Die 68er in Köln (1)Studenten besetzten die „Rosa Luxemburg-Universität“

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50 Jahre danach: Wolfgang Lieb (74), damals Student, später NRW-Staatssekretär.

50 Jahre danach: Wolfgang Lieb (74), damals Student, später NRW-Staatssekretär.

Köln – Demonstrationen, Blockaden, Revolte und neue Lebensformen: Vor 50 Jahren brodelte es auch am Rhein. In unserer neuen Serie blicken wir auf die 68er-Bewegung in Köln. Zum Auftakt geht es um die Besetzung der Universität am 30. Mai.

„Berlin brennt, Köln pennt.“ So sieht die Lage am Rhein aus studentenbewegter Sicht aus, als Wolfgang Lieb 1966 aus Berlin nach Köln zieht, zuerst in eine Bude in der Sülzer Gustavstraße. Nun will er „nach der revolutionären Phase endlich etwas für meine bürgerliche Existenz tun“, sagt er sich. Daraus wird aber erstmal nichts. Nach aktiven Jahren im Vorstand des Sozialdemokratischen Hochschulbunds (SHB), nach vielen Protest-Aktionen vor allem für ein demokratischeres Bildungswesen, verlässt er West-Berlin.

Die große Barrikade am 30. Mai 1968

„Bis dahin hatte ich an der FU studiert, aber wenig Zeit dafür“, erzählt der 74-jährige Jurist und frühere NRW-Regierungssprecher im Gespräch mit der Rundschau. Doch es bleibt nicht so ruhig am Rhein. Ein Höhepunkt der Revolte: Die große Barrikade am 30. Mai 1968 in Köln. Am Vorabend sitzen rund 50 Aktivisten die Nacht lang im Treff der „Linken“, Palanterstraße 5b, auf Möbeln vom Sperrmüll zusammen und diskutieren. Mit dabei auch Wolfgang Lieb von der SHB-Gruppe. Welche Protestform sollte man wählen, um gegen die Notstandsgesetze zu demonstrieren? Diese sollten am nächsten Tag in Bonn beschlossen werden. Was tun? „Plötzlich platzten Spontis herein und verkünden: Die Uni ist geschlossen.“ Helfer hatten bereits Bretter aufgeschichtet, Türschlösser zugelötet. Lieb: „Der antiautoritäre SDS-Flügel hatte das Hauptgebäude verbarrikadiert.“ 

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Am 30. Mai macht sich der Studentenvertreter, seit 1964 Mitglied der SPD, frühmorgens auf zur Uni. Mit langen Haaren und Parka in der Kluft der Linken, Modetrend der Beat-Generation.

Die Barrikade stößt auf heftige Gegenwehr, darunter viele anreisende Fahrstudenten, die vom Südbahnhof „wie zur Schicht in der Kohlenzeche“ nichtsahnend zur Uni ziehen, korrekt mit Anzug und Krawatte gekleidet. Sie wollen studieren, nicht protestieren. Der Schriftzug „Rosa Luxemburg Universität“ hängt am Hauptgebäude und provoziert.

Gegner aus der Studentenschaft zielen mit Feuerwehrschläuchen Wasser in die Menge und verstreuen Kalkstaub. Farbbeutel fliegen. 

Es ging um die Reform der Hochschulen

Die Polizei schreitet nicht ein, sagt Lieb. Nachdem die Uni wieder offensteht, strömen Hunderte zum „Teach-In“ in die Aula. Redner werden niedergebrüllt. Bis Wolfgang Lieb sich zu Wort meldet. Er ist bekannt. „Der Lieb, der Lieb, der Stimmendieb“, wird mit Blick auf Wahlen zum Studentenparlament gereimt. Es wird abgestimmt: Mit 900 zu 700 Stimmen sind die Studenten für die Barrikade. Einige Monate später kommt es wegen des Streits über eine neue Disziplinarordnung an der Hochschule zu einem „aufrechten Gang durch die Glastür“, der Besetzung des Rektorats. Dies trägt auch Mitstreiter Wolfgang Lieb eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Nötigung ein, das Verfahren wird eingestellt.

