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Schwarzbau in KürtenChrista Liedtke kämpfte jahrelang – nun verlässt sie ihr Haus

Lesezeit 7 Minuten
Aufgeben war nie eine Option für Christa Liedtke.

Aufgeben war nie eine Option für Christa Liedtke.

Kürten – Christa Liedtke hat wie eine Löwin gekämpft  – und gewonnen. Viereinhalb Jahre lang hat die Rentnerin aus Kürten der Bürokratie getrotzt und sich schließlich erfolgreich gegen den Abbruch ihres Hauses gewehrt.

„Noch einmal würde ich das nicht durchstehen.“

Der Härtefall aus dem Bergischen Land rührte an etwas, an das viele nicht mehr zu glauben wagten: dass ein Einzelner doch etwas ausrichten kann gegen die übermächtigen Behörden, die Justiz, die „da oben“. Gut ein Jahr nach ihrem Sieg vor Gericht sagt die 78-Jährige: „Noch einmal würde ich das nicht durchstehen.“

Das Häuschen mit Fachwerkfassade, auf deren Terrasse Christa Liedtke nun in einem Strandkorb in der Sonne sitzt, wäre längst dem Erdboden gleichgemacht, hätten die Behörden sich durchsetzen können. „Dann stünde hier vielleicht noch ein Campingstuhl mitten im meterhohen Unkraut, sonst nichts.“

Wenn sie heute davon erzählt, dann ist es sofort wieder da, das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit. „Das war ein Albtraum“, sagt die Kürtenerin. Die Zeit würde sie nicht noch mal durchleben wollen.

Aber klein beigeben, das kam für Christa Liedtke trotzdem nie infrage, „das ist nicht meine Art“, sagt sie. Ihr sei es ums Prinzip gegangen. „Es war aber auch  der nackte Kampf ums Eigentum.“ Wie aufs Stichwort  läuft Mischlingshund Toby Tacco bellend zum Gartentor, so als wolle er das Gelände gegen Eindringlinge verteidigen.

2011 fing der Ärger an: Die Bauaufsicht des Rheinisch-Bergischen Kreises ordnete an, dass die Rentnerin ihr 75 Jahre altes Zuhause auf eigene Kosten abreißen soll. Das Gebäude stehe im besonders geschützten Außenbereich, wo nur landwirtschaftlich genutzte Betriebe erlaubt seien, lautete die Begründung. Weil keine Baugenehmigung vorliege, bestehe auch kein Bestandsschutz.

Behörde rechtfertige ihr Eingreifen

Erst ein Gerichtsurteil des Oberverwaltungsgerichts Münster in zweiter Instanz beendete im Februar 2016 das Drama. „Es ist dem Mut von Christa Liedtke zu verdanken, dass sich die Rechtsprechung geändert hat“,  sagt Martin Masurat, Mitglied der Initiative Bürger gegen Behördenwillkür, „sie hat den Stein ins Rollen gebracht.“

Die neue  Stichtagsregelung für illegale Bauten aus der Kriegs- und Nachkriegszeit ermögliche es, auch anderen Betroffenen aus der Patsche zu helfen.

Als Liedtkes Tochter das Haus 2005 für ihre Mutter mit lebenslangem Wohnrecht von einer Nachbarin für 250 000 Euro kaufte – völlig legal mit Notarvertrag und Grundbucheintrag – wusste die Familie nichts von der besonderen Vorgeschichte. Die Vorlage einer Baugenehmigung für Kaufverträge ist nicht verpflichtend.

„Ich wollte einfach nur nah an der Natur wohnen“, erzählt die ehemalige Sportlehrerin. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie zuvor vier Jahre in einer Hütte in den Bergen in Österreich gelebt. Hier im idyllischen Breibachtal würde sie sich wohlfühlen, das habe sie sofort gespürt: „Ich war hin und weg.“ 115 Quadratmeter, Fassade aus Fachwerk mit Blick auf grüne Wiesen.

