Hassliebe und VersöhnungDalia Al-Shomali und ihre Texte über ihre Heimat Palästina

Lesezeit 3 Minuten
Mit Leidenschaft trägt Dalia Al-Shomali das Gedicht vor, in dem sie sich mit ihren palästinensischen Wurzeln auseinandersetzt.

Mit Leidenschaft trägt Dalia Al-Shomali das Gedicht vor, in dem sie sich mit ihren palästinensischen Wurzeln auseinandersetzt.

Brühl – Wenn Dalia Al-Shomali ihren selbst verfassten Text vorträgt, ist ihre Zurückhaltung wie weggeblasen. Dann reckt sie sich kerzengrade auf, erhebt die Stimme und legt eine so leidenschaftliche Performance hin, wie man sie der schüchtern wirkenden 16-Jährigen zunächst nicht zugetraut hätte. Mit Hingabe versenkt sie sich in die herzzerreißenden poetischen Zeilen, die sie vor einigen Wochen in einem Rutsch niedergeschrieben hat. Mit ihrem Gedicht beteiligt sie sich an der Serie „Worte, die das Herz berühren“.

Zum ersten Mal hat die Schülerin sich der Identitätskrise gestellt, in der sie sich seit geraumer Zeit befindet. Dalias Eltern stammen aus Palästina, sie selbst wurde in Deutschland geboren. In der Schule wurde das Mädchen mit den langen dunklen Haaren plötzlich immer öfter gefragt, wo es denn wirklich herkomme. „Das hat mich total verunsichert“, berichtet Dalia, „denn ich wohne ja seit meiner Geburt in Brühl.“

Ausreden erfunden

Sie speiste die neugierigen Mitschüler mit erfundenen Ausreden ab oder wich ihnen aus. „Wenn in der Klasse gefragt wurde, wer einen Migrationshintergrund hat, habe ich nie aufgezeigt.“ Sich zu den palästinensischen Wurzeln ihrer Familie zu bekennen kam für sie nicht in Betracht. „Ich wollte zu Deutschland gehören und hatte Angst, nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein, wenn ich meine Herkunft preisgebe“, erklärt die sprachgewandte Schülerin, die mehrmals die besten Deutsch-Klausuren der Klasse geschrieben hat. „Ich bin von der deutschen Kultur geprägt“, stellt sie unmissverständlich klar. Palästina, das Land ihrer Vorfahren, kennt sie von Besuchen. „Da kann man sich nicht frei bewegen, das Land ist von einer Mauer eingeschlossen, und ich fühle mich eingeengt“, gesteht Dalia.

„Dort macht man sich über meinen Akzent lustig, wenn ich arabisch spreche.“ In das Gedicht, das sie ihrer Mutter zum Geburtstag geschenkt hat, hat sie alles hineingepackt, was sie fühlt: Ihre Verunsicherung, ihr Unbehagen angesichts zweier Heimatländer und ihre Hassliebe zu Palästina. „Ich wollte etwas Bewegendes schreiben“, hatte sie sich vorgenommen. Das ist ihr fraglos gelungen. Einen tiefen Einblick in ihr Innerstes gewährt der Refrain des melodischen Poetry Slams mit dem Titel „Palästina“: „Und vielleicht werde ich eines Tages /den Mut aufbringen können/dich Heimat zu nennen/und vielleicht/bin ich auf der Flucht vor der Wahrheit/weil ich weiß, dass du schon meine Heimat bist.“

Texte verschaffen ihr Erleichterung

„An dem Tag, als ich den Text geschrieben habe, hatte ich das erste Mal Palästina als zweite Heimat anerkannt“, erzählt Dalia. Sichtlich erleichtert sei sie gewesen, nachdem sie ihren Gefühlen schriftlich Ausdruck verliehen habe. „Ich bin jetzt eher mit mir im Reinen.“ Ihre Eltern traf der Inhalt des Gedichts völlig unerwartet. „Sie hätten nicht gedacht, dass ich mit diesem Konflikt kämpfe“, gibt die Tochter preis. „Ich will da anerkannt sein, wo ich gerade bin“, wünscht sich Dalia.

„ . . . aber ich weiß du bist ein Teil von mir/und deswegen hoffe ich dass/ Vielleicht/ich eines Tages aufwachen werde,/meinen Kopf schief lege/und dich richtig sehe/ so wie du bist/ “ schreibt sie am Ende ihres Textes. Und das hört sich ganz danach an, als sei sie bereit, sich allmählich mit ihrer Herkunft auszusöhnen.

Rundschau abonnieren