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Rundgang durch SiegburgAls Juden das Leben in der Stadt prägten

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An der Holzgasse reihte sich bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 eine jüdische Metzgerei an die andere. Im Haus Nummer 43 befand sich das Geschäft von Abraham und Rosa Bock.

An der Holzgasse reihte sich bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 eine jüdische Metzgerei an die andere. Im Haus Nummer 43 befand sich das Geschäft von Abraham und Rosa Bock.

Siegburg – Es ist nicht viel, was heute noch an das jüdische Leben in der Kreisstadt erinnert: die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, der Brunnen zur Erinnerung an die Synagoge, der alte jüdische Friedhof.

Aber Dr. Claudia Arndt, Leiterin der Gedenkstätte Landjuden an der Sieg und Kreisarchivarin, machte jetzt mit einem Rundgang noch einmal deutlich, wie sehr jüdische Mitbürger einst das Leben in Siegburg prägten: schon allein durch die vielen Viehhändler und Metzger, die auf Holz-, Scheeren- und Ankergasse ihre Wohn- und Geschäftshäuser innehatten.

In der Taverne Sirtaki an der Holzgasse 43 etwa war früher die Metzgerei von Abraham Bock beheimatet, in der Scheerenstube an der Scheerengasse 4 arbeitete der Pferdemetzger Samuel Cohn – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Viehtrieb durch ganz Europa

Viehhandel und Fleischerei waren nicht zufällig ein typischer Broterwerb für jüdische Familien. Bis zu 60 Prozent des Viehhandels waren Arndt zufolge 1917 in jüdischer Hand. Im Reich der Frankenkaiser sei ihnen der christliche Treueeid als Vasalle nicht möglich und so die Landwirtschaft versperrt gewesen, ebenso wie später eine Mitgliedschaft in Zünften und Gilden.

Möglich jedoch war der Viehhandel, an dem eine ganze Reihe von Erzeugnissen hing: neben Fleisch auch Leder, Talg, Filz, Bogensehnen und vieles mehr. „Im 13. und 14. Jahrhundert gab es einen Viehtrieb durch ganz Europa“, schilderte Arndt.

Für viele Juden bedeutete die berufliche Unabhängigkeit auch, die eigenen religiösen Gebote befolgen zu können. Denn ein christlicher Chef, so Arndt, hätte kaum für die Einhaltung des Sabbat Verständnis gehabt. Verständigt hätten sich die Händler in einem jüdisch-deutschen Fachjargon, den Kunden kaum verstehen konnten.

Nazis nutzten Schächten für Propaganda

Arndt geht davon aus, dass die jüdischen Viehhändler „oft als etwas seltsam angesehen“ wurden. Sie seien aber respektiert worden. Auch nicht koscheres Fleisch von Schweinen oder Pferden sei zunehmend verarbeitet worden.

Dass jüdische Metzger schächteten, sollte zu einem beliebten Motiv der Nazi-Propaganda werden, was Arndt mit zahlreichen Beispielen belegte – wobei sie aber auch in Frage stellte, ob andere Schlachtmethoden zwingend tierfreundlicher seien als der rituelle Halsschnitt.

Pferdefleisch für den Rheinischen Sauerbraten gab es etwa im Geschäft von Samuel Cohn, der um die Jahrhundertwende auch Schwein im Angebot hatte. Er und seine Familie wurden mit den Novemberpogromen 1938 erst um die berufliche Existenz gebracht, dann nach Dachau verschleppt und im weißrussischen Maly Trostenec ermordet.

Führung für 2018 schon geplant

Repressalien hatte es schon kurz nach der Machtergreifung der Nazis 1933 gegeben. Mit dem Verbot der irrtümlich für jiddisch gehaltenen Fachsprache und des Schächtens, dem Ausschluss aus dem Reichsverband des deutschen Viehhandels und 1937 einem Berufsverbot für nicht-deutschstämmige Viehhändler.

Für Leo, Johanna und Helma Helena Hirschfeld von der Holzgasse führte der Weg über das Lager Much und Köln Deutz nach Sobibor, wo die Nazis sie ermordeten. Arndt zitierte die Einwohnermeldekarte: „Mit Sammeltransport – Osten – Ziel unbekannt“ sei dort vermerkt . Auch Rosa Bock, die Ehefrau von Abraham Bock, wurde von Nazischergen umgebracht, im Ghetto von Riga am 27. Januar 1942. Ihr Mann, langjähriges Vorstandsmitglied der Fleischer-Innung, war im September 1915 als Soldat in einem Kriegslazarett im damals russischen, heute litauischen Mariampol gestorben.

Claudia Arndt hätte ihre Führung zu den jüdischen Viehhändlern von Haus zu Haus und von Stolperstein zu Stolperstein leicht von eineinhalb auf drei Stunden ausdehnen können. Im kommenden Jahr soll es auf der Kaiserstraße mit anderen Geschäften und gegen das Vergessen weitergehen.

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