Abo

Hochschulen auf SucheRheinische Mundart wird nur noch selten gesprochen

Lesezeit 4 Minuten
Volkstümliche Volkstheater im Kreisgebiet, wie das Laientheater Strungerbaach, werden oft im rheinischen Platt aufgeführt.

Volkstümliche Volkstheater im Kreisgebiet, wie das Laientheater Strungerbaach, werden oft im rheinischen Platt aufgeführt.

Bergisch Gladbach – Hochdeutsch ist, was die Sprecherin in den Abendnachrichten des deutschen Fernsehens spricht. Wer vor der Mattscheibe sitzt, redet meistens nicht so makellos: Die Abweichungen reichen hierzulande vom mehr oder weniger starken rheinischen Akzent, über einen „Regiolekt“, der Hochdeutsch mit Dialektfärbung umfasst, bis hin zur mit hochdeutschen Ausdrücken durchsetzen Mundart.

„Richtiges“ Platt, unkontaminiert von Nachrichtensprechern und Zeitungsdeutsch, spricht nur noch eine Minderheit, wenn man das Mitjohlen von Karnevalsliedern mal außen vorlässt. Und diese kompetenten Mundartsprecher sind meistens alt. Nur wenn sie ihr Leben auf der Baustelle oder in der Landwirtschaft verbracht haben, können sie noch etwas jünger sein, denn das waren Zonen, in denen „Platt kalle“ noch Pflicht war, als es andernorts bereits verpönt war.

Das ist die gefühlte Lage, doch Wissenschaftler wollen es genau wissen. Für den „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland“ schwärmen 2018 die Interviewer aus, um den aktuellen Mundartgebrauch zu ermitteln. Die letzte flächendeckende Untersuchung dieser Art liegt 130 Jahre zurück: Von 1876 bis 1887 wurde unter Leitung des Düsseldorfer Germanisten Georg Wenker der „Deutsche Sprachatlas“ erarbeitet. Damals halfen die Volksschullehrer mit, deren Klassen noch randvoll waren mit kompetenten Dialektsprechern. Platt sprach damals außerhalb der Großstadtelite fast jeder.

Tausend Orte im Erhebungsgebiet

So einfach ist das heute nicht mehr: Über Geschichts-, Gesangs- und Schützenvereine und andere Zirkel mit Dialektaffinität wurde in den vergangenen beiden Jahren nach Personen gesucht, die über aktive Plattkenntnisse verfügen. Dabei konzentrierte man sich auf kleine Orte (unter 8000 Einwohner), die bereits in Wenkers Kartenwerk als Belegort eingetragen sind, damit man einen historischen Vergleich hat.

Tausend Orte sind im Erhebungsgebiet abzudecken, das ganz Nordrhein-Westfalen, die Südwestecke von Niedersachsen und das rechtsrheinische Rheinland-Pfalz (Westerwald) umfasst. 17 Jahre will man sich dafür Zeit nehmen, vier Hochschulen – Bonn, Münster, Paderborn und Siegen – teilen sich die Arbeit, wobei der Süden des Bergischen Landes, das Sauerland und das Siegener Land im Sprengel der Siegener Universität liegt.

Dieses Gebiet ist besonders spannend, weil hier der „Rheinische Fächer“ seine Wurzel hat, eine Folge von Übergangszonen, in denen die Mundarten wie über Treppenstufen vom Niederdeutschen zum Oberdeutschen hochklettern. Diese Zonen sind nach Westen hin weit aufgefächert, während sie im Osten spitz zusammenlaufen.

Ostbergisch, Niederbergisch oder Ripuarisch?

Die Grenzlinien zwischen diesen Zonen sind nach den Orten benannt, an denen sie den Rhein überqueren: Die beiden wichtigsten sind die Uerdinger und die Benrather Linie, die sich im Osten des Rheinischen-Bergischen Kreises zwischen Wermelskirchen und Wipperfürth treffen. Hier stoßen drei Mundartregionen aneinander: Ostbergisch, Niederbergisch und Ripuarisch. Letzteres ist der wissenschaftliche Ausdruck für das landläufige „rheinische Platt“ inklusive Kölsch.

