Brühl – „Ich wünsche mir für meine Ballettschule, sie in gute, erfahrene Hände zu geben, damit sie vielleicht noch weitere 50 Jahre erfolgreich geführt wird“, hoffte Ingrid Chrostek in einem Interview anlässlich des Goldjubiläums ihrer „Ballettschule der Schloßstadt Brühl“.

Zehn Jahre später hat sich der Traum jedoch nicht erfüllt. Die Ballettmeisterin schließt die „Institution für die Stadt Brühl“, wie Alt-Bürgermeister Wilhelm Schmitz die Ballettschule einst nannte.

„Es ist furchtbar, wenn man so einen Schlussstrich ziehen muss, aber es geht nicht anders“, sagte Ingrid Chrostek bei der kleinen Feier zum 60-jährigen Bestehen kurz nach ihrem 85. Geburtstag. Das letzte Jubiläumsfest, bei dem selbstverständlich Tanzvorführungen auf dem Programm standen, versüßte den Abschied .

„Ich habe noch so viele Fantasien, Ideen, die ich noch gerne umsetzen würde“, erzählte Ingrid Chrostek mit ein bisschen Wehmut. Bitter für die Tänzerin und Choreografin ist, dass sie seit einem Jahr nicht mehr laufen kann.

Drei Generationen Tänzerinnen und Tänzer hat die Ballettmeisterin in Brühl ausgebildet, mehr als 10 000 waren es bis zur Schließung. Sie entwarf und nähte eigenhändig über 2000 Kostüme für Aufführungen, malte die Bühnenbilder für die jährlichen Aufführungen ihrer Ballettschule. Zahlreiche Fotos von Tanzszenen aus sechs Jahrzehnten zieren die Wände im Ballettsaal und in dem kleinen Geschäft für Tanzbedarf an der Schlaunstraße 2, die noch in diesem Monat geräumt werden sollen. Überwiegend entstanden die Fotos in den 90er Jahren, Zeit der größten Erfolge.

Mit Stars auf Tournee

Unvergessener Höhepunkt bleibt die Teilnahme von Chrostek-Schülerin Michaela Balg mit einer Choreographie aus „Giselle“ 1991 am internationalen Ballettwettbewerb „Prix Lausanne“. Die Brühler Schlösser wurden zur Kulisse für Szenen aus dem klassischen Ballett „Die Puppenfee“ und der Revue „La vie parisienne“. Die Kinder-Stepptanzgruppe und das Ensemble „Euro-Tele-Ballett“ traten mehrfach im Fernsehen auf. Mit Marika Rökk, Udo Jürgens und Harald Juhnke ging die Schule auf Tournee und schaffte es ins Rahmenprogramm von Michael Jacksons Show im Müngersdorfer Stadion.

Bereits in den Kinderschuhen begann die eigene Karriere von Ingrid Chrostek. Fünf Jahre war sie alt, als der Kölner Stadt-Anzeiger am 13. Dezember 1937 ein Foto veröffentlichte, das die gebürtige Kölnerin als Solistin der Kindertanzgruppe Rübezahl zeigt. Mit Mutter und einigen geretteten Tanzdokumenten, darunter ein Neuneinhalb-Millimeter-Film, zog Ingrid Chrostek in den letzten Kriegsjahren von der ausgebombten Domstadt nach Brühl. Dort blieb sie, trotz Ausbildung und Engagements im In- und Ausland.

Von dem Mädchentraum, als klassische Primaballerina auf der Bühne in der ersten Reihe zu stehen, verabschiedete sich Ingrid Chrostek schon in jungen Jahren. Mit über 1,70 Meter Körpergröße entsprach sie nicht dem Maßstab. Das hielt die selbstbewusste Frau keineswegs davon ab, sich in allen Sparten des Bühnentanzes ausbilden zu lassen. Spitzentanz, Modern Dance, Flamenco, Folklore-, Stepp- und Jazztanz umfasst das Repertoire der Ballettmeisterin, die sich mit 25 Jahren selbstständig machte. Die ersten Räume mietete sie 1957 im Hotel Kurfürst an, wechselte ein Jahr später in die Wallstraße, danach in ein Haus an der Rheinstraße, bis sie 1973 die „Ballettschule der Schloßstadt Brühl“ am Balthasar-Neumann-Platz eröffnete.

Alte Fotos belegen, welch leidenschaftliche Flamenco-Tänzerin Ingrid Chrostek war. Selbstverständlich gab sie die Kunst an ihre Schüler weiter, und so tröstet nun vor allem ein Film von 1995 über den endgültigen Abschied hinweg. Die Videoaufnahme dokumentiert eine mitreißende Aufführung ihrer Choreografie „Torero“. Feurige rhythmische Schritte stampfen 24 Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf den Bühnenboden und schwenken im Takt rote Tücher. „Torero“ ist sonst nicht mit Musik unterlegt. So verlangt die Choreographie jedem in der Tanzgruppe die Präzision der Bewegung ab, die das Markenzeichen von Ingrid Chrostek ist.