GeschichteJournalist veröffentlicht Buch über Zwangsarbeit in Schleiden

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Das Titelbild zeigt ein Massengrab sowjetischer Kriegsgefangener am Judenfriedhof in Blumental am 11. Juni 1949.

Das Titelbild zeigt ein Massengrab sowjetischer Kriegsgefangener am Judenfriedhof in Blumental am 11. Juni 1949.

Schleiden – „Das ging beim Heimweg oft so, dass zwei Mann links und rechts ein Rundholz trugen. Daran hingen angebunden einer oder zwei Gefangene, die nicht mehr gehen konnten. Die hatten sie mit Seilen festgebunden, die Beine und der Unterkörper schleiften durch den Morast. Die lagen meistens anderentags in der Kiste.“

So beschreibt Hubert Vitt aus Hellenthal in drastischen Worten, wie er als Kind die tägliche Heimkehr der sowjetischen Kriegsgefangenen von der Waldarbeit ins Lager am Engessiefen beobachtete. Das Lager befand sich etwa in Höhe des heutigen Campingplatzes.

Diese kurze Schilderung findet sich im neuen Sachbuch „Abgang durch Tod“, des Schleidener Autors Franz Albert „F.A.“ Heinen, der darin die Zwangsarbeit im Kreis Schleiden von 1939 bis 1945 beschreibt. Der befremdliche Titel zitiert ein häufig wiederkehrendes Stereotyp aus Personaldokumenten verstorbener sowjetischer Kriegsgefangener. Sie wurden bürokratisch als „Abgang“ aus der Liste des Stammlagers gestrichen.

Verstörendes Bild von Hungerlagern

„Unser Pole hatte es gut.“ So oder so ähnlich beschrieben viele Zeitzeugen nach 1945 die Zwangsarbeit von Ausländern zwischen Rur- und Ahrtal. Der Journalist Franz Albert Heinen zeichnet nun ein deutlich verändertes, teilweise verstörendes Bild von Hungerlagern, Misshandlungen, drakonischen Strafen, Erschießungen und Erhängungen sowie dem qualvollen Tod in Konzentrationslagern.

Buchvorstellung

Der Euskirchener Historiker Dr. Reinhold Weitz wird das Buch „Abgang durch Tod“ von F.A. Heinen inhaltlich vorstellen und eine fachliche Einordnung vornehmen, und zwar am Sonntag, 18. März, ab 15 Uhr in der Aula des Städtischen Johannes Sturmius-Gymnasiums in Schleiden. Nach der Vorstellung wird das Buch im Foyer der Schulaula zum Kauf angeboten. (bk)

Der Autor verweist für die Zeit von 1939 bis 1945 auf mindestens 337 Todesopfer unter den Zwangsarbeitern im damaligen Kreis Schleiden. Das Buch zeichnet auf 476 Seiten ein erschütterndes Bild dieses weitgehend verdrängten Kapitels der Regionalgeschichte.

Widmung an Arbeiter, der auf Straße erschossen wurde

Ergreifend ist auch die Widmung, die der Autor seinem Buch voranstellt: „Diese Darstellung widme ich dem unbekannten Zwangsarbeiter, den nationalsozialistische Henker rund 100 Meter hinter unserem Haus an der Straße nach Bronsfeld erschossen haben. Vermutlich liegt er bis heute dort verscharrt.“

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Wie Heinen schreibt, wurden sowjetische Kriegsgefangenen ab Herbst 1941, vielfach aus Hungerlagern im Rücken der Ostfront kommend, teilweise schon sterbend zu Arbeitskommandos in die Eifel geschickt. Ein Zeitzeuge berichtete: „Ich habe gesehen, wie die russischen Gefangenen bei ihrem Eintreffen durch Hollerath zum Lager marschierten. Die Gefangenen versuchten, sich Vogelkirschen von den Bäumen zu pflücken, dabei wurden sie von den begleitenden Soldaten geschlagen. Die Bewacher gingen grausam mit den Gefangenen um.“

„Von den rund 230 umgekommenen sowjetischen Gefangenen zwischen Heimbach und Ahrdorf gingen mehr als 130 bereits im ersten Halbjahr zugrunde“, berichtet Heinen. „Nach Fluchtversuchen erfolgten bisweilen Erschießungen: fünf alleine in Sötenich, mindestens drei im Lager Bevertberg bei Berk. Andere erkrankten unter den oft katastrophalen Lagerbedingungen und kamen ins ,Russen’-Lazarett bei Düren.“ Viele starben dort.

