InterviewFC-Vizepräsident Toni Schumacher zeigt seine weiche Seite

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Temperamentvoll wie eh und je: Toni Schumacher, 63 und kein bisschen leise.

Köln – Es ist nicht übertrieben, Toni Schumacher als lebende Legende des deutschen Fußballs zu bezeichnen. Berthold Mertes und Gert auf der Heide sprachen mit dem 63-Jährigen über sein Buch "Einwurf", das an diesem Montag erscheint. Über sehr persönliche Dinge und über die aktuelle Situation des 1. FC Köln, dessen Vizepräsident Schumacher nun schon seit fünf Jahren ist.

Herr Schumacher, haben Sie das Buch selbst geschrieben?

Nein. Ich habe erzählt. Meine Frau und der Kölner Journalist Frank Lußem haben es dann zusammen in den Computer gehackt. So etwas kann ich ja gar nicht. Zwei Freundinnen haben nochmal drüber geguckt. Also ganz anders als beim ersten Buch. Das hat ja der französische Journalist Michael Meyer aus meinen Erzählungen alleine geschrieben.

1987 hat Ihr Buch "Anpfiff" zu Ihrem Rauswurf beim FC geführt. Was passiert 30 Jahre später nach ihrem zweiten Buch "Einwurf"?

Es wird kein solches Beben geben. Ich wollte den Leuten erzählen, wie ich mich seit "Anpfiff" verändert habe. "Einwurf" ist ein sehr persönliches Buch. Auf diesen Seelenstriptease muss man sich erstmal einlassen.

Was war Ihr Antrieb?

Ich wurde immer wieder gefragt: Was ist denn nach Deinem Rauswurf alles passiert? Nach Deiner ersten Zeit beim FC. Ich wollte lange kein zweites Buch schreiben, aber dann hat es sich so ergeben. Für den "Einwurf" habe ich mir den "Anpfiff" noch zwei, dreimal durchgelesen. Damals haben einige schon ganz schön einen drüber gekriegt. Aber das habe ich damals nicht so empfunden. Heute, mit 30 Jahren Abstand, sage ich: Hm, war wohl doch besonders.

Damals haben Sie gesagt, Sie wollten einfach nur die Wahrheit erzählen - haben Sie die Wirkung der Wahrheit unterschätzt?

Ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich dafür bestraft werden könnte. Jetzt kann man sagen, du warst naiv.

Als Sie damals Doping im Fußball anprangerten, war der Aufschrei groß. War die Zeit nicht reif für eine solche Beichte, obwohl ja im selben Jahr die Siebenkämpferin Birgit Dressel an den Folgen von Leistungsmanipulation gestorben ist?

Die Leute waren leider noch nicht bereit dafür. Ich frage mich heute, warum ich damals nicht eine Pressekonferenz einberufen habe, damit mich die Leute von Angesicht zu Angesicht fragen konnten. Ich wollte beichten, auf Missstände aufmerksam machen. Nebenbei habe ich auch einiges vorhergesagt. Zum Beispiel, dass Schiedsrichter besser verdienen sollten. Oder den Videobeweis.

Haben Sie den "Anpfiff" nicht tausendmal verflucht?

Kein einziges Mal. Ich würde es wieder machen. Viele schieben das in die Zeit nach ihrer Karriere. Ich habe "Anpfiff" zu meiner aktiven Zeit geschrieben. Sicher habe ich nicht damit gerechnet, rausgeschmissen zu werden. Aber das Buch musste zu dieser Zeit rauskommen. Lieber ein Knick in der Laufbahn als ein Knick im Rückgrat.

Sie haben Schmerzmittel genommen, viele Schmerzmittel. Aber erst nach ihrer Karriere dauerhaft.

Solange du spielst, sind das Adrenalin und der Sport ein Schmerzverdränger. Danach fehlt dir das, dann ist es verlockend, mit Schmerzmitteln nachzuhelfen. Meine Frau ist jedoch vehement eingeschritten. Ich habe meine Ernährung umgestellt, gehe zum Shiatsu und treibe weiterhin Sport. Heute geht's. Aber schauen Sie auf meinen Ringfinger, der mehrfach gebrochen war. Er ist ständig geschwollen und noch oft entzündet. Ich kann froh sein, dass meine Frau nicht auf meine Hände geguckt hat. Dann wäre ich chancenlos gewesen.

War der "Anpfiff" es wert, 1990 NICHT Weltmeister zu werden?

Darüber habe ich nicht lange nachgedacht. Man kann nicht zwei Wege gleichzeitig gehen und hinterher entscheiden, welcher der bessere ist. So bin ich erzogen worden: Ehrlich und fleißig sein, immer geradeaus.

Sie haben das EM-Finale 1980 mit gebrochenem Finger gespielt. Waren Sie aus Ihrer heutigen Sicht vielleicht sogar krankhaft ehrgeizig. Sie sagen ja auch: Ich habe immer nur den Sieg gesehen.

Für mich war das damals normal. Ich habe mir mittwochs in der Radrennbahn gegen Braunschweig einen Kreuzbandriss zugezogen und habe am Samstag wieder gespielt. Heute ist mein Knie Schrott. Walken geht noch. Jeden Morgen eine Stunde.

War's das wert?

Immer.