Und dann kam alles anders. Aufgrund eines Hinweises aus Liedtkes Nachbarschaft wurde das Kreisbauamt darauf aufmerksam gemacht, dass das Haus illegal da stand. Aus Gründen der Gleichbehandlung habe  für das Objekt das geltende Baurecht angewendet werden müssen, rechtfertigte die Behörde ihr Einschreiten.

Haus während des Zweiten Weltkriegs errichtet

Bald stellte sich heraus: Das Wohnhaus wurde während des Zweiten Weltkriegs errichtet. Damals gehörte das Grundstück noch zum Landgut Breibach. Hier bot der Besitzer nachweislich Menschen Schutz, die vor der Nazi-Verfolgung untertauchten. Er erlaubte auch Irmgard Mertins, Frau eines Kölner Bankiers, das kleine Fachwerkhäuschen zu errichten. Mertins war dort ab Oktober 1945 gemeldet. So weit die mageren Fakten einer verworrenen Geschichte. 

Warum Irmgard Mertins damals flüchtete, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht, um sich vor der Bombardierung Kölns in Sicherheit zu bringen – so wie viele andere Kölner auch. Notunterkünfte wurden errichtet. Baugenehmigungen gab es oft nicht.

Bundesweit sind so vermutlich Tausende dieser Schwarzbauten entstanden. Für alle werden seit Jahrzehnten Grundsteuer, Kanal-, und Wassergebühren gezahlt. Trotzdem: Für die Bauaufsicht war das Haus am Breibacher Weg ein klarer Fall von Schwarzbau.

Wie aus dem Nichts änderte sich Christa Liedtkes Leben – ihre Existenz stand auf dem Spiel. Sie trat nach dem ersten verlorenen Prozess vor dem  Landgericht Köln die Flucht nach vorn an und suchte das Licht der  Öffentlichkeit. Ihr Fall machte in ganz Deutschland Schlagzeilen: „Ich hatte keine Wahl. Das war meine einzige Chance,  noch aufzurütteln.“

„Ich bin kein Mensch, der gerne im Rampenlicht steht“

Der Preis: ein Leben auf dem Präsentierteller. „Die Fernsehteams haben sich hier die Klinke in die Hand gegeben“, erinnert sich Nachbar Ulf Jörres an den Medienrummel. Abends, wenn  die Sendungen im Fernsehen liefen, flüchtete Liedtke oft zum Ehepaar Jörres, konnte es kaum aushalten, sich selbst als Hauptfigur auf dem Bildschirm zu betrachten.

„Ich bin kein Mensch, der gerne im Rampenlicht steht“, sagt die 78-Jährige.  Auf die Aufmerksamkeits-Stürme, die über ihr Leben hereinbrachen, sei sie nicht vorbereitet gewesen. „Im Ort bin ich von wildfremden Menschen angesprochen worden, einmal sogar auf dem Düsseldorfer Flughafen.“

Noch heute bekommt sie Anrufe: „Sie sind doch die Frau, deren Haus abgerissen werden sollte. Wie haben Sie es geschafft, das zu verhindern?“ Manchmal wurde sie aber auch hart angegangen: „Heiraten Sie doch einfach einen Bauern, dann ist der Fall gegessen“, hieß es in einer E-Mail.

Und dann lacht die Frau mitten in der Bergischen Sonne. Weil alles so absurd war. Weil man Unangenehmes vielleicht manchmal weglachen kann: „Es ist doch völlig unlogisch, ein voll intaktes Gebäude zu zertrümmern.“

Deshalb habe sie es einfach nicht eingesehen, dass sie als vierte Besitzerin die Leidtragende sein sollte für eine Sache, die sie nicht verschuldet hat. Das sei gegen ihren Gerechtigkeitssinn gegangen.

Die Gemeinde stand hinter Christa Liedtke

Die Kürtenerin lehnte jeden Kompromiss ab. Etwa das Angebot des Kreises einer Duldung, solange Liedtke lebt, erst dann sollte abgerissen werden. „Meine Altersvorsorge wäre dahin gewesen.“ Das Gebäude hätte weder verkauft, noch vermietet werden können.

