„Und die Moral von der Geschichte“

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LINDLAR. „Sabinchen war ein Frauenzimmer“ - die schaurig-schöne Moritat vom Schuster aus Treuenbriezen, der dem Sabinchen den Schlund abschneidet, ist bekannt. Doris van Rhee singt das Lied im Bergischen Freilichtmuseum, und viele ihrer Zuhörer nicken erkennend mit dem Kopf. Dass sich Moritaten meist auf tatsächliche Begebenheiten stützen, dass ist nicht so weit verbreitet. Am Sonntag stand aber das Freilichtmuseum in Lindlar ganz im Zeichen der Drehorgel, der Bänkel- und Moritatensänger. Schaurige Geschichten von unglücklichen Mädchen, blut-

rünstigen Räubern oder Meuchelmördern wurden zum Besten gegeben.

Denn die Tradition der Leierkastenleute geht zurück in eine Zeit, in der es noch keine Massenmedien gab. Wenn heute der Michael-Jackson-Prozess durch den Blätterwald des Boulevard fegt, dann wären es am Anfang des 19. Jahrhunderts die Urahnen von Doris van Rhee gewesen, die die neugierige Öffentlichkeit auf dem Laufenden gehalten haben. „Mein Gott, ist das blutrünstig“, entfährt es einer jungen Mutter, die mit ihren Kindern der Moritat zuhört. Sensationslust gab es also schon vor der Erfindung des Fernsehens und der Paparazzi. Aber das ist natürlich nur eine Seite, die die Leierkastenleute an diesem Sonntag im Freilichtmuseum zeigen. Auch Axel Stüber ist gekommen. Der Berliner ist einer der letzten Orgelbaumeister, die sich auf Drehorgeln spezialisiert haben. Er baut die Apparaturen, die vollständig ohne Motor und Mikrochips auskommen. Neben ihm steht Dr. Ullrich Wimmer aus Düsseldorf, sie hängen gerade des Moritaten-Plakat auf, auf dem die Geschichten illustriert sind. Wimmer forscht bereits seit Jahren auf dem Gebiet der Drehorgeln, hat Artikel hierzu veröffentlicht und ist immer auf der Suche nach Moritaten oder Bänkelsängen, die in Vergessenheit geraten sind.

Am alten Bandweberhaus hat Nils gerade den Affen Felix entdeckt. Der 4-Jährige hat seine helle Freude daran, den Holzaffen auf Knopfdruck Wasser spritzen zu lassen. Felix ist das Maskottchen auf der Drehorgel von Ute Weber, der Mechanismus funktioniert mit schweren Holzknöpfen und kommt ganz ohne Strom aus. Ehemann Franz Weber steht nebenan und legt eine neue Rolle auf, die die Melodie für einen Walzer gibt. Auch der Unterhaltungswert der Musikboxen von anno dazumal ist also nicht zu verachten.

Nicht ganz so genau mit der Historie nimmt es dagegen Christian Beck aus Rösrath. Seine Drehorgel spielt mit Hilfe von Mikrochips und Schaltkreisen. Gerne legt der 76-jährige Schlager auf und albert mit seiner Handpuppe Fips, einem Plüschaffen, herum. Beck spielt vor allem für den guten Zweck, sammelt Geld für Bedürftige.

Eine weite Anreise hatte das Ehepaar Bier aus dem Schwarzwald. Die „Biermäner“, wie sich die beiden selber nennen, spielen synchron. Eine Kunst unter den Leierkastenleuten, denn die Walzen müssen absolut übereinstimmend bewegt werden. „Meine Orgel hat eine kleinere Übersetzung, als die von meinem Mann“, sagt Jeannette Bier. „Also muss ich immer ein bisschen schneller drehen, damit es synchron klingt“, erklärt sie. Eine Zeitreise war das Drehorgelfest für die vielen Besucher des Museums. Vom Schaufzinger Hochzeitsmarsch aus der Schweiz über DJ Ötzis „Hey Baby“ bis hin zum „unglücklichen Frauenzimmer“ gab es Musik von der Rolle. Von trivial bis historisch wertvoll.

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