Prozess gegen FrauenarztSachverständiger spricht über die Grenzen der Behandlung

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Der Gynäkologe soll mehrere Patientinnen in seiner Praxis sexuell missbraucht haben. Der Anklage zufolge sollen sich die Taten zwischen Sommer 2012 und November 2013 ereignet haben. 

Rhein-Berg/Köln – Dass Männer und Frauen von verschiedenen Planeten kommen, sofern es ihr Gefühlsleben betrifft, ist inzwischen Allgemeingut.

Aber dass auch der vermeintlich kleine rein biologische Unterschied in Wahrheit ein ganz gewaltiger ist, das machte der Verhandlungstag im Prozess gegen den rheinisch-bergischen Frauenarzt Dr. Michael Schmitz (63/Name geändert) deutlich.

Denn am Freitag  legte der medizinische Sachverständige den mehrheitlich männlichen Prozessbeteiligten ausführlich dar, was in der Frauenheilkunde üblich ist, was möglich ist und was gar nicht geht.

Im Verhältnis zwischen Arzt und Patientin gibt es viele Behandlungsansätze, machte Dr. Dominik Ratiu (38), Oberarzt an der Kölner Universitäts-Frauenklinik, deutlich, und er erwähnte dabei auch die „Therapiefreiheit“. Anders als etwa bei einer Checkliste für eine Auto-Inspektion gibt es in der Gynäkologie keinen festen Katalog, was wann wie und warum zu erfolgen hat, keine Gesetze, allenfalls Leitlinien. Der Arzt ist frei in der Entscheidung, wie er den Intim-Bereich untersucht.

Es kann laut Ratiu im Einzelfall auch passieren, dass der Arzt einer schmerzgeplagten Patientin anbietet, ihr sofort eine Salbe im Intimbereich aufzutragen, statt sie in eine Apotheke zu schicken. Ihm als Krankenhausarzt sei das vielleicht sechs, sieben Mal (bei mehreren hundert Patientinnen mit Pilz-Infektionen) passiert. Doch dauere das Auftragen nicht mehrere Minuten, sondern „alles zusammen vielleicht 20 Sekunden, und wenn jemand besonders gründlich ist, 30.“

Was man als Gynäkologe aus dem klassischen Lehrbuch dagegen gar nicht kenne, seien Brustmassagen durch den Arzt oder Lymphdrainagen. Und dass der Frauenarzt seine Patientin im Intimbereich rasiere, wie das eine Zeugin im Prozess ausgesagt hatte, das könne allenfalls mal im OP passieren, wenn die Stationsschwester nicht gründlich genug gearbeitet habe.

Aber aus kosmetischen Gründen Haare zu entfernen: „Das gehört sich nicht.“ Auf Nachhaken der Verteidigerin präzisierte er: „Es gibt in keinem Fachbuch die Indikation zur Rasur durch den Gynäkologen aus kosmetischen Gründen.“ Und dürfe ein Arzt aus „therapeutischen Gründen“ die Patientin bis zum Orgasmus stimulieren?

Der Sachverständige: „Man darf eine Patientin nicht sexuell belästigen. Und auf eine Patientin einzuwirken mit dem Ziel, einen Orgasmus zu verursachen, das ist für mich eine Belästigung.“

Bevor der Sachverständige sein Gutachten erstattete und Fragen beantwortete, hatte das Gericht den Antrag der Verteidigung zurückgewiesen, 2078 Frauen als Zeuginnen zu hören.

Der Antrag sei völlig unbestimmt und ein „Schuss ins Blaue“, begründete Richter Ralph Ernst, der in dieser Woche durch das Gerichtspräsidium auch zum regulären Vorsitzenden Richter der Kammer bestellt worden ist, die Ablehnung.

Antrag zurückgewiesen

Die Verteidigung selbst habe angegeben, dass Patientinnen möglicherweise schon verstorben seien. Überdies hätten vier der aufgelisteten Frauen bereits vor Gericht ausgesagt. Einen Aussetzungsantrag wies das Gericht zurück.

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, vier Patientinnen sexuell missbraucht zu haben. Im Verlauf des Prozesses meldeten sich weitere Zeuginnen; 18 Frauen wurden teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch das Gericht angehört und berichteten über ihre Erfahrungen mit dem Arzt.

Der Arzt selbst hat in einer im Gerichtssaal verlesenen Erklärung bestritten, jemals eine medizinische Untersuchung mit sexuellem Bezug durchgeführt zu haben. Der Schlüssel dafür, dass die vier Zeuginnen der Anklage das ganz anders erlebt hätten, liege bei den Frauen selbst.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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