Die Abbruchkosten in Höhe von 90.000 Euro hätten sie ruiniert. Obwohl sogar viele Juristen es für unmöglich hielten, eine jahrzehntelange Rechtsprechung zu kippen, ließ sie sich nicht beirren. „Du machst das schon“, habe ihre Tochter in  Singapur immer gesagt.

Das schönste Gefühl der Welt ist, das weiß sie heute, gegen einen übermächtigen Feind zu kämpfen und dann von unerwarteter Seite Solidarität zu erfahren. Das harte Vorgehen der Behörde hat viele Menschen entrüstet: Bei Unterschriftenaktionen fand die Seniorin über 120 400 Unterstützer. Auch die Gemeinde stand hinter ihr, schickte Petitionen an Bund und Land: „Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar.“

In Köln-Porz hat sie eine neue Wohnung gefunden

Der Tag im Gericht, der Moment der Urteilsverkündung, wirkt immer noch surreal: „Es war eine extreme Befreiung“, erinnert sich Christa Liedtke. Aber sie habe unterschätzt, wie das alles nachwirkt: die Anstrengung,  der Stress und die Unsicherheit. Immer wieder Stärke zeigen, die Rückschläge aushalten: „Das hat mich gesundheitlich sehr mitgenommen.“

Deshalb will Liedtke das Haus, um das sie so gekämpft hat, verkaufen. „Rücken- und Herzprobleme. Ich schaffe die steilen Stufen über drei Etagen nicht mehr“, erzählt sie. In Köln-Porz habe sie eine neue Wohnung gefunden mit Blick auf den Rhein. Das sei bei weitem kein Ersatz für die grünen Wiesen im Breibachtal: „Ich werde oft zu Besuch kommen.“

Wenn sie an den Neuanfang in Köln denkt, hofft sie, dass ihre Tochter auch diesmal wieder recht behält: „Ich werde das schon machen“, sagt Christa Liedtke und schließt das grüne Gartentor vor dem Gebäude, das es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte.

Amnestie und Stichtagsregelung: Die Konsequenzen des Rechtsstreits

Als Konsequenz aus dem Gerichtsurteil im Fall Christa Liedtke haben der Rheinisch-Bergische Kreis und das Land NRW eine Stichtagsregelung erarbeitet: Ist ein Gebäude vor dem 1. Januar 1960 gebaut, kann es unter bestimmten Bedingungen vor dem Abbruch bewahrt werden – auch wenn wichtige Unterlagen wie die Baugenehmigung fehlen.

Die Regelung des Kreises gilt bereits seit September 2016. Eine weitgehend identische Bauamnestie für illegale Bauten im Außenbereich hat auch das Land in seiner novellierten Bauordnung verankert. Sie tritt am 1. Januar 2018 in Kraft. Als Datum für den Stichtag wurde der 1. Januar 1960 ausgewählt, weil da das Bundesbaugesetz in Kraft trat.

Die Hauptkriterien für eine Amnestie lauten – Erstens: Die Häuser dürfen seit dem festgelegten Zeitpunkt nicht mehr wesentlich verändert worden sein – gemeint sind größere Anbauten. Zweitens: Die Nutzung darf sich nicht verändert haben. Drittens: Es dürfen keine schwerwiegenden Sicherheitsbedenken vorliegen, wie  beispielsweise  mangelnde Standsicherheit.

In seinem Urteil trug  das  Oberverwaltungsgericht Münster den historischen Besonderheiten Rechnung. Es erklärte  die Abrissverfügung des Rheinisch-Bergischen Kreises für rechtswidrig. In seiner Begründung führte das Gericht aus, der Ermessensspielraum sei nicht  angemessen ausgeschöpft worden.  In der Zeit der Kriegswirren könnten  vielfach  Akten verloren gegangen sein.

Für viele Eigentümer kommt die Amnestie zu spät.  Eigentümer, die ihr Häuser auf diese Weise verloren haben, haben keine Wiedergutmachung zu erwarten. Die Behörden jedoch haben nach der alten Rechtsprechung korrekt gehandelt.

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