Interview der Woche mit Hansi Schmidt„Wir haben die Massen begeistert“

Lesezeit 7 Minuten
Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1974 auf dem Bismarckplatz

Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1974 auf dem Bismarckplatz

Gummersbach – Zu seinen aktiven Zeiten galt Hansi Schmidt im halblinken Rückraum  als der weltbeste Handballer. Am Sonntag wird der Gummersbacher 75 Jahre alt. Andreas Arnold sprach mit ihm über seinen Weg zum VfL Gummersbach, seine Erfolge und darüber, wie er seinen Verein heute erlebt.

Ist der 75. Geburtstag für Sie ein besonderes Datum?

Eindeutig nein! Ich werde den Geburtstag nicht feiern, allerdings werde ich den Tag mit liebenswerten Menschen begehen. Das Datum sagt mir nur so viel, dass ich in 25 Jahren 100 bin (lacht). Doch es kann morgen schon alles vorbei sein.

Nehmen Sie den Tag trotzdem zum Anlass zurück zu schauen?

Ja, absolut. Ich schaue jeden Tag zurück. Mein Motto lautet „mit der Vergangenheit leben, aber nicht in der Vergangenheit leben“.

Welche Beziehung haben Sie mit 75 zum Handball?

Handball wird mich wahrscheinlich immer begleiten bis hin zur Letzten Ölung. Diese Sportart ist ein Teil meiner selbst und der VfL Gummersbach ist es ohnehin.

In Ihrer Jugend in Rumänien waren Sie nicht nur im Handball erfolgreich. Warum haben Sie sich am Ende für diese Ballsportart entschieden?

Ich bin da reingewachsen, schon mit elf Jahren. Im Banat, in der Gemeinde Marienfeld, bin ich aufgewachsen. Da wurde schon immer Handball gespielt, auch vor meiner Zeit. Da ich mit 14 Jahren bereits 1,86 Meter lang war, hat mein Klassenlehrer gesagt, dass ich mit zum Handball kommen soll. Die Entscheidung hat er mir also abgenommen. Für Fußball war ich ohnehin zu lang.

Und wie war dann der erste Kontakt mit dem Handball?

Ich kam in die zweite Mannschaft, wo ich mit größtem Abstand der jüngste war. Mein erstes Spiel haben wir 1:17 verloren. Doch der Wirt am Sportplatz prophezeite mir, dass ich einmal ein ganz Großer werden würde. Das habe ich bis heute nicht vergessen. Und ich habe immer daran geglaubt.

Haben Sie es je bereut, Handball über viele Jahre zum Lebensmittelpunkt gemacht zu haben?

Werde ich noch einmal geboren, mache ich das gleiche! Aber das ist eine Entscheidung, die rein meine Person anbelangt.

Haben Sie später junge Leute überredet, Handball zu spielen?

Nie. Die Sportart ist so etwas von fürchterlich rau und brutal. Es gibt schönere Sportarten wie Basketball oder Volleyball, Radfahren, Schwimmen. Ich bin heute ein Freund der körperlosen Sportarten.

Als Mitglied der rumänischen Studentennationalmannschaft haben Sie sich 1963 in Köln in den Westen abgesetzt. Wie kam der Kontakt zum VfL, es gab ja auch andere Vereine?

Richtig, es gab andere Mannschaften wie Leverkusen, Göppingen oder Kiel, die schon deutschlandweit bekannt waren. Am Ende war es einem Zufall zu verdanken. Ich habe meinen späteren Mannschaftskameraden Klaus Brand vom VfL Gummersbach Ende 1962 in Südschweden bei der Studentenweltmeisterschaft kennengelernt. Er war zu seiner Zeit neben Otelea der beste Defensivspieler der Welt. Ich habe seine Art zu spielen immer sehr geschätzt. Später haben wir dann auch zusammen in Köln und Bonn studiert. Über Klaus ist der erste Kontakt zum VfL geknüpft worden.

Und nach Gummersbach kamen Sie dann wie?

Von Köln aus bin ich zunächst nach Hamburg für drei Wochen, wo ich dann einen Anruf aus Gummersbach bekommen habe. In dem Gespräch habe ich dann erfahren, dass der VfL sehr an mir interessiert war. Ich bin dann mit VfL-Torsteher Bubi Wolf mit dem Auto bis nach Hannover und von dort mit dem Zug nach Hagen, wo uns VfL-Obmann Eugen Haas mit seinem Mercedes trotz spiegelglatter Straßen abholte. Zuhause bei Eugen Haas haben wir dann zusammen Silvester 1963/64 begangen.

Was hat Sie am Ende überzeugt, hier zu bleiben?

Köln war für mich interessant. Ich wollte dort Sport studieren. Da lag Gummersbach nahe.

Drei Jahre nach Ihrer Flucht sind Sie 1966 mit dem VfL zum ersten Mal Deutscher Meister geworden. Viele Erfolge folgten bis 1976. Welcher davon ist Ihnen bis heute der wichtigste?