Unter grausamen Umständen verschleppt

Weit höher als die Zahl der Kriegsgefangenen war die der aus den besetzten Gebieten Polens und der Sowjetunion in die Nordeifel verschleppten zivilen Zwangsarbeiter – Frauen und Männer. Rund 95 Prozent wurden unter teils grausamen Umständen aus ihrer Heimat verschleppt.

„Für die nach nationalsozialistischer Ideologie als angeblich ,minderwertig’ diffamierten Osteuropäer galt ein extrem verschärftes soziales Sonderrecht, das ihnen alle Freiheiten nahm und sie zu Arbeitssklaven degradierte“, so Heinen: „Das nach Lage der Dinge günstigste Los hatten die Landwirtschaftshelfer beim Einzeleinsatz bei den Bauern und die Haushaltshilfen.“

Verstöße gegen die rassistischen „Polenverordnungen“ waren an der Tagesordnung. Dazu zählten etwa fehlende Kennzeichen an der Kleidung oder Übertreten von Nachtausgehverboten. Nach angeblichen Verstößen gegen das Verbot sexueller Kontakte zu deutschen Frauen oder Arbeitsvergehen überstellte die Geheime Staatspolizei zahlreiche Polen und Sowjetbürger in Konzentrationslager.

Erschossen oder erhängt

Diese Hölle überlebten längst nicht alle. Den Untergang des Regimes vor Augen setzte die Gestapo ab Herbst 1944 Jagdkommandos gegen angeblich „verdächtige“ Ausländer in der weitgehend evakuierten Kampfzone im Westen ein. Zahlreiche wurden erschossen oder erhängt.

Gedenken?

„Da es trotz massiver Ermahnungen der Oberbehörden nach 1945 nicht gelang, eine angemessene Herrichtung und Pflege der zahllosen kleineren ,Russengräber’ zu realisieren, wurden 1950 die meisten sowjetischen Opfer im Kreisgebiet zum Massengrab nach Hollerath und 1960 von dort nochmals in den Nachbarkreis Monschau nach Rurberg umgebettet“, so F.A. Heinen zum Gedenken an die Kriegsopfer. Dort ruhen heute mehr als 2300 meist sowjetische Opfer. „Das Gedenken wurde aus dem Kreis Schleiden exportiert“, so Heinen.

„Ich frage mich, warum Unrecht und Verbrechen an den Arbeitssklaven nach 1945 nicht in die Welt geschrien wurden“, so der Autor. Bis heute fehlt ihm ein angemessener Ort des Gedenkens. Ein solches erinnerungspolitisches Projekt gehört für ihn in die Hände von Kreistag und Kreisverwaltung. Der Zwangsarbeitseinsatz in der Forstwirtschaft des Rheinlands sei offenbar bisher nicht untersucht worden, so der Autor. (bk)

Die Landwirtschaft beanspruchte die meisten Helfer, gefolgt von Forst- und Holzwirtschaft, Bahn und Industrie. Heinen schätzt die Zahl der Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter im ehemaligen Kreis Schleiden auf 5000 bis 6500. Mit einem Blick auf die fragwürdige Praxis des Gedenkens klingt das mit zahlreichen bislang unveröffentlichten Fotos ausgestattet Buch aus.

Franz Albert Heinen (Herausgeber Geschichtsforum Schleiden): „Abgang durch Tod“, 476 S., DIN-A 5, Hardcover, 14,80 Euro. Gefördert durch die Kultur-Stiftung der Kreissparkasse Euskirchen. Das Werk ist im Buchhandel oder online beim Verein erhältlich.

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