„So ein Tod geht über Leichen“

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Anmutiger balancierte keiner zwischen Kunst und Kalauer. Und dass man den Autor des auf Uni-Toiletten verewigten Zweizeilers „Paulus schrieb an die Apatschen: Ihr sollt nicht nach der Predigt klatschen“ später in eine Reihe mit Kästner, Tucholsky, Heine stellte, markiert eine der erstaunlichsten deutschen Literatur-Karrieren. Gestern ist Robert Gernhardt mit 68 Jahren an Krebs gestorben - der populärste, erfindungsreichste und eleganteste deutsche Dichter der Gegenwart.

Nichts amüsierte Gernhardt mehr, als Pathos ironisch vom Sockel zu kegeln. Und seine schärfste Waffe war ausgerechnet jene Form, die als hoffnungslos verrostet galt: der Reim. Freilich mit brillantem Facettschliff.

Erstes Spott-Opfer wurde vor 50 Jahren sein Deutschlehrer, dem Gernhardt ein wunderbares Trakl-Gedicht vortrug: „Die Pendel brauner Uhren nicken leise, / Der Abendmond verlässt sein bleiches Bett. / Ein Jäger einsam bei dem Hasel steht. / Die schwarzen Vögel ziehen leichte Kreise“. Der Lehrer lauschte ergriffen - und überhörte, dass dieses Gedicht von Robert Gernhardt stammte. Dies war das Debüt eines virtuosen Stimmen-Imitators, der als Heine-Preisträger (2004) einen literarischen „Klappaltar“ aufstellte, den er mit Versen im Heine-Ton drapierte.

Doch Gernhardt konnte es auch eine Etage tiefer. Mit seinen komischen Spießgesellen F.K. Waechter und F.W. Bernstein beflügelte der im estnischen Reval geborene Wortjongleur die Satirezeitschrift „Pardon“ und zählte 1979 zu den Mitbegründern der „Titanic“. Das sinkende Schiff hob dank Gernhardt, Eckhard Henscheid, Bernd Eilert und anderen den Pegel des deutschen Humors wesentlich und verulkte als „Neue Frankfurter Schule“ die Theorie-Titanen um Theodor W. Adorno.

Bald zählte Gernhardt zu den Gag-Souffleuren des Friesen-Entertainers Otto Waalkes und nutzte sein Studium der Malerei („die schönste, weil leiseste aller Künste“) in skurrilen Bildgeschichten. Zentimeterweise kam er aus der Ecke des „Nonsens-Lyrikers“ heraus, bis ihn die Bände „Körper in Cafés“, „Reim und Zeit“ und „Weiche Ziele“ unter die Ernstgenommenen einreihten. Man begriff nun, wie viel Giftiges, Bitteres sich in diesen beschwingten Versen tarnte: „Wer Schönes anschaut, spürt die Zeit, und Zeit meint stets: Bald ist s soweit“ reimte das famose Spottgedicht auf Metzingen, das mit altmeisterlichem Ton böse ausklingt: „Das Schöne gibt uns Grund zur Trauer, das Hässliche erfreut durch Dauer.“

„Was das Gedicht alles kann: Alles“ betitelte er 2001 eine Vorlesung in Frankfurt - und hatte diese These längst bewiesen. Seine „Lichten Gedichte“ (1997) zeigten, dass sich der Lyriker auch von den Todesschatten seines Herzinfarkts nicht zum Betroffenheitston nötigen ließ: „Das Alter klopft an meine Tür: / Du bist da drin, ich spüre dir. / Ich mach nicht auf und flüstre schwach: Lern du zuerst mal deutscher Sprach.“

Leider blieb dies nicht der einzige Anlass, dem Grauen heiter die Stirn zu bieten. Seine Krebs-Erkrankung und die Chemotherapie reflektierte Gernhardt in seinen „K-Gedichten“ etwa so: „Schlimm ist solche Therapie, kürzer lebt man ohne sie“ und konstatierte: „So ein Tod geht über Leichen.“ Nicht all seine Gedichte klingen so trotzig-gelassen, im „Beginn der Sommerzeit 96“ etwa sieht der Autor „alles grundiert vom Braun des Verrottens, über allem ein Hauch von grundloser Trauer“.

Der Künstler wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb und war rastlos aktiv: machte ein Buch über Wilhelm Busch, senkte mit seinen Düsseldorfer Vorlesungen die Hemmschwelle vor Lyrik und parlierte auf der Lit.Cologne (die er nie verpasste), mit Reich-Ranicki. Ach ja, einen Roman hatte der lebenslustige Mann mit italienischem Zweitwohnsitz auch geschrieben - und das süffisante Aussteiger-Drama „Die Toskana-Therapie“.

Es wird nun in der deutschen Literatur sehr viel weniger zu lachen geben, aber man täusche sich nicht: Robert Gernhardt war kein Witzbold, sondern ein großer Humorist. Und die Lyrik war seine Art, um Fassung zu ringen.

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