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Voller Energie für eine alte Energie

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Aufgeräumt ist es in der Generatorenhalle des Wasserkraftwerkes Wickede nicht. Auf dem schwarzweißen Kachelboden stehen Kanister, Kisten und Paletten. Ein riesiges Zahnrad lehnt an einer 50-Kilo-Tonne mit Wasserturbinenfett - biologisch abbaubar. In der Mitte brummen zwei mannshohe Generatoren. Der Boden vibriert. Es riecht nach Öl und warmem Metall.

„Wie kann man so etwas aus der Hand geben?“ Bernd Walters zeigt auf die Generatoren: einer 1912 gebaut von Brown Bowerie Mannheim, der andere 1948 von Siemens. Angetrieben von einer Francis- und einer Kaplanturbine, durch die in der Sekunde bei Volllast 40 000 Liter Wasser fließen, erzeugen beide etwa 4,5 Millionen Kilowattstunden Elektrizität pro Jahr.

Im Jahr 20 Millionen Kilowattstunden

„Damit hat das Mannesmann Röhrenwerk in Wickede über zwei Drittel seines Bedarfs selbst produziert“, erklärt Bernd Walters. Doch nach der Übernahme durch Vodafone wurde das Kraftwerk als „unrentabel“ abgestoßen - nach über 90 Jahren treuer Dienste. Walters hat es damals kurzerhand gekauft. Nicht das erste: Der Arzt aus Brilon im Sauerland besitzt 17 - an der Ruhr, einigen ihrer Nebenflüsse und der Agger im Bergischen Land.

Walters speist pro Jahr um die 20 Millionen Kilowattstunden aus seinen Kraftwerken ein. Dafür wird nicht ein Gramm Kohlendioxid freigesetzt. Das bringt ihm dank Fördertarifen für Strom aus erneuerbaren Energien um die 1,8 Millionen Euro. Doch das Geld steckt der 54-Jährige in Wartung, Instandsetzung und neue Projekte, denn „meinen Unterhalt verdiene ich in der Praxis“.

„Andere spielen Golf oder Tennis, ich gehe in meine Kraftwerke“, grinst Bernd Walters. Manchmal picknickt er mit Familie oder Freunden an einem idyllischen Wehr, von dem das aufgestaute Wasser in die Turbine geleitet wird. Anfangs hat Walters noch alles selbst gemacht. Jetzt sind drei Elektriker und ein Schlosser fest angestellt. Trotzdem ist der Arzt noch 25 bis 30 Stunden pro Woche für seine Werke unterwegs. Das geht nur, weil er seine Praxis für Allgemeinmedizin mit einer Partnerin betreibt.

„Hier hat vor 20 Jahren alles angefangen.“ Walters stößt die große Eichenholztür mit Jugendstilschnitzereien zu einem rustikalen Zimmer mit Kamin auf, über dem Fechtdegen und historische Fotos hängen. Die Stadtmühle Rüthen an einem von Pappeln gesäumten Mühlgraben ist seit 1760 als Getreidemühle überliefert. In heutiger Form besteht sie seit 1904.

Im Keller erwirtschaften zwei Siemens-Generatoren mit 30 Kilowatt gerade mal ihren eigenen Erhalt und den des historischen Gebäudes, das für den Arzt Wochenendhäuschen und Familientreff ist. „Hier habe ich alles noch selbst geschweißt“, sagt er. Der Keilriemen wird von einer Francis-Turbine aus einem alten Kraftwerk bei Paderborn angetrieben. Die Besitzer hätten sie für einige Tausend Euro als Schrott verkaufen können. Doch weil Walters sie weiter betreiben wollte, bekam er sie geschenkt - und baute sie eigenhändig aus.

„Einige meiner Generatoren und Turbinen haben Kaiserreich, Revolution und zwei Welkriege überstanden - und sie tun es immer noch“, lächelt der Arzt. „Vor allem die aus den 30er Jahren laufen hervorragend, und ich kann sie selber warten und reparieren.“ Alte Turbinen haben zudem kaum weniger Wirkung als neue.

Der Nachteil von Wasserkraft sind ihre Gestehungs- und Wartungskosten. „Eine Anlage nach 20 Jahren Stillstand wieder in Gang zu bringen, kann so teuer werden wie ein Neubau“, erklärt Walters. „Fast ein Drittel meines Ertrags verwende ich zudem für Reparaturen, Ersatzteile, Schmierstoffe und Personal.“ Hinzu kommt ein hoher Flächenbedarf für Wehr und Kanäle, vor allem bei den Ausleitkraftwerken, bei denen das Wasser vom Wehr über einen Kanal zur Turbine und wieder in den Fluss geleitet wird.

Auch die Gebäude - einige unter Denkmalschutz - kosten Geld. Viel Aufwand erfordern vor allem die wasserrechtlichen Genehmigungen und Naturschutzauflagen. Manche sind schwer verständlich, andere begrüßt Walters: Etwa die aufwendige Fischtreppe und die Einschwimmsperre, die er beim Werk in Neheim an der Möhne zum Schutz von Forellen, Eschen und Barben bauen musste. „Wasserkraft macht nur im Einklang mit der Natur Sinn“, sagt der Arzt. „Doch die wenigsten Gegner setzen sich mit technischen Details auseinander.“ So sei zum Beispiel eine langsam drehende Turbine für Fische weit weniger gefährlich als eine mit 300 Umdrehungen pro Minute.

An der Möhne gewinnen die Wasserwerke der Stadt Arnsberg durch eine Aufstauung Trinkwasser. Das dafür vorhandene Wehr konnte Walters für den Kraftwerksneubau nutzen. Weiterer Vorteil für den Standort: Am Oberlauf des Flusses stauen sich 135 Millionen Kubikmeter Wasser in der Möhntalsperre, eine der größten Deutschlands. Auch im Sommer ist daher ein stetiger Abfluss von 5000 bis 6000 Litern pro Sekunde garantiert.

Seit Kinderzeiten begeistert Walters die Technik. Mit dem Großvater, einem Maschinenbauingenieur, ging er oft zu den Fabriken der Umgebung und bewunderte deren Wasserkraftwerke und Dampfmaschinen. „Mit der Wasserkraft hat eine alte Technik überlebt, die sich in den letzten 80 Jahren kaum verändert hat.“ Ende des 19. Jahrhunderts musste ein Arbeiter für eine Kilowattstunde 20 Minuten arbeiten, heute noch eine Minute.

In der Maschinenhalle in Wickede ist Besuch angekommen und bestaunt den 95 Jahre alten Generator von Brown Bowerie Mannheim. Juan Matamoros Salazar, ein Wasserkraftunternehmer aus Costa Rica in Begleitung von Christian Heitefuss vom Ruhrverband, einem der großen Wasserwirtschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen. Heitefuss plant zwei Wasserkraftwerke an bestehenden Standorten. Gemeinsam mit einem Freund betreibt er in seiner Freizeit zudem eine Hammerfabrik von 1912. „Wir sind hier alle bekloppt“, sagt der Diplomingenieur. Walters grinst und nickt.

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