreparabler Schädigung der Nervenbahnen. „Meine verbliebenen Körperfunktionen liegen bei etwa 25 Prozent“, sagt Courté.

Kampf mit den Ämtern

Am sechsten Brustwirbel stoppte die Erkrankung. Zöge sie noch höher, was nicht auszuschließen ist, würde Courté zu einem Vollpflegefall, könnte auch seine Arme nicht mehr bewegen. „Ich muss trainieren, trainieren, trainieren“, treibt er sich an.

„Ich will ein selbstbestimmtes Leben führen. Das ist nur mit intensiver Therapie möglich.“

Morgens, mittags und abends arbeitet er am Armtrainer, am Beintrainer, versucht, gegen spastische Anfälle und Wasser in den Beinen anzukämpfen. Dass er im Rollstuhl sitzt, sei für ihn schon ein großer Erfolg, mühsam in monatelanger Therapie erkämpft.

Vorher drohte Bettlägerigkeit, gegen die sich der Kürtener mit allem Willen stemmte.

Dachgeschosswohnung in Kürten-Olpe

Nach halbjährigem Aufenthalt entließ ihn das Reha-Zentrum im Januar in seine Dachgeschosswohnung in Kürten-Olpe. „Und seitdem bin ich hier gefangen“, schildert Courté die Situation. 14 Treppenstufen trennen ihn von der Außenwelt.

Die Wohnung, in der Courté allein wohnt, ist beengt, in keiner Weise rollstuhlgerecht, Schränke kann Courté nicht öffnen, an den Küchenherd nicht nah heranrollen.

Auch das Bad ist für den Rollstuhlfahrer ungeeignet, weil es zu klein ist. „Ich habe Angst, hier zum Vollpflegefall zu werden“, sagt er. Dagegen trainiert er mit besonderen Übungsgeräten. Aber nicht alle Geräte, die er benötigt, passen in die etwa 60 Quadratmeter große Wohnung.

Der andauernde Kampf mit den Ämtern

Zur gesundheitlichen Belastung kommt ein dauernder Kampf mit den Ämtern: Courtés Versuche, eine aus seiner Sicht passende, also rollstuhlgerechte Wohnung zu finden, prallten bislang an den Sozialbehörden in Kürten und Bergisch Gladbach ab. „Die Behörden machen es sich viel zu leicht“, ärgert er sich.

Der Kürtener fordert eine Teilhabe am Leben ein, so wie es an verschiedenen Stellen im Sozialgesetzbuch verankert ist. „Vom Amt kommen dazu aber nur dumme Sprüche.“

In den Gesetzestexten werde dieses Ziel einer gesellschaftlichen Teilhabe ausdrücklich erwähnt. Dem verweigerten sich die Behörden.

Es hakt an einer passenden Wohnung. Sie müsste nach Courtés Berechnung etwa 100 Quadratmeter haben, davon würden 35 bis 40 Quadratmeter von Therapiegeräten belegt. Ein Pflegebett, ein Stehtrainer, ein Bewegungstrainer für die Beine, außerdem Extraflächen zum Wenden des Rollstuhl.

Auch das Bad müsste groß genug sein, um alle erforderlichen Hilfsmittel aufzunehmen. „Wir Rollstuhlfahrer müssen uns in der Ebene entfalten, anders geht es nicht.“

Obere Schrankfächer könne er nicht als Stauraum nutzen. Auch das Beugen aus dem Rolli nach links und rechts sei ihm unmöglich. Courté versucht es und kippt fast aus seinem Sitz. Das Zurückrücken ist für ihn eine Qual.

Angeboten wurden ihm bislang zwei Wohnungen, eine in Bergisch Gladbach und eine in Kürten. „Beide waren aus vielerlei Gründen ungeeignet“, kritisiert er.

