Rundschau-Gespräch mit Gisela CapitainKölner Charme gleicht alles aus

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Beim ersten Besuch wollte Gisela Capitain nicht lange in Köln bleiben. Nun lebt sie hier seit mehr als dreißig Jahren.

Beim ersten Besuch wollte Gisela Capitain nicht lange in Köln bleiben. Nun lebt sie hier seit mehr als dreißig Jahren.

Köln – Das Büro von Gisela Capitain liegt im hinteren Teil ihrer Galerie. Sauber gehäuft liegt eine lange Reihe Kunstbände nebeneinander. Lesezeichen zeugen davon, dass damit gearbeitet wird. Viel Schlaf braucht diese Frau ohnehin nicht.

Kennen Sie die Geschichte Ihres Nachnamens?

Der stammt von den Hugenotten, die von Frankreich über Trier kommend in Berlin sesshaft wurden. „Capitaine“ war ein Offizierstitel, das „e“ ist allerdings im Laufe der Jahrhunderte weggefallen.

Um im Militärjargon zu bleiben: Haben Sie als Galerie-Kapitänin viele Gefechte oder eher ein ruhiges Kasernenleben geführt?

Dass es kein Kasernenleben ist, garantieren schon mal die Künstler. Von ihnen kommt immer Neues, Herausforderungen, auf die Sie sich als Galeristin einstellen müssen.

Galerie klingt wie Galeere, aber als Gefangene haben Sie sich nie gefühlt?

Ganz sicher nicht. Ich habe diesen Weg freiwillig gewählt, und das in einer Zeit, als Galerien noch nicht den Ruf hatten, in dem sie heute stehen.

Nämlich?

In der Öffentlichkeit werden sie als elitär und glamourös wahrgenommen, als gehe man hier immer mit ganz großem Geld um. In Wirklichkeit arbeiten wir sehr strukturiert und sind nicht zuletzt mit vielen bürokratischen Arbeitsabläufen konfrontiert – denken Sie allein an das deutsche Steuer- und Zollwesen.

Dennoch scheint mir eine Galerie etwas anderes als etwa eine Modeboutique zu sein.

Na sicher. Zwar ist auch Kunst eine Ware, aber zugleich mit keiner anderen vergleichbar. Ein Kunstwerk ist ein Luxusgut, aber Sie bezahlen den Preis nicht nur für das reine Objekt. Sondern es geht beim Erwerb von Kunst immer auch um eine intellektuelle Anregung, um eine Inspiration oder ästhetische Freude.

1977 haben sie Martin Kippenberger kennengelernt und zogen mit ihm zusammen. Plötzlich waren Sie zugleich Bohemien und Grundschullehrerin.

(lacht) Ja, das ging damals in Berlin ganz gut. Ich bin morgens um halb 8 zur Schule gegangen. Und wenn ich so gegen 14 Uhr wieder zurückkam, habe ich mit Kippenberger gefrühstückt.

Und danach Deutschaufsätze korrigiert?

Entweder so etwas, oder ich machte eine kleine Siesta. Denn jenseits des Tagespensums gab es ja auch noch ein gewisses Nachtprogramm. Aber ich kam mit drei Stunden Schlaf aus.

Gab es einen bestimmten Punkt, ab dem Sie wussten, das Lehrerdasein ist nichts mehr für mich?

Ich war fasziniert von der Intensität, mit der Künstler wie Kippenberger leben und arbeiten. Dies zu beobachten und schließlich bei der Produktion dabei zu sein, hat meinen Entschluss aufzuhören beschleunigt. Zugleich bot mir die Schule damals an, Konrektorin zu werden, ich musste also eine Entscheidung treffen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie 1977 eigentlich keine Ahnung von Gegenwartskunst hatten. Was lernten sie darüber durch Ihr Leben mit Kippenberger?

Ich habe die Künstler der neuen deutschen Malerei kennengelernt, vor allem aber das große Vorbild Kippenbergers, Andy Warhol. Der Künstlerfreund Meuser hat mir den Abstrakten Expressionismus, Konzept und Minimal Kunst nahe gebracht. Die 80er fanden dann auf der Achse Köln/New York statt.

Haben sie diese neue Kunst damals als „Anfängerin“ ausnahmslos gemocht?

Man bildet ziemlich schnell Geschmackskriterien aus – zunächst auf einer sensuellen Ebene. Das Miterleben, das Dabeisein und Mittun in Kippenbergers Büro Ende der 70er hat meine Urteilskraft gebildet. Wie er Projekte angegangen ist und durchgezogen hat, das hat mich maßgeblich geprägt.

Und wie sah es mit Büchern zur Kunstgeschichte aus?

Habe ich immer nur dann gelesen, wenn es sein musste.

