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Rheinland für EntdeckerWo bizarre Geschöpfe aus Wasser und Kalk entstehen

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Der große Saal der Wiehler Tropfsteinhöhle. Oft müssen die Besucher den Kopf einziehen, nur selten den Bauch. Der niedrigste Durchgang misst 1,55 Meter.

Der große Saal der Wiehler Tropfsteinhöhle. Oft müssen die Besucher den Kopf einziehen, nur selten den Bauch. Der niedrigste Durchgang misst 1,55 Meter.

Wer genau hinschaut, sieht Elefanten. Einen großen und einen kleinen. Der Kopf, die Stoßzähne, der Rüssel, alles ist da. Gefragt ist aber ein bisschen Fantasie. „Auf jeden Fall ist das die Lieblingsstelle der meisten Besucher“, verrät Söhnke Ohl, der Menschen gern unter die Erde bringt – in eine Tiefe von anfangs sieben Metern, später sind es 30. „Da ist dann der tiefste Punkt der Wiehler Tropfsteinhöhle erreicht“, erklärt der 38-Jährige, der Touren durch die gewundenen Gänge dieser Höhle leitet und gern auf die Geschöpfe hinweist, die Kalk und Wasser in tausenden Jahren geformt haben – scharfe Haifischzähne und erhobene Zeigefinger inklusive. Und eben Elefanten.

Besucherservice

Wiehler Tropfsteinhöhle, Pfaffenberg 1, 51674 Wiehl, (0 22 62) 79 20, www.waldhotel-wiehl.de. Geöffnet täglich von 10 bis 17 Uhr, letzte Führung: 16.15 Uhr (März bis November); samstags, sonntags und feiertags von 11 bis 16 Uhr (November bis März). Eintritt: Erwachsene 4,50, Kinder vier Euro. Gruppenpreise ab 20 Personen.

Am 4. August 1927 wurde das Ausflugsziel in der Kleinstadt Wiehl (Oberbergischer Kreis) eröffnet – nachdem bereits im Jahr 1860 Sprengungen nicht etwa den erhofften Kalksteinbruch offengelegt, sondern plötzlich den Weg in ein verzweigtes Höhlennetz mit Stalaktiten und Stalagmiten freigegeben hatten.

„Denn auf der Erdoberfläche gab es nur eine schmale Sickerspalte und ansonsten keinen Hinweis darauf, dass sich eine Höhle unter dem Berg befindet“, schildert Ohl. Und diese Sickerspalte existiert noch heute: Sie dient der Kleinen Wasserfledermaus als Ein- und Ausflugschneise. Denn Platz für diese winzige Fledermausart gibt es reichlich: Zwar messen die Gänge 1,4 Kilometer in der Länge insgesamt, doch dürfen sich Besucher auf nur 400 Metern in die schroffe Landschaft wagen. Die Wege formen eine Acht und sind bequem zu laufen: Den Kopf muss man viel öfter einziehen als den Bauch. An der niedrigsten Stelle hat der Durchgang eine Höhe von 1,55 Meter. Die gesperrten Pfade wären dagegen nur auf den Knien rutschend oder gar bäuchlings robbend zu durchqueren. Und das will keiner der bis zu 20 000 Ausflügler pro Jahr, die sich von Ohl und seinen drei Kollegen Erdgeschichte kurzweilig präsentieren lassen.

Bis zu 420 Millionen Jahre in die Vergangenheit

Denn während die Elefanten Geschöpfe des Zufalls sind, stammen Muscheln, Korallen und Seelilien aus vergangener Wirklichkeit: Die Fossilien sind zwischen 360 und 420 Millionen Jahre alt und gehören in das geologische Zeitalter des Devon, als das Bergische Land ein Ozean und das Klima ein tropisch-heißes war. Mit dem Zurückweichen des Wassers wurden harte Steine aus dem weicheren Meeresgestein herausgewaschen, sie widerstanden der Erosion. Oder das Wasser grub eben Höhlen in die weicheren Gesteine, so auch in Wiehl.

Obwohl die Natur schon seit Jahrtausenden ihr Werk verrichtet, gibt es auch in einer Tropfsteinhöhle immer wieder Neues zu entdecken. Zuletzt waren es Botaniker, die nach Wiehl kamen, um in der Höhle Pflanzen unter die Lupe zu nehmen: So wachsen dort in Tiefen zwischen zwölf und 25 Metern vor allem Farne, aber auch Algen und Moosarten, von den steinigen Decken. Wie sie dorthin kommen, wisse niemand so recht, berichtet Söhnke Ohl. „Vermutlich wird Erbgut aus dem Wald durch das Gestein gespült.“ Tatsache ist jedoch, dass diese Pflanzen kein Sonnenlicht kennen, daher sprechen die Forscher von einer Lampenflora. „Solche Forschungsergebnisse bauen wir immer sofort in unsere Touren ein“, verspricht Ohl.

Während das Grünzeug im Kunstlicht rasch wächst, braucht ein Stalagmit etwas länger: In 1000 Jahren schiebt er sich gerade mal einen Zentimeter in die Höhe. Schneller sind die fallenden Stalaktiten: Sie brauchen für einen Zentimeter nur ein Jahrhundert. „Aber keiner von uns wird erleben, wie sich diese beiden endlich treffen“, ahnt Ohl und richtet den Taschenlampenkegel in eine Nische. Die ist sein persönlicher Lieblingsort unterwegs: Hier tropfen ein Stalaktit und ein Stalagmit aufeinander zu. Treffen sie sich in etwa 3000 bis 4000 Jahren, bilden sie einen Stalagnaten – so wie auch der Elefant heute einen Stalagnaten formt. Frei schwingen kann der imaginäre Rüssel lange nicht mehr.

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Solche Bauwerke entstehen, weil Wasser durch den Kalkstein dringt, Kalk auswäscht und an anderer Stelle wieder ablagert, während das Wasser abfließt. Wer die Tropfsteinhöhle in Bewegung erleben möchte, sollte sich zwei bis drei Tage nach einem Regen dort einfinden. Ohl: „Dann nämlich kommt der Regen aus dem Wald oben hier unten an.“

Zwei bis 25 Tonnen schwere Steinbrocken, die sich gegenseitig stützen, sind für Besucher ein beliebtes Fotomotiv, denn in Wiehl ist das Fotografieren ausdrücklich erlaubt. Immerhin darf hier unten auch der Bund fürs Leben geschlossen werden. Etwa 25 Paare tun dies Ohls Angaben zufolge jährlich im Großen Saal, dem Mittelpunkt der Tropfsteinhöhle. Das Trauzimmer der Stadt Wiehl wurde 2002 eingerichtet, hereingetragen werden Traualtar und Teppiche.

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