Privatfriedhof in Bergisch GladbachZuhause zwischen Grabsteinen

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Das Erbe des Vaters: Hanna Roth vor dem Haus der Klage, dem letzten Projekt Fritz Roths.

Das Erbe des Vaters: Hanna Roth vor dem Haus der Klage, dem letzten Projekt Fritz Roths.

Bergisch Gladbach – Als Hanna Roth zum ersten Mal eine Leiche sah, war sie zwei oder drei Jahre alt, so genau weiß sie das nicht mehr. Sie ist im Haus eines Bestatters aufgewachsen – und dageblieben.

Liest man ihren Lebenslauf, kann man sich Hanna Roth gut in einem hippen Start-Up-Unternehmen in Berlin vorstellen. Die heute 27-Jährige hat nach dem Abitur einige Monate in Australien gelebt, Eventmanagement studiert und ein Praktikum in einer Werbeagentur gemacht. Sie könnte heute vielleicht Events für Marken mit großen Namen organisieren oder auf Festivals in der ganzen Welt arbeiten. Stattdessen arbeitet sie in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist und trägt fast täglich einmal schwarz. Sie ist Bestatterin und Trauerbegleiterin und hat zusammen mit ihrem Bruder den Friedhof und die Trauerakademie ihres Vaters Fritz Roth übernommen, als dieser vor knapp zwei Jahren starb. Für Hanna Roth ist das „der schönste Beruf der Welt“.

Auf dem Gelände an der Kürtener Straße gibt es Grabsteine in Form von Katzen, Segelschiffen und E-Gitarren, es ist bunt und sieht eher aus wie in einem Märchenwald, als auf einem Friedhof. Das Gelände ist nicht umzäunt, auch Öffnungszeiten gibt es nicht. Als eine Witwe ihr einmal erzählt, die schönsten Erinnerungen an ihren Mann seien die Spaziergänge im Mondschein gewesen, organisiert Hanna Roth die Beisetzung mitten in der Nacht.

Fritz Roth hat den Friedhof vor acht Jahren als ersten Privatfriedhofs Deutschlands gegründet. Er war oft Gast in Talkshows und hielt Vorträge im ganzen Land, immer mit der Botschaft: Der Tod gehört zum Leben dazu, geht nicht so verkrampft mit ihm um.

Seit seinem Tod im Dezember 2012 führen Hanna und ihr neun Jahre älterer Bruder David das Trauerinstitut weiter. Auch die Aufgabenteilung im Familienunternehmen haben sie von ihren Eltern übernommen: Er kümmert sich viel um Öffentlichkeitstermine, sie organisiert den Alltag im Bestattungshaus und spricht mit trauernden Angehörigen.

Mindestens 60 Arbeitsstunden kommen so jede Woche zusammen. Hanna Roths ganzes Leben dreht sich um diesen Friedhof. Einen Großteil der Mitarbeiter kennt sie seit ihrer Kindheit. Seitdem sie 14 war, arbeitete sie in jeden Schulferien im Bestattungshaus, zunächst in der Betreuung, also dem Waschen und Ankleiden der Verstorbenen. Selbst ihre Hochzeit feierte sie im Trauersaal. „Das glaubt man ja gar nicht“, lacht sie, wenn sie das erzählt, und zeigt Bilder. Als elf Tage nach dem Tod ihres Vaters ihr Sohn auf die Welt kam, nannte Hanna ihn Fritz und arbeitete weiter, mit dem Baby auf dem Schoß in Trauergesprächen.

„Unsere Eltern haben uns ganz geschickt vermittelt, dass das hier Familie ist“, erzählt sie von ihrer Kindheit, „ich habe sie mehr in der Firma gesehen, als zuhause.“ Damals sei es für sie manchmal schwer zu verstehen gewesen, wieso ihre Mutter nicht mittags mit dem Essen wartete. Heute sei sie dankbar dafür.

Als Fritz Roth 2012 starb, nahmen sich seine Kinder vor allem eines: Zeit. Die Trauerfeier hielten sie nach drei Wochen ab, die Asche stand noch fünf Monate lang bei ihrer Mutter zuhause, bis sie sie letztlich beisetzten. Als das getan war, fuhren die Geschwister direkt weiter in die Kirche, um ihre beiden Babys taufen zu lassen. Sie sind so erzogen worden, ihre Eltern hätten ihnen beigebracht, sich von niemandem etwas vorschreiben zu lassen: „Wenn jemand stirbt, wird alles andere nebensächlich“, sagt Hanna Roth, „man muss sich auf sein Bauchgefühl verlassen dürfen.“ Wenn sie spricht, erkennt man darin manchmal noch die Botschaften ihres Vaters. „Alle denken, ich hätte nur mit weinenden Menschen zu tun“, sagt sie dann zum Beispiel, „dabei lachen wir hier in 90 Prozent der Zeit.“ Trotzdem redet sie über Fritz Roth nicht mit dem verkrampften Respekt, der bei Verstorbenen oft üblich ist.

Ob sie sich bei ihrer Arbeit danach richtet, was er gewollt hätte? „Nö“, sagt sie. Sie wolle nicht so sehr mit erhobenem Zeigefinger argumentieren, wie es Fritz Roths Art war: „Ich werde hier niemanden an den Sarg tackern, der sich nicht noch einmal vom Körper des Angehörigen verabschieden will.“ Nach den letzten zwei Jahren sieht man dem Friedhof langsam an, wie Hanna und David Roth ihm auch ihren eigenen Stempel aufdrücken. Ihr Vater bestand darauf, dass noch vor seinem Tod der Grundstein zum „Haus der Klage“ gelegt wird. Er wollte einen verspiegelten, leeren Kubus in den Wald setzen, in dem man den Hall seiner eigenen Stimme besser hört.

Noch mit ihrem Vater zusammen haben Hanna und David aber umgeplant: Das Haus wurde im Frühjahr eröffnet, doch der Kubus ist nicht leer geblieben. Stattdessen können an den Wänden Urnen lagern, bis die Angehörigen sich für eine Bestattung entschieden haben. Demnächst soll das Gelände vergrößert werden und Roth erzählt noch von vielen weiteren Projekten. „Unser Vater hat uns zum Glück viele Pläne hinterlassen.“

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