Es ist schwer, einen Schwerpunkt zu setzen. Doch für mich ist 1966 das alles entscheidende Jahr. Ich hatte schon viele nationale Erfolge in Rumänien gefeiert. Aber diese erste deutsche Meisterschaft, bei der im Endspiel auch Torhüter Bernd Podak ein Tor geworfen hat, ist schon etwas besonderes gewesen. Der Titelgewinn 1966 war schon sehr wichtig. Als dann aber 1967 der erste Gewinn des Europapokals hinzu kam, war das phänomenal. Dieser Titelgewinn war für Handballdeutschland mindestens so wichtig wie der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 1954. Als die Fans schon im Jahr 1966 für unsere Rückkehr in die Stadt die Bürgersteige in blau-weiß angemalt hatten, wurde Gummersbach für mich immer mehr ein Stückchen Heimat.

In der Kölnarena traf Schmidt später (v.l.) den inzwischen  verstorbenen Erhard Wunderlich und Joachim Deckarm, die, wie Schmidt, im linken Rückraum  spielten.

In der Kölnarena traf Schmidt später (v.l.) den inzwischen  verstorbenen Erhard Wunderlich und Joachim Deckarm, die, wie Schmidt, im linken Rückraum  spielten.

Heimat ist ein gutes Stichwort. Wo ist Ihre Heimat? Ist das Gummersbach?

Heimat ist für mich der Ort, wo ich das Licht der Welt erblickt habe, also Marienfeld. Allerdings bin ich ein naturalisierter organisch gewachsener Oberberger. Und es gibt Leute, die mir sagen, dass ich mich zu Gummersbach bekennen soll, weil ich ein Gummersbacher bin. Nach meiner Flucht habe ich mir vorgenommen, dass ich hier Fuß fasse. Für mich gab es keine Integration im Sinne von Selbstaufgabe. Ich wollte integrativer Teil des Ganzen werden aber dabei noch ich selbst bleiben dürfen. Mit all meinen Ecken und Kanten. Ich habe das gewollt, es haben mir aber auch viele Oberberger dabei geholfen. Integration ist nur dann möglich, wenn der Einzelne, der integriert werden möchte, alles dafür tut, um in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Das ist nicht die Sache des aufnehmenden Landes.

Als Spieler gehörten Sie zu den weltbesten Handballern. Wie erleben Sie den Handball heute?

Natürlich ist die Sportart schneller geworden, aber sie wird deswegen nicht attraktiver, zumal das Element Spiel leider eher auf der Strecke bleibt. Ich habe Respekt vor der Leistung der Sportler heute. Viele Spieler sind technisch, taktisch und körperlich sehr gut. Die, die jetzt Handball spielen, müssen allerdings nicht meinen, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wir haben auch schon Handball gespielt. Und wir haben die Massen begeistert.

Aber Profis waren Sie damals noch nicht?

Richtig. Und diese Entwicklung sehe ich mit gemischten Gefühlen. In dieser Sportart haben alle Vereine in der ersten Liga bis auf zwei oder drei Ausnahmen finanzielle Probleme. Wir haben seinerzeit drei bis viermal pro Woche trainiert und daneben eine Ausbildung gemacht bzw. studiert. Ich bin nach wie vor ein Freund des Dualen Systems. Es geht und ging mir um die Zeit danach.

Wie erleben Sie den VfL im Jahr 2017?

Erst einmal finde ich es sehr schade, dass ein Spieler wie Simon Ernst der Mannschaft wegen seiner schweren Verletzung derzeit nicht zur Verfügung steht. Schon vergangene Saison war er der Kopf der Mannschaft. Und jetzt fehlt er dem VfL sehr. Natürlich drücke ich unseren Jungs die Daumen. Und als sie jetzt gegen eine Mannschaft wie Wetzlar so hoch verloren haben, war das schon enttäuschend. Auch bei dem großen Vorbereitungsturnier hier in der Schwalbe-Arena haben wir nicht gerade brilliert und alle Spiele verloren.

Was müsste man Ihrer Meinung nach unternehmen, um wieder weiter nach oben zu kommen?

Ich denke, dass es nach wie vor finanzkräftige Leute in Oberberg gibt, die auf ihrem Geld hocken, und den Verein gerne unterstützen würden. Und zwar in der Form, dass sie dem VfL einen starken Rückraumspieler oder einen Weltklassekreisläufer besorgen. Wir brauchen auf entscheidenden Positionen auch Weltklasseleute. Und es kann nicht sein, dass talentierte Spieler wie ein Paul Drux aus der Handballakademie vom VfL nach Berlin gehen. Das funktioniert nicht.

Gibt es etwas in Ihrem Sportlerleben, worauf Sie persönlich stolz sind?

Ich spreche nicht über meine Erfolge, die ich als Handballer feiern durfte, aber ich bin schon stolz darauf, dass ich dreimal als Handballer in die Weltauswahl berufen worden bin.

Rundschau abonnieren