Bunte FischeTropisches Biotop im Schatten des Kraftwerks in Bergheim

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Gillbach-Guppys, unten das Männchen.

Gillbach-Guppys, unten das Männchen.

Bergheim-Auenheim – Das Wasser ist richtig warm, keine Chance, etwas abzukühlen an diesem heißen Sommertag. Nur aufpassen, dass man nicht stürzt bei der starken Strömung und einem die brusthohe Wathose vollläuft: ein Stück Tropen im Schatten des Niederaußemer Kraftwerks. Diese Beschreibung trifft auf den Gillbach in Auenheim nicht nur an diesem heißen Tag zu – besonders wenn man den Tierbestand betrachtet.

Döbel jaben Guppys aus Südamerika

Mit dem Kescher tastet sich Erftverbandsbiologe Dr. Udo Rose voran. Schon wieder huscht ein Wels vorbei und verbirgt sich unter Pflanzen. Heimische Döbel machen Jagd auf südamerikanische Guppys. Nicht nur die Wildformen der beliebten südamerikanischen Zierfische finden sich dort, sondern auch Antennen- oder Harnischwelse, die ebenfalls aus Südamerika stammen.

Mittendrin tummeln sich Marienbuntbarsche aus Nigeria, oder auch Tilapie, Nachkommen des beliebten afrikanischen Speisefisches, dazu der mittelamerikanische Zebrabuntbarsch, Blaubandbärblinge aus Asien, die wahrscheinlich aus der ehemaligen Fischzucht am Niederaußemer Kraftwerk entwischt sind, und Sonnenbarsche aus Nordamerika.

Baumkronen bilden ein Dach über den Gillbach, in dem Dr. Udo Rose vom Erftverband nach tropischen Fischen sucht.

Baumkronen bilden ein Dach über den Gillbach, in dem Dr. Udo Rose vom Erftverband nach tropischen Fischen sucht.

Multikulti im Gillbach, das hört sich positiv an, ist es aber nach Meinung des Berliner Leibnitz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) gar nicht: „Um die Pointe vorwegzunehmen: Aquarienfische gehören nicht in heimische Gewässer“, schreibt das IGB in einem wissenschaftlichen Beitrag unter der Überschrift „Es wird zu bunt im Gillbach“. Das kann auch Anwohner Fritz Welter bestätigen. Jüngst bekam er mit, wie Gartenteichbesitzer über 60 Zentimeter lange Edelkarpfen Kois in den Gillbach entsorgten – offenbar waren sie zu groß für den heimischen Weiher geworden. Welter gab Anglern Bescheid, die einen großen Teich im Garten haben. Die fingen die japanischen Prachtkarpfen wieder ein.

Laue Temperaturen im Gillbach

Ein munteres Durcheinander im Gillbach. Der Grund dafür, dass so viele tropische Tiere und Pflanzen im Rheinland leben können, steht unübersehbar hinter dem Betonrohr, aus dem der Gillbach entspringt: das Niederaußemer Kraftwerk. Der Druck ist stark schwankend. Bei Entleerung der Kühlturmtassen können es schon mal 840 Liter pro Sekunde sein, betriebsbedingt manchmal aber auch nur ein Liter – schwierige Verhältnisse besonders für die Guppys, deren Population schwankt.

In diesem lauen Flüsschen fühlen sich denn auch Wirbellose wie die Rückenstrichgarnele, die Schoko-Garnele oder die Turmdeckelschnecke wohl – allesamt leben sie sonst in Asien. Wo es im Bach kühler wird, hockt der Höckerflohkrebs aus dem Schwarzen Meer, öffnet sich die asiatische Körbchenmuschel, wandert der Rote amerikanische Sumpfkrebs umher, und sogar die neuseeländische Zwergdeckelschnecke saugt sich an Steinen fest.

Rose hat schon als Kind Guppys aus dem Gillbach gekeschert. Noch heute hält er Guppys in einem Aquarium. Wie er, so beschäftigen sich nicht nur das IGB, sondern noch eine ganze Reihe von Wissenschaftlern mit dem Lebensraum Gillbach. „Darunter auch der deutsche »Guppy-Papst« Michael Kempkes und das Museum Koenig in Bonn.“ Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt habe im Gillbach schon Kolonien von tropischen Parasiten nachgewiesen. Auch an den Unis in Frankfurt, Köln, dem niederländischen Wageningen und sogar an der Universität Yangling in China werde der Gillbach erforscht.

Dr. David Bierbach, wissenschaftlicher Leiter der Studie am IGB, und seit Jahren am Gillbach unterwegs, appelliert an Aquarianer und Betreiber von Aquakulturen: „In der Bevölkerung fehlt noch immer das Bewusstsein, dass man keine gebietsfremden Tiere aussetzen sollte.“

Auch der Zebrabuntbarsch lebt – viele Tausend Kilometer von seiner tropischen Heimat – im warmen Kraftwerksabfluss.

Auch der Zebrabuntbarsch lebt – viele Tausend Kilometer von seiner tropischen Heimat – im warmen Kraftwerksabfluss.

Das sei per Tierschutzgesetz verboten. Als Forschungsobjekt sei der Gillbach aber wichtig, so das IGB: „Hier können Migrationsprozesse nachvollzogen und mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf die Tier- und Pflanzenwelt erforscht werden. Der Gillbach als unfreiwilliges Freilandexperiment zeigt, wie sich steigende Temperaturen und eingeschleppte Arten auf die heimische Artenvielfalt auswirken können.“

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