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Serie „Stadt Land Rhein“Der Rhein als Strom der Künstler

Lesezeit 7 Minuten
Rheinromantik

Johannes Jakob Diezler (1789-1855): "Rolandseck, Nonnenwerth und das Siebengebirge", um 1845.

Es gibt Momente, da wäre man gerne wirklich dabei gewesen. Zum Beispiel am 20. Oktober 1973, es war ein Samstag, als am Rheinufer des Düsseldorfer Stadtteils Oberkassel ein Einbaum zu Wasser gelassen wurde, den Anatol Herzfeld, Polizist und Künstler, aus einem 30 Meter langen Pappelstamm geschlagen hatte. Ein buntes Völkchen bestieg den schmalen Nachen, darunter Kunstprofessor Joseph Beuys und sein Meisterschüler Anatol. Ziel der medienträchtigen Kurzreise war die Kunstakademie am jenseitigen Rheinufer. Die Aktion ging unter dem pathetischen Titel "Heimholung des Joseph Beuys" in die Kunstgeschichte ein.

Ein symbolischer, ein politischer Akt: Ein Jahr zuvor hatte NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau, später Ministerpräsident und Bundespräsident, den seinerzeit berühmtesten deutschen Künstler, Professor Beuys, fristlos aus dem Amt gejagt. Beuys hatte zuvor aus Protest mit Studenten wiederholt das Sekretariat der Kunstakademie besetzt, "Und wenn sie mit Panzern kommen", rief er aus, "ich bleibe." Für Rau war dies "das letzte Glied in einer Kette ständiger Konfrontationen". Der Fall Beuys wuchs sich zum Skandal aus. Und kochte nach der "Heimholung" wieder hoch. An den Zeitläuften änderte sie wenig: Rau wurde Ministerpräsident, Beuys erst 1980 bei einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht teilweise rehabilitiert. Was bleibt, ist dieses Bild von Beuys mit Weste und Hut bei der Überquerung des Rheins, eine symbolische Inszenierung, die Erinnerungen weckt. Ein Jahrhundert zuvor, 1851, hatte der Maler Emanuel Leutze ein ikonisches Bild der USA gemalt: Es zeigt den General George Washington mit seinen Getreuen im Jahr 1776 bei der Überquerung des Delaware auf dem Weg zur Schlacht bei Trenton, die Washingtons Truppen im Unabhängigkeitskrieg Luft verschaffte. Das Bild namens "Washington crosses the Delaware", sechseinhalb Meter breit, dreieinhalb Meter hoch, hängt im New Yorker Metropolitan Museum und ist wohl das berühmteste Gemälde der USA, millionenfach reproduziert, auf Tellern, Tassen und T-Shirts verewigt. Doch was haben Washington und der Delaware mit dem Rhein zu tun?

Viel mehr, als man vermuten könnte. Denn der 1816 geborene Maler Leutze, der als Kind mit der Familie von Schwäbisch-Gmünd nach Philadelphia (USA) auswanderte, malte das Washington-Bild in seinem Düsseldorfer Atelier. Leutze hatte sich 1841 an der dortigen Kunstakademie - wo Beuys ein Jahrhundert später 1961 bis 1972 lehren sollte - eingeschrieben und mit Carl Friedrich Lessing den denkbar besten Lehrer. Etliche Meister der Rheinromantik sind durch seine Schule gegangen. Leutze ist von ihm und vom Rhein geprägt worden: Streng genommen überquert Washington in dem Bild nicht den Delaware, sondern den Rhein. Details identifizierten Experten als Teile der Uferlandschaft von Meerbusch, andere Kenner sahen Parallelen zum Mittelrhein.

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Eine andere Überfahrt dokumentiert Karl Christian Köhler in seiner zauberhaft illustrierten Lithografie-Mappe "Ansichten vom Rhein und Ahre" (um 1870). Das Vorsatzbild, eine Allegorie auf den Rhein, zeigt fünf Personen in einem Boot auf dem Rhein. Neben dem Schiffer, der die kleine Gesellschaft übersetzt, sind das ein Sänger mit Laute und Weinpokal, ein lesendes Paar und ein Maler mit dem Zeichenbrett. Schöner kann man Rheinromantik nicht bebildern, ein Konglomerat aus Geschichte und Mythos, Literatur, Malerei und Musik. Ende des 18. Jahrhunderts setzte der Rhein-Boom ein. Johann Wolfgang von Goethes Reiseberichte, die Notizen von Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist kolportierten die Idylle, legten den Grundstein zu einer Bewegung, die Rheinromantik, die alle Künste erfasste und Menschen in ganz Europa begeisterte. Lord Byron brachte den Rhein-Mythos mit seiner Verserzählung "Childe Harold's Pilgrimage" 1818 nach England. Die Gemälde dazu - dunstige Naturansichten - lieferte der Maler William Turner. Und Mary Shelley rundete das Gesamtbild mit einer schaurigen Facette ab: 1818 erschien anonym ihr Roman "Frankenstein or The Modern Prometheus" - die Rheinlandschaft diente als Kulisse.