Das Bad zu klein, die Küche nicht passend nutzbar. In den vergangenen Tagen hat Courté auf Eigeninitiative eine weitere Wohnung in Bergisch Gladbach ausfindig gemacht. Sie würde passen, sagt er. „Der Vermieter würde mich auch nehmen.“

Aber diese Wohnung sei dem Amt zu groß und zu teuer. Für 100 Quadratmeter wären insgesamt 1170 Euro monatlich von der Stadt Bergisch Gladbach zu zahlen.

Im Ablehnbrief der Behörde wird auf die „Angemessenheit“ der Unterkunft hingewiesen. Der Kreis als Träger der Sozialhilfe gewähre gemäß Richtlinie Rollstuhlfahrern maximal 65 Quadratmeter Wohnfläche mit einer Bruttokaltmiete von 555 Euro als Obergrenze.

„Auch unter Berücksichtigung Ihrer Mobilitätseinschränkungen“ sei dies nicht angemessen, heißt es im Bescheid, der der Redaktion vorliegt. Das öffentliche Interesse an einem sparsamen Umgang mit steuerfinanzierten Sozialleistungen habe Vorrang vor persönlichen Wünschen. Zum Fall selbst will die Stadtverwaltung keine Stellung nehmen.

Angst vor Verschlechterung

In der Kürtener Gemeindeverwaltung bedauert Verwaltungsleiter Willi Hembach, dass man bislang nicht zueinander gefunden habe. Der Gesprächsfaden sei aber noch da. Es gebe die persönliche Situation und die rechtlichen Vorschriften, an die sich die Gemeinde zu halten habe. „Ein sehr schwieriger, tragischer Fall“, sagt Hembach. Die Gemeinde wolle helfen, wo immer sie könne.

Courté fürchtet, dass sich ohne eine geeignete Wohnung sein Gesundheitszustand wieder verschlimmert. Die Behörden „verschanzten“ sich hinter dem Kostenargument, verweigerten eine Einzel- oder Härtefallentscheidung. Rollstuhlgerechte Wohnungen gebe es kaum. „Barrierefreie und barrierearme Wohnungen helfen mir nicht.“

Besonders unangenehm aufgefallen sei ihm der Ratschlag einer Sachbearbeiterin, die mehrmals täglich erforderliche Physiotherapie aus Platzgründen nicht zu Hause, sondern in einer Praxis vornehmen zu lassen. „Dann müsste ich sechsmal am Tag hin- und hergefahren werden. Das ist doch nicht vorstellbar.“

Peter Hillebrand, viele Jahre der Behindertenbeauftragter in Bergisch Gladbach, kennt den Fall von Robert Courté gut. „Die Behörden könnten eine Einzelfallentscheidung treffen, wenn sie wollten. Aber das machen sie nicht“, kritisiert er.

Der erhöhte Platzbedarf lasse sich begründen. „Die Behörden müssten dafür über ihren Schatten springen. Aber sie berufen sich auf Richtlinien.“

So ist die rechtliche Lage

Kernaussagen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben finden sich im Neunten und Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB).

Unter anderem heißt es dort: „Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern, (...) die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen und zu erreichen. (§ 4, Sozialgesetzbuch IX).

In § 53 Sozialgesetzbuch XII wird auf die „besondere Aufgabe“ der Leistungen der Eingliederungshilfe hingewiesen, „eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern“. Die Betroffenen sollten „so weit wie möglich unabhängig von Pflege“ gemacht werden. Teilnahme am Leben soll möglich sein.

Dass Robert Courté nach einer 100 Quadratmeter großen Wohnung sucht, begründet er mit der Vielzahl der erforderlichen Pflege- und Therapiegeräte.

Mit Pflegebett, Bewegungstrainer, Duschrollstuhl, Stehrollstuhl sowie den verschiedenen Bewegungs- und Therapiehilfen und den erforderlichen Stell- und Lagerflächen kommt Courté auf etwa 35 bis 40 Quadratmeter, die von der reinen Wohnfläche abzuziehen seien.

Mit den verbleibenden 60 bis 65 Quadratmetern liege er in einer Größenordnung, die die Kommunen genehmigten, argumentiert der Kürtener. (cbt)

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