Sie schreiben über Ihr grenzenloses Selbstbewusstsein - und über Phasen großer Niedergeschlagenheit.

Hochs und Tiefs liegen oft nah beieinander. So kannten Sie mich nicht, oder?

Nein.

Das habe ich so in der Öffentlichkeit auch noch nie geäußert. Als Fußballer durfte man sich das nicht erlauben.

Interview

Intensiver Austausch: Toni Schumacher, Berthold Mertes und Gert auf der Heide (von links).

Waren Sie nah an der Depression?

Für mich waren das Stimmungsschwankungen oder die "grauen Wölfe", so habe ich es immer genannt. Wenn man mit regelmäßigen Schmerzen lebt, dann geht das auch auf die Psyche. Meine Mutter war sehr melancholisch. Das hat mich sicher geprägt. Ich hatte aber nie das Gefühl, professionelle Hilfe zu benötigen.

Nach vielen Umwegen sind Sie jetzt fünf Jahre wieder beim FC. Haben Sie Ihre Mitte gefunden?

Mitte hört sich gut an. Es fühlt sich gut an, wie es ist. Werner Spinner hat mich damals schnell überzeugt. Ich konnte auch gar nicht anders handeln, nachdem ich mich 20 Jahre darüber geärgert hatte, dass keiner ernsthaft nach meiner Hilfe gefragt hat.

Wirklich kein einziges Mal?

Vorher war der FC zweimal bei mir, auch Wolfgang Overath. Aber konkret ist das nie geworden. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich in das damalige Team gepasst hätte.

Und warum passt es jetzt?

Wenn wir jetzt zusammensitzen, stellen wir als erstes immer einen Geißbock in die Mitte. Um den geht's. Wenn einer ein bisschen abdriftet, fängt der Geißbock ihn direkt wieder ein.

Der Schumacher'sche Ehrgeiz müsste Sie jetzt nach dem Präsidentenamt streben lassen.

Das war mal mein Wunsch. Aber ich bin jetzt Mitglied in einem wunderbaren Team. Das ist viel wichtiger. Und jetzt zeige ich wieder auf den Bock: Es geht nicht darum, dass ich Präsident werde, sondern darum, dass wir alles für den FC machen. Ich bin jetzt da, wo ich herkomme und wo ich hingehöre, und das ist gut.

Viele FC-Fans verstehen nicht, dass ein Mensch den FC, Fortuna Köln, Schalke, Istanbul, Leverkusen, Dortmund und auch noch die Bayern unter einen Hut kriegt.

Wer das kritisiert, dem antworte ich: Ihr habt mich rausgeschmissen, mir die rot-weiße-Brille von der Nase gerissen. Ohne den Rauswurf wäre ich jetzt 40 Jahre beim FC und hätte die supergoldene Ehrennadel. Mit den 220 000 Mark brutto, die ich als Spieler in Köln verdient habe, konnte ich mich nicht zur Ruhe setzten. Und ich antworte: Ich habe viel auf meinem Weg gelernt, was ich heute beim FC einbringe.

Verraten Sie uns Ihren Spitzenverdienst als Spieler?

500 000 Mark bei Schalke - in Istanbul war es genauso viel. Die waren jeck. Aber ich habe 17 Jahre beim FC gespielt - und wäre wegen des Geldes niemals gewechselt.

Ihr neues Buch ist eine Hymne auf Köln, den FC und die kölsche Lebensart. Das passt zu Ihrem Ehrenamt. Dennoch würden Sie gerne bezahlt werden. Wie passt das?

Ich finde, wenn man wie Werner, Markus und ich einem Unternehmen vorsteht, das seinen Umsatz von 50 Millionen auf bald 120 Millionen Euro gesteigert hat und wenn man rund 150 Termine im Jahr für den Verein wahrnimmt, dann wäre eine angemessene Vergütung des Vorstands zeitgemäß.

Beim FC läuft es bestens. Kommt die Europa League vielleicht etwas zu früh unter personellen Gesichtspunkten?

Es ist nie zu früh. Man kann doch nicht 25 Jahre von etwas träumen und dann meckern, wenn man es erreicht. Wir nehmen Europa gerne mit, es gibt viel zu lernen, unsere Fans freuen sich riesig darauf und schließlich spült es dem Verein zusätzliche Mittel in die Kassen.

Werden die nicht für zusätzliche Spieler benötigt?

Nein, wir bleiben vernünftig und Jörg Schmadtke hat genug Erfahrung darin, so etwas zu managen.

Im Umfeld herrscht nach Platz fünf große Euphorie.

Wir haben eine fantastische Saison gespielt, überschätzen das aber nicht, weil Schalke, Leverkusen, Gladbach und Wolfsburg unter ihren Möglichkeiten geblieben sind. Wir haben bei unseren Personalentscheidungen seit fünf Jahren immer in die Goldtaler-Kiste gegriffen. Ob das Peter Stöger war oder Jörg Schmadtke oder Alexander Wehrle. Das Besondere ist, dass diese Fachleute optimal als Team arbeiten.

Kurios, dass dies einem Stuttgarter, einem Düsseldorfer, einem Österreicher und einem Präsidenten mit Leverkusener Vergangenheit in Köln gelingt.

Dass dieses Klüngel-Gen nicht mehr drin ist, das tut dem Verein gut.

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