Krisenherd SyrienWas die Konfliktparteien wollen – wer profitiert vom Krieg?

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Junge in Syrien

Ein Kind schiebt sein Fahrrad an Gebäuden vorbei, die durch Angriffe der syrischen Luftwaffe zerstört wurden.

Mit lokalen Protesten gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad fing es an. Mitten im Schwung des Arabischen Frühlings waren die ersten Unruhen in Syrien im März 2011 zunächst keine Sensation, doch mittlerweile ist das geschundene Land zur Bühne eines weltpolitischen Machtkampfes geworden. Der Krieg könnte sich leicht auf die ganze Region ausbreiten.

Russische Intervention

Fast ebenso entscheidend wie der Frühling des Jahres 2011 ist für den Syrien-Konflikt der Herbst des Jahres 2015, der den Beginn der russischen Intervention markiert. Der Rückzug der USA aus dem Nahen Osten hatte den Weg dafür freigemacht.

Die Präsidenten Barack Obama und Donald Trump reagierten auf die Kriegsmüdigkeit ihrer Wähler nach den verlustreichen und teuren Konflikten in Afghanistan und im Irak seit dem Jahr 2000. Einst waren die USA die bestimmende Macht im Nahen Osten. Heute sind sie nur mit 2000 Soldaten in Syrien präsent und darauf angewiesen, mit Hilfe der Kurden die Osthälfte des Landes zu sichern.

Da Politik kein Vakuum duldet, stoßen andere Mächte, allen voran Russland, in die Lücke, die die USA lassen. Anders als Russland, das Assad stützt und sich als neue Nahost-Macht etablieren will, haben die USA „keine umfassende Strategie“. So sagt es Alex Vatanka vom Middle East Institute in Washington unserer Zeitung. „Und das gibt Anderen den Spielraum, sich um ihre eigenen Interessen zu kümmern.“

Der Iran und seine Gegner

Seit dem Jahr 2014 hatte der Kampf gegen den IS viele Gegensätze der einzelnen Mächte zugunsten des Vorgehens gegen den gemeinsamen Feind in den Hintergrund rücken lassen. Nun, da die Dschihadisten militärisch besiegt sind, geht es den Beteiligten nicht vorrangig um ein Ende des Krieges, die Rückkehr der mehr als fünf Millionen syrischen Flüchtlinge im Ausland und einen Wiederaufbau des Landes. Lokale, regionale und globale Mächte streiten sich vielmehr um Einfluss, Ressourcen und Territorium. Die Konkurrenz der Supermächte Russland und USA sowie das Fehlen einer klaren amerikanischen Strategie bilden den Rahmen eines Krieges, der längst andere Akteure auf den Plan gerufen hat.

Die schiitische Führungsmacht Iran zum Beispiel wittert die Chance, Assads Syrien als Teil einer Brücke von Teheran über Bagdad und Damaskus bis nach Libanon am Mittelmeer zu nutzen. Als Partner Irans mischt die libanesische Hisbollah auf der Seite Assads in Syrien mit. Dagegen wehren sich die sunnitischen Gegner der Iraner am Golf und Israel. Ein israelisch-iranischer Krieg neben dem Syrien-Krieg ist möglich.

Die Rolle der Türkei

Die Türkei hat am 20. Januar eine Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG im nordsyrischen Afrin gestartet. Denn während Ankara in den ersten Jahren des Syrien-Konfliktes vor allem Assads Entmachtung anstrebte und dabei auf die Miliz „Freie syrische Armee“ (FSA) setzte, hat heute die Zerschlagung der Autonomie der syrischen Kurden entlang der langen Grenze mit der Türkei für Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan oberste Priorität.

Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind bei der türkischen Aktion gegen die Kurdenmiliz YPG in der Region Afrin bisher 112 Zivilisten getötet worden, darunter 23 Kinder. Die Regierung in Ankara bestreitet das. Kurdischen Angaben zufolge beschossen türkische Truppen die Stadt Afrin am späten Donnerstagabend mit Artillerie und zielten dabei auch auf einen Menschenkonvoi. Ersten Berichten zufolge gab es mindestens einen Toten und acht Verletzte.

Da die Kurden mit den USA im Kampf gegen den IS und zur Abwehr russischer und iranischer Ambitionen verbündet sind, befinden sich die Nato-Partner Ankara und Washington auf Kollisionskurs. Sogar eine direkte militärische Auseinandersetzung wird nicht mehr ausgeschlossen - siehe Erdogans Warnung an die USA, sie riskiere in Syrien eine „osmanische Ohrfeige“.

Brüchige Bündnisse

Das Geflecht von häufig widerstrebenden Interessen führt zu neuen Bündnissen, die in den kommenden Jahren die Weltpolitik verändern könnten. Zwischen Russland, dem Iran und der Türkei ist eine antiwestliche Achse entstanden. Wie in einem Kaleidoskop gibt es immer wieder neue Konstellationen: Assad ist kein Freund der syrischen Kurden, unterstützt sie aber im Kampf gegen die Türken.

Keiner der Akteure kann sich seiner Position wirklich sicher sein. Russland sieht aus wie der große Sieger in Syrien, doch Wladimir Putin weiß, dass der Krieg bei der eigenen Bevölkerung unbeliebt ist. Um den Konflikt zu beenden, braucht der russische Präsident Putin unter anderem die Türken und die Iraner. In der Türkei steht Erdogan vor schwierigen Wahlkämpfen, und im Iran begehrt das Volk gegen den teuren Krieg in Syrien auf. Will Teheran in einer solchen Situation wirklich einen neuen Krieg gegen Israel riskieren?

Fest steht schon jetzt, dass der Syrien-Konflikt das Machtgefüge im Nahen Osten auf Dauer verändert hat. Russland dürfte die gewonnene Machtposition, symbolisiert durch eine Luftwaffenbasis bei Latakia und einem ausgebauten Marinestützpunkt in Tarsus am Mittelmeer, so schnell nicht wieder aufgeben.

Es ist unklar, wie die USA auf diese Konkurrenz reagieren werden. Außenminister Rex Tillerson stellte im Januar zwar ein Syrien-Programm seines Landes vor, doch dieses ist von den Ereignissen bereits wieder überholt worden. Washington gehe in der Tillerson-Strategie davon aus, dass der Krieg in Syrien zu Ende gehe, sagte Joe Macaron vom Arab Center in Washington unserer Zeitung: Doch der Krieg könnte noch lange dauern.

Und es ist möglich, dass Syrien am Ende ganz zerrieben wird, in einzelne Einflusszonen zerfällt und auf Jahre hinaus ein Krisenherd bleibt.

Keine UN-Resolution

Eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Syrien-Konflikt ist am Donnerstag in New York ohne Einigung über eine Waffenruhe zu Ende gegangen. Auch am Freitagabend dauerten die Verhandlungen noch an.

Schweden und Kuwait hatten einen Resolutionsentwurf in Umlauf gebracht, der eine 30 Tage lange Feuerpause für die umkämpfte Rebellenhochburg Ost-Ghuta bei Damaskus sowie Zugang für humanitäre Helfer vorsieht.

Russland wollte nicht zustimmen und brachte Änderungsvorschläge in Umlauf, deren Inhalt zunächst nicht im Detail bekannt war. Als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats kann Russland mit einem Veto jede Resolution zu Fall bringen. (EB)

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