AltersarmutStadt rechnet Mütterrente an - Kerpenerin kommt kaum über die Runden

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Rechnungen, Bescheide, Krankenakten liegen kreuz und quer auf dem Wohnzimmertisch von Anneliese Esser herum. Für die 85-Jährige ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten.

Rechnungen, Bescheide, Krankenakten liegen kreuz und quer auf dem Wohnzimmertisch von Anneliese Esser herum. Für die 85-Jährige ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten.

  • Die 85-jährige Kerpenerin ist Mutter von sechs Kindern.
  • Die Mütterrente sieht zusätzliche monatliche Zahlungen für jedes vor 1992 geborene Kind vor.

Kerpen – Als die Bundesregierung ab Juli 2014 die „Mütterrente“ einführte, freute sich die 85-jährige Anneliese Esser (Name geändert) aus Kerpen. Denn als Mutter von sechs Kindern erwartete sie nun eine wesentliche Verbesserung ihres Monatseinkommens. Schließlich sollen Mütter für jedes vor 1992 geborene Kind 28 Euro zusätzlich zur Rente kriegen. Für Anneliese Esser wären dies immerhin 168 Euro mehr im Monat gewesen.

Weil die Rentenerhöhung erst ein paar Monate nach deren Einführung auch ausgezahlt wurde, bekam sie einen Nachzahlung in Höhe von rund 700 Euro, wie sie sich erinnert: „Davon habe ich mir einen neuen Kühlschrank und einen Herd gekauft. Meine alten Geräte haben zu viel Strom verbraucht.“

Esser muss Teil der Rente zurückzahlen

Das Geld war dann weg, als auch die Stadt Kerpen von der Nachzahlung Wind bekam. Da Anneliese Esser aufgrund ihrer geringen Rente Grundsicherung bekommt, wird dort nun auch die Mütterrente angerechnet. Von der Erhöhung hat sie also nichts. Schlimmer noch: Sie muss sogar von den 700 Euro einen Teil an die Stadt zurückzahlen, obwohl sie die schon ausgegeben hat. Zwar hat die Stadt ihr dafür eine Ratenzahlung mit geringen Beträgen bewilligt. Dazu kommen auch noch Rückzahlungen, weil bei den Heiz- und Nebenkostenabrechnungen für ihre Wohnung ein Guthaben von rund 300 Euro aufgelaufen ist, das die Stadt ebenfalls anrechnet. 20 Euro monatlich muss sie deshalb an die Stadt zahlen.

Anneliese Esser ist kein Einzelfall. Alleine 300 000 Frauen soll im Bundesgebiet die Mütterrente auf die Grundsicherung angerechnet worden sein, heißt es. Kerpens Stadtsprecher Erhard Nimtz betont so auch, die Stadt habe hier keinen Handlungsspielraum: „Die Nachzahlung der Mütterrente muss angerechnet werden.“ Ähnlich sei es mit dem Guthaben bei den Nebenkosten, die ja über die Grundsicherung teilweise auch von der Stadt gezahlt worden seien. Um der Seniorin entgegenzukommen, seien die Rückzahlungsraten bewusst klein gehalten worden.

Dennoch: 20 Euro weniger im Monat sind für Anneliese Esser ein Problem. Denn insgesamt hat sie für den Lebensunterhalt nur 812,39 zur Verfügung, wie sie auf einem Zettel penibel aufgeschrieben hat: 537,59 Euro davon sind Alters- und Witwenrente einschließlich der Erhöhung durch die Mütterrente. 274,80 Euro steuere die Stadt als Grundsicherung dazu. Doch alleine die Miete für ihre Seniorenwohnung in einem Kerpener Stadtteil beträgt 419,10 Euro. Dazu kommen Heizkosten, Strom, Telefon, Kontogebühren.

Fürs Altersheim zu fit

„Wir alten Leute werden vergessen“, klagt Anneliese Esser. Auf ihrem Wohnzimmertisch liegen Rechnungen von Apotheken, Behördenschreiben, Bescheide der Stadt, Krankenhaus-Unterlagen und Röntgenbilder durcheinander. „Mein Körper macht nicht mehr mit.“ Ihre Hände zittern stark. Sie hat Pflegestufe eins, chronische Bronchitis und ein Hörgerät. „Aber auch dafür muss ich Batterien kaufen können.“

Dass ihr Sohn zuletzt wegen Überstunden auf der Arbeit 1000 Euro Steuer habe zahlen müssen und ihr selber nun Kleinstbeträge vom Lebensunterhalt abgezogen werden, findet sie ungerecht. In ein Altersheim, wo der Staat für weit höhere Kosten aufkommen müsste, will sie aber dennoch nicht: „Dafür bin ich geistig noch zu fit.“

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