Ein Qualitätskriterium laut Gisela Capitain ist die künstlerische Intelligenz. Was meinen Sie damit?

Das hat viel damit zu tun, wie der Künstler seinen „socle du monde“, wie Piero Manzoni das genannt hat, gestaltet. Jeder Künstler baut mit seinen Werken eine eigene Welt, die je vielschichtiger, desto interessanter ist. Faktoren wie das Unausgesprochene, die Geschichten hinter der Geschichte, die Umsetzung dieser Erzählung spielen natürlich auch eine Rolle.

1983 sind Sie für eine Galeristenlehre nach Köln gekommen. Wie würden Sie die Stadt jener Jahre heute beschreiben?

Beim ersten Mal, 1982 zur Ausstellung „Westkunst“, war es ein Schock, weil Köln so hässlich war. Mir schien klar, lange bleiben werde ich hier nicht und so schnell auch nicht wiederkommen. Inzwischen lebe ich über dreißig Jahre hier.

Gisela Capitain wurde 1952 in Selb/Oberfranken geboren. Nach dem Abitur ging sie nach Berlin und absolvierte ein Lehramtsstudium. 1977 lernte sie den Künstler Martin Kippenberger kennen und zog mit ihm zusammen. Bis 1983 arbeitete sie in der Kunstwelt und als Grundschullehrerin.

Nach einer Assistenzzeit bei Kippenbergers Galerist Max Hetzler in Köln eröffnete sie 1986 ihre eigene Galerie, die heute zu den einflussreichsten in ganz Deutschland gehört. Unter anderem verwaltet sie den Nachlass von Martin Kippenberger. Gisela Capitains Galerie befindet sich in der St.-Apern-Straße 26. Sie wohnt in der Innenstadt. (img)

www.galeriecapitain.de

Tja, aber wieso?

Alles hier wird ausgeglichen durch den Charme, die Lässigkeit, diese spezielle Lebensfreude der Kölner. Über die Zeit habe ich die Stadt sogar liebgewonnen. 1983 sah Köln ziemlich heruntergekommen aus, doch die Künstlerszene war extrem aktiv und das Nachtleben entspannt ausschweifend. Das hat mir gefallen.

Köln war seinerzeit eine weltweit bekannte Kunsthochburg. Was bedeutete das für den Alltag?

Es gab ein sogenanntes Bermuda-Dreieck, bestehend aus dem Broadway-Café, der Galerie Michael Werner und der Buchhandlung Walter König. Da tauchte jeder täglich auf, der in der Szene wichtig war.

Im Broadway trank man den existenzialistischen Espresso, aber abends ging man eher ins Roxy, oder?

Oder ins Pink Champain, Hammerstein’s, Königswasser . . . Ich treffe heute Leute in London oder New York, deren erster Eindruck von der deutschen Kunstszene aus diesem Köln der 80er Jahre stammt. Sie schwärmen immer noch davon.

Was hat Köln dann irgendwann falsch gemacht?

Vielleicht gar nichts. Ende der 80er brach zum einen der Markt ein, zum anderen wurde dann Berlin die neue Hauptstadt und zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Art Cologne hat sehr lange gebraucht, um ihre alten, starren Hierarchien aufzubrechen.

Früher wurde mehr über Kunst und französische Philosophie geredet, heute mehr über Fußball. Könnten Sie das unterschreiben?

Könnte stimmen. Über Kunst berichtet man heute auch ganz anders als früher. Mit wenigen Ausnahmen sind die Debatten in den Feuilletons heutzutage verflacht, es wird stark vereinfacht. Der Glamourfaktor und Hype um die exorbitanten Auktionsergebnisse stehen viel zu sehr im Vordergrund. Zudem hat sich mit den digitalen Netzwerken eine völlig neue Form der Vermittlung etabliert.

Leute wie Cristiano Ronaldo und Damien Hirst als die großen Stars, die das Licht absorbieren?

In etwa . . . Natürlich existieren noch einige seriöse Kunstmagazine, die seit Jahrzehnten engagierte Arbeit leisten. Aber deren Auflagen sind sicher nicht gestiegen.

Wenn Sie heute privat durch Köln gehen: Finden Sie die Stadt kunstaffin?

Es ist schon spannend, in welcher Dichte man hier auf große und wichtige Museen trifft. Vom Museum Ludwig über das Römisch-Germanische zum Wallraf-Richartz-Museum geht man keine zehn Minuten. Wobei das Ludwig mit seiner sensationellen Sammlung eine absolute Ausnahmestellung genießt.

Über die Zeit damals haben Sie mal gesagt: Lauwarm war verboten. Gilt das für Sie noch immer?

Solange ich’s schaffe: Ja.

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