„Diese Vielfalt macht das Gebiet besonders spannend“, sagt Petra Solau-Riebel, die den Rheinisch-Bergischen Kreis für den Atlas bearbeitet. „Allerdings liegt der größte Teil eindeutig im ripuarischen Bereich.“

An zehn Belegorten in Rhein-Berg soll ermittelt werden, was vom ursprünglichen Dialekt aus Kaiser Wilhelms Zeiten übriggeblieben ist. Sechs dieser Orte stehen schon fest: Bechen und Olpe in der Gemeinde Kürten, Odenthal, Romaney (Bergisch Gladbach), Marialinden (Overath) und Dabringhausen (Wermelskirchen). Pro Belegort haben die Sprachforscher zwei Sprecher „der mutmaßlich dialektkompetentesten Generation“ ermittelt, das heißt Personen von 70 Jahren und älter.

Testpersonen gesucht

Dr. des. Petra Solau-Riebel, die Exploratorin, die die Erhebungen zum Dialektgebrauch im Rheinisch-Bergischen Kreis durchführt, sucht für ihre Untersuchung noch Dialektsprecher aus Odenthal und Romaney, die sich für ein Interview bereit finden würden.

Die Personen müssen 70 Jahre oder älter sein, in dem Ort aufgewachsen sein und immer gelebt haben und auch mindestens ein Elternteil muss daher stammen. Kontaktaddresse ist: Universität Siegen, Philosophische Fakultät, Projekt „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland“, Hölderlinstr.3/ H-C 8310, 57 068 Siegen. Email: solau-riebel@germanistik.uni-siegen.de, Telefon: (02 71) 7 40 25 37 (Mi. 10-12 Uhr), oder mobil: (01 51) 28 89 54 87.

Später sollen zu Vergleichszwecken in knapp der Hälfte der Orte auch noch Personen aus der Kinder- und Enkelgeneration dieser Dialektkundigen angesprochen, also Personen zwischen 30 und 40 Jahren: Damit will man dem Mundartschwund auf die Schliche kommen. Die Gewährsleute müssen in dem Ort aufgewachsen sein und mindestens ein Elternteil muss ebenfalls schon daher stammen. Sie dürfen den Ort auch nie länger verlassen haben. „Wenn sie fünf Jahre woanders gewohnt haben, sind sie für uns schon nicht mehr brauchbar, weil sie von dem Dialekt ihres neuen Wohnortes beeinflusst sind“, erklärt Sprachforscherin Solau-Riebel.

800 Aufgaben umfasst das Interview-Skript, für deren Bearbeitungen zwischen dreieinhalb und fünf Stunden benötigt werden. Dabei werden auch klassische Wenker-Fragen aus dem 19. Jahrhundert wiederholt, die 42 sogenannten „rheinischen Sätze“, um Veränderungen aufzuspüren. Etwa der Satz: „Unter dem Apfelbäumchen da hinten stehen zwei Bänkchen“. Im Jläbbischer Platt anno 2017 dürfte das klingen wie: „Unger däm Appelböhmsche dohinge stonn zwei Bänksche“. Statt „unger“ sagt der Gewährsmann aber vielleicht auch „ongder“ oder „unnder“, statt „Böhmsche“ „Böimsche“ oder „Bäumsche“ und statt „dohinge“ „derhingen“ oder „dahinde“. Mit der Form „Under demm Appelboimsche dahinde stonn zwei Bänksche“ hätte man aber auf jeden Fall die Bad Honnefer Linie (auch Eifelschranke genannt) geknackt und stünde tief im Westerwald (Moselfränkisch), wenn nicht in Hessen.

Rundschau abonnieren