1968 – das war Höhepunkt einer Ära, so Lieb, „die Politisierung der akademischen Jugend beginnt aber schon ab 1964 mit der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit der Eltern und der Saturiertheit in den 50ern. Es ging uns vor allem um eine Reform der Hochschulen.“ Der Muff von 1000 Jahren unter den Talaren sollte ausgetrieben werden, der Protest gegen den Vietnamkrieg und die Debatte um die Notstandsgesetze kamen später hinzu. Der Uni-Asta ist in der Zeit eher konservativ-katholisch geprägt, erinnert sich der Publizist.

Gesittete Kommunen in Köln

Im „Vatikänchen“ auf der Berrenrather Straße treffen sich die Rechten, in der „Palanterstroß“ die Linken. Während die Presse bundesweit über die Kommune 1 und Auswüchse von Sex, Drugs & Rock’n’Roll berichten, geht es in Köln gesitteter zu: „Die Kommune war kein Massenphänomen. Wir waren eher verklemmt. Wir haben keine Drogen genommen, auch nicht besonders viel Kölsch getrunken. Aber viel geraucht. Hier gab es damals anders als in Berlin noch keine Studenten-Subkultur.“ Es gab das Lupe-Kino, Kneipen wie den Stiefel, Kintopp-Saloon und das Lokal Kleinmann auf der Zülpicher – das war’s.

Die „Barrikade“ ist in Köln die erste breite Aktion nach der großen KVB-Demo Ende 1966, bei der Tausende Schüler und Studenten am Rudolfplatz den Verkehr blockieren. Sie richten sich gegen die geplante KVB-Preiserhöhung. Es werden Gleise besetzt, Eier fliegen. Mindestens so großen Ärger macht 1966/67 das Verbot von Herrenbesuchen im Studentinnenheim. Sie waren im Haus in Hürth-Efferen den Bewohnerinnen strikt untersagt. Auch der Umgang mit der Antibabypille sorgt für Konflikte: „In Köln mussten unverheiratete Studentinnen beim Asta nach Geheimlisten von Ärzten fragen, die ihnen – verbotenerweise – die Pille verschrieben. Der Kinsey-Report war im hillije aKölle noch nicht angekommen.“ 

Erschießung von Ohnesorg schockiert – und mobilisiert

Die Erschießung Benno Ohnesorgs im Juni 1967 schockiert und mobilisiert auch die Jugend im Rheinland. 95 Kölner Wissenschaftler protestieren in einer Anzeige gegen den Polizeieinsatz in Berlin. Der Uni-Rektor gibt vorlesungsfrei. In der Nacht nach dem Attentat auf Rudi Dutschke blockieren Demonstranten die Auslieferung der Bild-Zeitung in Köln. Am 11. Mai machen viele beim Sternmarsch auf Bonn gegen die „NS-Gesetze“ mit. Dann der 30. Mai, die Barrikade. Kurz danach ist Liebs Revoluzzer-Phase fast vorbei. Er beginnt Ende 1968 „zu pauken bis zum Geht-nicht-mehr“ und besteht mit 25 Jahren sein Jura-Examen. Mit Prädikat. Der Karriere-Weg durch die Instanzen führt ihn von der außerparlamentarischen Opposition in die NRW-Machtzentrale unter Ministerpräsident Johannes Rau. 

„Die 68er Jahre waren für mich eine prägende Zeit. Die Ära ist die Mutter der Protestbewegung, der Frauenbewegung, der Friedensbewegung“, sagt der gebürtige Stuttgarter. „Hochdeutsch reden und nicht nur Schwäbisch, Reden schreiben und halten, keine Angst vor Autoritäten haben und offen in Diskussionen um den besten Weg ringen“ – das habe er für sich persönlich daraus mitgenommen. „Aber mit der Hochschulreform sind wir gescheitert.“ Ende der 90er sieht er sich als Staatssekretär in der Aula selbst Studenten gegenüber, die gegen die Bildungspolitik protestieren. „Ich war diesmal auf der anderen Seite, aber ich hätte mir noch viel mehr Widerstand gewünscht.“ Der 74-Jährige blickt besorgt in die Zukunft. „Ich habe immer erlebt, dass es irgendwie aufwärts ging. Aber jetzt sitzt die AfD in Parlamenten und eine Phase der Restauration ist eingetreten.“  

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