Maler und Grafiker der Düsseldorfer Schule schwärmten aus, Künstler aus Koblenz und Köln zogen mit Skizzenblock und Staffelei nach, um das Rheinpanorama festzuhalten. Es gibt keine Region in Deutschland, die besser durch Stiche und Gemälde dokumentiert ist. Die Künstler agierten nicht selbstlos, ab 1800 florierte entlang des Rheins der Tourismus - mit entsprechendem Bedarf an Souvenirs. Künstler lieferten die stimmungsvollen Impressionen. Die großartige Sammlung RheinRomantik (im Siebengebirgsmuseum Königswinter zu besichtigen) gibt einen Eindruck jener überbordenden, mitunter herausragenden Bilderproduktion, die den Fluss der Maler feiert.

Was die Maler festhielten, wurde auch von Dichtern besungen und Komponisten vertont. Clemens Brentano und Heinrich Heine widmeten sich der Loreley. Kleist schreibt 1801: "Das ist eine Gegend wie ein Dichtertraum, und die üppigste Fantasie kann nichts Schöneres erdenken als dieses Tal, das sich bald öffnet, bald schließt, bald blüht, bald öde ist, bald lacht, bald erschreckt." Von Kleist haben wir auch die Verortung der Rheinromantik: "Der schönste Landstrich von Deutschland, an welchem unser größter Gärtner sichtbar con amore gearbeitet hat, sind die Ufer des Rheins von Mainz bis Koblenz." Eine These, der zumindest geografisch widersprochen wird. Elmar Scheuen, Direktor des Siebengebirgsmuseums, brachte den Drachenfels als beliebtes Reiseziel der Rheinromantik ins Spiel: In einer Ausstellung präsentierte er das Tagebuch einer niederländischen Familie aus dem Jahr 1874, das einen Einblick in eine klassische Bildungsreise mit den Stationen, Rolandseck, Drachenfels, Ruine Heisterbach, Koblenz, St. Goar und Oberwesel gibt, die per Bahn "über die Ahr, die Brohl und die Mosel über Brücken führte". Mit dem Breitentourismus - auf den Spuren blaublütiger Bildungsreisender wie den preußischen Kronprinzen, die mit Ritterromanen im Gepäck auf Schlössersuche gingen - setzte die Vermarktung der Rheinromantik ein.

Die Aneignung des Rheins erfolgte auch musikalisch. Franz Liszt etwa komponierte Stücke wie "Die Zelle in Nonnenwerth", "Im Rhein" oder "Die Loreley", Robert Schumann nannte seine dritte Sinfonie "Die Rheinische". Es gibt sogar einen Walzer von Johann Strauß aus dem fernen Wien: "Pilger am Rhein". Den sagenhaften Rhein thematisiert Richard Wagners fantastische Tetralogie "Ring der Nibelungen", die auf den Sagenkomplex des Nibelungenlieds zurückgreift, ein Heldenepos aus dem 13. Jahrhundert mit Wurzeln, die weit zurückreichen. Das Epos spielt im Burgundenreich am Rhein mit dem Zentrum Worms. Im Verlauf der Geschichte entwendet Hagen den Nibelungenschatz und versenkt ihn im Rhein.

Wagners Opern-Vierteiler beginnt mit dem "Rheingold", den Rheintöchtern Wellgunde, Woglinde und Floßhilde, die den Schatz hüten, und dem narkotischen Gesang "Weia! Waga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!" Wo genau das Rheingold versenkt wurde, das verrät auch Wagner nicht. Im Park der Villa Hammerschmidt in Bonn existierte einst eine üppig mit Rheintöchtern gestaltete Nibelungengrotte, seinerzeit ein beliebtes Postkartenmotiv der Rheinromantik. Übriggeblieben ist lediglich ein Relief (am Treppenaufgang zur Tempelstraße). Der erste Bundespräsident Theodor Heuss hatte die 1880 erbaute, Wagners "Rheingold" illustrierende Grotte 1950 abreißen lassen.

Das Ende der Rheinromantik? Das hatte zuvor schon der mit Bussen und Ausflugsbooten heranflutende Massentourismus besorgt. Und noch früher die Preußen, die mit durchaus romantischen Gefühlen an den Rhein gekommen waren, aber den Strom und alles was daran lag - vom Kölner Dom bis zur Burg Stolzenfels - zu nationalistischen Zwecken politisch instrumentalisierten.

Die Vollendung des Kölner Doms und die wiedererblühende Kette von Burgen entlang des Rheins waren sowohl ästhetische wie politische Akzente.

Der umfassende Reichsgedanke wurde hier angesichts einer vermeintlich urdeutschen Vergangenheit formuliert. Auch mit Hilfe der Künste. Der Rhein blieb auch über die Epoche der Rheinromantik hinaus und bis ins 20. Jahrhundert hinein der Strom der Künstler.

Buchtipp zur Serie

Die schönstenFolgen unsererRheinserie "Stadt, Land,Rhein" und weitereGeschichtenrund um denRhein erscheinen unter dem Titel"RheinLiebe" im Droste Verlag auch als Buch.

Das Buch erscheint am 7. September und ist für den Preis von 24,99 Euro erhältlich im Rundschau-Shop oder im Buchhandel. Vorbestellungen sind bei versandkostenfreier Lieferung ab sofort möglich unter 0221 567 99 307 und im Internet

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